Mit Steuergeldern aufs Traumschiff

Nach den letzten Wahlen in Deutschland wurde immer wieder die Wahlmüdigkeit beklagt. Aber eher ist es wohl Wachheit, also bewußte Distanz zu den politischen Apparaten, die sich in der abnehmenden Wahlbeteiligung manifestiert.

Nun gibt es ja spezielle Lokalitäten, die den Wähler mit dem Politiker verbinden sollen. In jeder größeren Stadt findet man sie, die zahlreichen Wahlkreisbüros von Abgeordneten jeglicher Ausrichtung. Hinter einem Schaufenster sieht man einen Schreibtisch und eine Sitzgruppe, dahinter Wahlplakate, Propagandaaufsteller und eine Europafahne. Wenn man Glück hat (oder ist es eher Pech?) ist das Büro gerade mit einem Mitarbeiter des Abgeordneten besetzt.

Die Oma geht herein und beschwert sich, daß nur auf einer Straßenseite eine überdachte Bushaltestelle ist und verlangt auch auf der anderen Seite Wetterschutz. Der Mitarbeiter erklärt ihr, daß er der Diener eines Bundestagsabgeordneten sei und daß sein Herr für die Bushaltestellen nicht zuständig ist. Sie müsse zum Stadtrat gehen. Die Oma versteht die Welt nicht mehr. Hin- und hergeschickt wird man von den Politikern!

Wenn es nur harmlose Bürger mit solchen persönlichen Anliegen wären, die den Parteifunktionären und ihren Mitarbeitern auflauern. Die meisten Quälgeister der Politik sind jedoch professionelle Schnorrer von den Verbänden, sogenannte Lobbyisten. Sie sind in der Regel hinter Fördergeldern her oder wollen, daß Politiker irgendwelche Ausnahmen organisieren, um die Taler in die eigene Tasche regnen zu lassen.

Erfahrene Politiker unterscheiden diese Lobbyisten in nützliche und lästige. Lästig sind alle diejenigen, die Geld wollen, ohne auch Wähler zu mobilisieren, nützlich sind langfristig mit bestimmten Parteien verbandelte Organisationen. Die SPD hat zum Beispiel die Arbeiterwohlfahrt AWO unter ihrer Kontrolle, die CDU das Christliche Jugenddorfwerk CJD. Da müssen die Geldflüsse kontinuierlich aufrecht erhalten werden, alleine ein Grund Große Koalitionen zu schließen, auch wenn man sich nicht liebt.

Die großen Schnorrer erscheinen nicht in Wahlkreisbüros, sie haben heiße Drähte zu Spitzenpolitikern. Es sind eher die kleinen Fische, die viele Gräten haben und im Büro eines Abgeordneten hereinschwimmen. Ein erfolgloser Musikschulenbesitzer ging dem Ministerpräsidenten eines kleinen Bundeslandes geschlagene 90 Minuten auf die Nerven, um eine Förderung für das Musizieren mit Alkoholikern zu erlangen. Eine stellungslose Pfarrerin wollte partout eine Halbzeitstelle im Kampf gegen Rechts, obwohl es keine Haushaltsstelle dafür gab. Heimat- und Sozialvereine wollen neue Möbel für ihr Büro und ein Schwerbehinderter wollte eine Multimediaausstattung.

Eine wirkliche Hilfe sind Wahlkreisbüros nicht. Wenn man sich direkt an die zuständigen Behörden wendet, die das Geld verteilen, und die Entscheidungen treffen, ist man in der Regel schneller, als wenn man den Umweg über Politiker geht. Denn diese Politiker kennen sich in der Regel nicht mit den Verwaltungsabläufen und Förderrichtlinien aus. Die Oma bekommt feuchte Händedrücke und gute Worte, aber ihre Bushaltestelle bekommt sie so nicht. Der Politiker übergibt die Sache an seine Beamten und dort versandet der Vorgang, weil der Politiker nicht weiter nachhakt.

Die Wahlkreisbüros und die darin sitzenden Mitarbeiter werden natürlich vom Steuerzahler bezahlt. In Thüringen beispielsweise gibt es nach der Drucksache 5/7875 immerhin 1.256,82 € pro Monat und Landtagsabgeordneten für diesen Zweck. Bei 91 Abgeordneten sind das alleine in diesem kleinen Bundesland 1,4 Mio € jährlich. Im ganzen Bund kommt bei einer Zahl von über 1.500 Bundestags- und Landtagsabgeordneten eine hoch zweistellige Summe jährlich für dieses Stück Pseudodemokratie zusammen. Für das verpulverte Geld könnte man die überdachte Bushaltestelle für die Großmutter und vieles andere ohne zu zucken bezahlen.

