Mit dem Euro wird gespielt

Der frischgebackene Mephisto der europäischen Finanzpolitik, der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, ist Autor mehrerer Bücher über Spieltheorie, die 1995 bis 2004 erschienen sind.

In der Spieltheorie werden Entscheidungssituationen modelliert, in denen sich mehrere Beteiligte gegenseitig beeinflussen. Konfliktsituationen werden mathematisch abgebildet und zuweilen mathematisch streng gelöst. Wegen  unzutreffenden Vergleichen ist die Erklärungskraft der Spieltheorien für die Praxis jedoch umstritten.

Da es in der europäischen Finanzpolitik mittlerweile nicht mehr um Einnahmen und Ausgaben geht, sondern um Eingaben und Ausnahmen, um das Über-den-Tisch-ziehen der Partner, ist die Kenntnis der Spieltheorie gutes theoretisches Rüstzeug für den ausgebufften Finanzjongleur. Einige Beispiele der Spieltheorie aus Wikipedia mögen das verdeutlichen.

Im Spiel mit dem Untergang fahren zwei Spieler, vielleicht Griechenland und Deutschland mit Höchstgeschwindigkeit aufeinander zu. Oder einer weicht aus. Oder beide weichen aus. Den größten Nutzen hat derjenige Spieler, der kaltblütig weiterfährt, während sein Mitspieler Angst bekommt und ausweicht. Der Ausweichende hat zwar die Mutprobe nicht bestanden, jedoch sein Leben behalten. Weichen beide aus, so ist ihr Nutzen hoch, da sie voreinander nicht ihr Gesicht verlieren und überleben.

Ein anderes Spiel, das Teilungsproblem, bildet die mögliche Liquidierung der EZB nach dem Euro-Aus ab: Zwei Spieler A und B legen jeweils einen gleich großen Geldeinsatz E in einen Topf. Um den im Topf liegenden Betrag G = 2E spielen sie ein Glücksspiel, welches sich aus mehreren Runden zusammensetzt. In jeder Runde wird eine faire Münze geworfen. Für das Spiel haben sie folgende Regeln vereinbart:

Es muss so lange gespielt werden, bis einer der beiden Spieler n-mal gewonnen hat. Derjenige, der zuerst n-mal gewonnen hat, bekommt den im Topf liegenden Betrag. Der andere bekommt somit, unabhängig davon wie knapp der Vorsprung war, nichts.
Auf Grund einer höheren Gewalt (Pleite Griechenlands) muss das Spiel jedoch vor der Entscheidung unerwartet beim Spielstand a:b abgebrochen werden. Die erste Regel ist damit verletzt. Das Spiel kann nicht fortgesetzt oder wiederholt werden und die Geldaufteilung muss sofort erfolgen.

Der zurückliegende Spieler argumentiert, dass das Spiel regelwidrig beendet wurde. Er möchte seinen Einsatz E wieder rückerstattet bekommen, sprich die Hälfte von G. Er hätte ja schließlich auch aufholen und gewinnen können. Der führende Spieler beansprucht dagegen für sich den vollen Geldbetrag. Er beharrt auf der „Alles oder Nichts“-Regel. Gerade wenn er deutlich in Führung liegt, ist ja zu erwarten, dass er auch gewinnt.

Die beiden Vorschläge sind weder „falsch“ noch „richtig“. Es hängt vielmehr vom Gerechtigkeitsempfinden des Betrachters ab, ob er einen der Vorschläge als „falsch“ oder „richtig“ wertet. Wie schwer wiegt die zweite Regel noch, wenn doch die erste schon gebrochen wurde?

Das Vertrauensspiel ist ein Zwei-Personen-Spiel mit einem Treugeber (beispielsweise die EZB) und einem Treuhänder (in unserem Fall Griechenland). Der Treugeber kann den Treuhänder mit Geld betrauen. Zunächst entscheidet der Treugeber EZB, ob er dem Treuhänder Griechenland Vertrauen schenkt oder nicht. Entscheidet er sich für die erste Variante kann nun wiederum der Treuhänder Griechenland entscheiden, ob er das ihm entgegengebrachte Vertrauen a) missbraucht oder b) honoriert. Aus diesen Möglichkeiten ergeben sich drei Handlungsalternativen, die jedoch für jeden der beiden Beteiligten unterschiedliche Auszahlungen zur Folge haben. Ein rationaler Treuhänder wird sich nun dafür entscheiden, das ihm entgegengebrachte Vertrauen zu missbrauchen, da er so die höchste Auszahlung für sich erhält. Das hat Griechenland getan.

