Glück und Unglück der Völker sind flüchtig

Wenn mir vor 40 Jahren jemand die Möglichkeit verschafft hätte, zu Fuß nach Kairo, Algier oder Amman zu marschieren: Ich wäre darauf eingegangen, denn es hätte viele Vorteile gebracht. Vor allem den, daß man alle diese Hauptstädte problemlos wieder verlassen konnte. Sowohl die persönliche Freiheit als auch die wirtschaftliche war in diesen islamischen Metropolen wesentlich größer, als im sowjetischen Besatzungsgebiet.

Zum Beispiel genossen Ägypter, Algerier und Jordanier weitgehende Reisefreiheit, sie konnten Unternehmen gründen, Wohnungen mieten, brauchten nicht fünfzehn Jahre auf ein Auto warten, konnten Bauholz einfach mal so kaufen, konnten an jeder Straßenecke Dollar zu realistischen Kursen erwerben und mußten nicht knapp 44 Stunden in der Woche auf irgendeinem sinnlosen Posten absitzen. Nicht einmal Gaddafi und Saddam kamen auf die  Idee, ihr Herrschaftsgebiet mit Stacheldraht und Wachtürmen gegen Auswanderung zu sichern. Der Islam ist schon totalitär, aber im Vergleich hundertmal liberaler als der Sozialismus.

Ab 1989 wäre mir eine Übersiedlung in eine der drei genannten orientalischen Städte nicht mehr eingefallen. Denn die Verwahrung hinter Stacheldraht war Geschichte, man konnte plötzlich auch in Deutschland Unternehmen gründen, Wohnungen mieten, Autos und Bauholz in jeder Menge kaufen, Dollar tauschen und man konnte solange arbeiten wie man wollte und was man wollte. Und zusätzlich lebte man plötzlich in einer Ordnung, wo man den Diktator notfalls abwählen kann. Ein Luxus den Kairo, Algier und Amman nicht zu bieten haben. Ebenso wenig wie Kunstfreiheit, Wissenschaftsfreiheit und tiefgreifende marktwirtschaftliche Freiräume.

Aber was ist von den demokratischen und freiheitlichen Vorteilen des Westens nach fünfundzwanzig Jahren übrig geblieben? Wir leben im Jahr 2015 und nicht mehr im Jahr 1990. Unsere arabischen Freunde können inzwischen kaum glauben, was in Europa alles so getrieben wird. Wenn sie von der Energiewende und Gender hören, reiben sie sich die Augen. Ein geruchloses Gas, welches Auswirkungen auf die Temperatur hat? Oder daß Mann und Frau nur soziale Konstrukte sind? Die Europäer sind wahrscheinlich verrückt geworden, denken die Araber. Europa hängt obskuren unwissenschaftlichen Irrlehren an und hat sich mit dem Euro in eine wirtschaftliche Sackgasse manövriert. Von der Wissenschaftsfreiheit ist nichts mehr übrig geblieben. Die deutschen Forschungsgelder werden zentral in reformistisches Abrakadabra und sinistren Hokuspokus geleitet. Und die Marktwirtschaft wurde weitgehend durch Planwirtschaft ersetzt, zuletzt im Energiebereich. Im Berliner Reichstag gibt es keine wirkliche Opposition mehr. Er liegt in seiner Effizienz als Volksvertretung noch hinter den beratenden Versammlungen, die sich die aufgeklärten Monarchen am Golf leisten.

Wo ist der Vorsprung an Freiheit und Innovation geblieben, der den Westen gegenüber der islamischen Welt auszeichnete? Alles ist relativ und die Welt ändert sich rasend schnell. 25 Jahre sind seit 1990 vergangen und man könnte denken, die Russen sind wieder da. Die Zersetzungsarbeit machen heutzutage jedoch Beamte in der Brüsseler und Berliner Bürokratie. In den großen Städten werden die Wohnungen wieder knapp. Banken sind in der Kreditvergabe wieder zögerlich. Produkte sind inzwischen nach DIN ISO 9001 zertifiziert. Besser sind sie dadurch nicht geworden. Im Gegenteil, die Lebensdauer sinkt rapide.  Die Betriebe müssen wieder Sicherheitsinspektoren haben.  Die Reallöhne fallen. Die Berechnung der Sozialabgaben und ihre elektronische Übermittlung ist zu einer Wissenschaft geworden, die ganze Völkerscharen beschäftigt. Es regiert wieder eine Einheitspartei, denn Unterschiede in der Programmatik von CDU und SPD gibt es nicht mehr. Der Staat ist total überschuldet. Der ganze Aufwand der 89er Revolution ist nahezu für die Katz gewesen. Die Russen sind weg. Ansonsten sind alle Unsitten der Vergangenheit wieder da. Es riecht nach Verwesung.

Die Lügen-Medien vermitteln uns vom Ausland und auch von unserer eigenen Lage ein schräges Bild. Bestimmte Länder, Religionen und Techniken wie Amerika, das Christentum und Fracking werden dämonisiert, andere zu paradiesischen Trugbildern aufgeblasen. Die Ukraine, sexuelle Orientierungslosigkeit und Windmühlen gewinnen eine mediale Verehrung wie vormals Religionen.

Vor 40 Jahren herrschte das Desaster. Aber was in 40 Jahren sein wird ist offen. Die deutschen Zeitungen haben sich hinsichtlich des Ausgangs der Geschichte bisher immer fundamental geirrt.  Früher haben sie vom Endsieg, von der Freundschaft zur Sowjetunion und dem Sieg des Sozialismus gefaselt. Heute schreiben sie vom Sieg der Energiewende und wollen mit Gender nach dem blonden Germanen und der allseitig gebildeten sozialistische Persönlichkeit die mindestens dritte Variante des Neuen Menschen schaffen. Sie fabulieren sich wieder in eine abgefahrene Parallelwelt hinein.

Diese Parallelwelt ist die Welt der politisch Korrekten. Die Front der Gutmenschen und Anständigen wird so schlagartig zusammenbrechen wie vormals NSDAP und die SED, die auch unrealistische Ziele propagierten. Die Älteren haben es noch erlebt, wie von 2,2 Millionen Genossen innerhalb nur eines Vierteljahres zwei Millionen ihr Parteibuch weggeschleudert haben. Ein Wechsel geht ganz schnell und Millionen von rekrutierten Jasagern und korrupten Opportunisten verlaufen sich in Windeseile. Das Lustige nach so einem Zusammenbruch der Machtstrukturen: Hinterher haben immer alle schon lange das Gegenteil gewollt.

Die Medien merken es noch nicht, aber Deutschland ist wieder in einer vorrevolutionären Situation.  PEGIDA, das EIKE-Institut und die AfD sind Vorboten, so wie Wolf Biermann vor 40 Jahren aus einer extremen Minderheitenposition das Unmögliche dahersang.  Das scheinbar Unmögliche ist oft das Realistische, das scheinbar Realistische ist immer wieder das Unmögliche. Und was die deutschen Regierungen und Medien uns seit 1900 alles Unmögliches eingebrockt haben, endete noch immer im Unglück.

In einer russischen Anekdote fragt die Enkelin: „Großvater, was ist der Unterschied zwischen einem Unglück und einer Katastrophe?“ Der weise Großvater: „Wenn ein Zicklein von der Brücke fällt, ist das ein Unglück und keine Katastrophe. Wenn die ganze Regierung dagegen mit einem Flugzeug abstürzt, ist das eine Katastrophe, aber kein Unglück.“