Mit dem üppigen Steuergeld werden Mitarbeiter beschäftigt, die den Abgeordneten den Rücken freihalten sollen. Sie versenden den Parteimitgliedern Geburtstagskarten, organisieren Parteievents, machen Öffentlichkeitsarbeit, tauchen auch in Wahlkämpfen auf und sitzen in Kommunalparlamenten. Das Problem betrifft übrigens alle Parteien gleichermaßen, die Regierung wie die Opposition.

Mit den Wahlkreis- und Fraktionsmitarbeitern ist ein hauptamtlicher politischer Apparat vorhanden, mit dem die Parteioberen die Willensbildung in der jeweiligen Partei beeinflussen. Es entsteht die Tendenz, daß Beschlüsse in Parteien nicht von unten nach oben gefaßt werden, sondern von oben nach unten durchgedrückt werden. Die Fraktionsmitarbeiter bringen die Zeit, Erfahrung und Organisation ein, die für die Beherrschung von Parteiorganisationen erforderlich ist. Hauptamtliche Funktionäre werden normalen Parteimitgliedern immer einen Schritt voraus sein.

Und Wahlkreismitarbeiter haben einen hohen Grad von wirtschaftlicher Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern, den Abgeordneten. Es ist, als wäre der Abgeordnete zweimal vorhanden und mit seinem Fraktionsmitarbeitern sogar dreimal. Mit einem bezahlten Apparat emanzipiert sich die Partei vom Mitglied und letztlich auch vom Wähler. Regierungsparteien werden durch Minister, Staatssekretäre und Beamte zusätzlich dominiert.  Kaum ein Parteitag, wo das Parteivolk nicht durch Amtsträger regelrecht besoffen gequatscht wird bis der Hosenboden heiß gesessen ist, die Zeit rum ist und alle nur noch nach Hause zu Mutti wollen.

Und dann gibt es noch die schwierige Abgrenzung von Abgeordneten- und Parteiarbeit. Die gute Nachricht: Die Mecklenburgische NPD hat eins vor den Latz bekommen, weil sie ein Fax zur Anmeldung einer Parteiveranstaltung von einem Bürgerbüro aus vorgenommen hat. Die schlechte Nachricht: Solche Vermengung kommt ungesühnt bei fast allen anderen Parteien vor. Wie oft sah man Wahlkreis- und Fraktionsmitarbeiter in Wahlkämpfen? Wie oft wurden Kommunikationsgeräte aufgabenwidrig verwendet und Räumlichkeiten verkehrt genutzt? Welcher gutwillige und exakte Fraktionsmitarbeiter kann verhindern, daß er auf dem falschen Telefon angerufen wird?

Nun hat auch schon die AfD den ersten Imageschaden: Zwischen einer thüringischen Abgeordneten und ihrer Ex-Wahlkreismitarbeiterin ist der Verbleib der Mitarbeitervergütung für zwei Monate strittig. Egal wie das ausgeht und wer Schuld hatte: Ohne dieses unnütze und verhexte Büro wäre die Welt noch in Ordnung.

Bürgerbüros bewirken eigentlich das Gegenteil von dem was sie sollen. Sie sind monetär sehr schwer sauber zu führen und fördern die Bürgerferne. Jeder, der in so ein Büro hereinschlendert, erkennt sehr schnell die Schwerfälligkeit des politischen Betriebs.
Die Parteien sollten wieder stärker von ihren Mitgliedern finanziert werden, statt von der Allgemeinheit. Dann können die Mitglieder von ihren Funktionären nicht mehr so arrogant übergangen werden, wie im laufenden Politikbetrieb üblich. Die Parlamentarier müßten auf Parteievents öfter mal zuhören, statt nur Monologe zu halten oder bei Podiumsdiskussionen und in Quasselshows zu glänzen.

Die hauptamtlichen Parteiapparate sind ein wesentlicher Motor der Entfremdung zwischen Bürgern und Parteien. Deshalb sollten sie beseitigt werden. Um sie rückstandslos zu entsorgen müssen die Fraktionsgelder und die Aufwandszulagen radikal gestrichen werden. Die etablierten Politiker werden sich natürlich mit Händen und Füßen dagegen wehren.

Die politische Klasse mit Abgeordnetenstatus hat sich weit vom Bürger und vom Wähler entfernt. Sie befindet sich auf einem Traumschiff, welches bereits abgelegt hat und nur noch anläßlich von Wahlen mal kurz im politischen Hafen bei der Basis ankert. Dann sind die Mitglieder vier Wochen lang gut, um zu plakatieren und Wurfzettel zu stecken. Auch das funktioniert nicht überall umsonst: Der Fraktionsvorsitzende einer großen Partei wurde vor der Plakatierung von einem Dorfbürgermeister mit folgender Forderung konfrontiert: „Wenn du mir keine Fördergelder für meine Feuerwehr gibst, kannst du vergessen, daß ich dich aufhänge!“