Wenn ein Treugeber dies ahnt wird er erst gar kein Vertrauen schenken. Dies führt dazu, dass beide Akteure leer ausgehen. Gelöst werden kann dieses Dilemma einerseits dadurch, dass der Treugeber Erfahrungen über den Treuhänder besitzt und somit das Verhalten des Treuhänders vorhersehbar ist. Anderseits kann der Treugeber auch Kontrolle über den Treuhänder ausüben und bei Missbrauch des Vertrauens Sanktionen verhängen, wie in Griechenland mit Visiten des Dreigestirns geschehen. Beim Instrument der Kontrolle wird das gewünschte Verhalten des Treuhänders vom Treugeber zu einem gewissen Grade „erzwungen“. Daher entspricht diese Lösung der Ausübung von Macht durch den Treugeber über den Treuhänder mit der Sanktion als entsprechendes Machtmittel.

Ein weiteres Spiel ist die Dollar-Auktion. Es könnte sich natürlich auch um den Euro handeln. In der Regel läuft die Auktion wie folgt ab: Die Teilnehmer überbieten sich um einige Cent, um sich den Dollar zu sichern. Die Gebote steigen bis zum Erreichen der Ein-Dollar-Grenze, denn ein siegreiches Gebot von 99 Cent bringt noch einen Gewinn.
Interessant ist der dann folgende Verlauf. Die Auktion stoppt zumeist nicht beim Erreichen des Ein-Dollar-Gebots. Die Gebote steigen im Durchschnitt bis 3,40 Dollar. Diese für die Bieter finanziell nachteilige Eskalation, lässt sich mit einer für den Moment rationalen Entscheidung erklären:

Bei der Wahl zwischen einem sicheren Verlust von 99 Cent und einem unsicheren, kleineren Verlust wählen die meisten Teilnehmer die zweite Variante und bieten folglich 1,01 Dollar. Nun steht B vor der Wahl mit Sicherheit einen Dollar zu verlieren oder mehr zu bieten, um sich die Aussicht auf einen kleineren Verlust zu erhalten.

Im Laufe des Spiels wird der Verlust für beide Spieler immer größer. Ab einer bestimmten Phase tritt der Gewinn bzw. die Höhe des Verlusts in den Hintergrund Die Gegner beginnen, sich gegenseitig irrationales Handeln vorzuwerfen. Das Spiel zeigt den Charakter einer Eskalation. Man will nicht der Narr sein, der verliert.
Dieses Spiel bildet das ständige Nachschießen in das griechische Faß ohne Boden perfekt ab.

Soweit die Spieltheorie. Daß es sich bei Yanis Varoufakis um einen unerfahrenen Finanzminister handelt ist klar. Verhandlungsstrategien kann er jedoch mit der Spieltheorie entwerfen, wie die Beispiele gezeigt haben. Varoufakis tägliche Verlautbarungen passen in die Muster der Spieltheorie. Im Stundentakt werden neue und sich widersprechende Botschaften an die Medien lanciert und diese streuen die Verlautbarungen aus dem griechischen Irrenhaus breit.  In London schlug Varoufakis beispielweise vor, gewerbliche Geldverleiher ehrlich zu behandeln und Steuerzahler um ihr Geld zu betrügen. In Griechenland behauptet er das komplette Gegenteil, Wie Robin Hood will er die Reichen prellen, um den Armen zu geben.

George Osborne, der britische Finanzminister, soll während seines Treffens mit Varoufakis bei Schäuble gefragt haben, ob er dem griechischen Kollegen für eine Terminvereinbarung Schäubles Handy-Nummer geben dürfe. Schäuble lehnte das ab. Endlich muß man unseren Finanzminister mal loben. Er läßt nicht mit sich spielen. Varoufakis mußte sich im Ministerium ganz förmlich und ordentlich anmelden. Beim Termin mit Schäuble biß Varoufakis noch mal auf Granit. Schäuble soll gesagt haben: „Wir sind uns einig, nicht einig zu sein.“ Und der verspielte Grieche ergänzte: „Wir sind uns noch nicht einmal einig, nicht einig zu sein.“