Deutschlands grüne Als-ob-Wirtschaft

„Green-Washing ist die gefährlichste Form der Politik: Sie gaukelt ökologische Lösungen vor, wo ökologisch und ökonomisch Schaden angerichtet wird. So tun als ob wird zur neuen Wirtschaftsform.“ Das hat uns Fritz Goergen in einem lesenswerten Eintrag faktengesättigt aufgetischt. „Hauptsache, die Fassade stimmt und ist grün angestrichen. Dass dahinter das Haus verrottet, kümmert nicht. So tun als ob vertagt und verschlimmert Probleme.“ So sein Fazit. Der Beitrag war in „Tichys Einblick“ eingestellt worden und ist nach ein paar Tagen viel zu früh schon wieder in den Tiefen des Internets versunken. Ich habe den Eintrag deswegen noch mal aus dem Orkus des Netzes hochgezogen und neu eingestellt.

Alte Autoreifen werden in Zementfakriken verbrannt, die hohe Temperaturen schätzen. Die Emissionauflagen für Zementwerke sind niederer als für das Thermische Recycling – der Einfluss der Zementlobby auf die Politik ist also höher. Würden Altreifen dagegen dem Thermischen Recycling zugeführt, gingen die Metallanteile in den Rohstoffkreislauf, denn die Verbrennung erzeugt Fernwärme und Strom. Aber solche Wahrheiten verschwinden hinter dem grünen Vorhang: Hauptsache, wir trennen Müll und fühlen uns wohl. Green-Washing ist die gefährlichste Form der Politik: Sie gaukelt ökologische Lösungen vor, wo ökologisch und ökonomisch Schaden angerichtet wird. So tun als ob wird zur neuen Wirtschaftsform.

So tun, als ob ist das Prinzip der Atommüll-Entsorgung. Was Deutschland an hochradioaktiven Atommüll noch zurücknehmen muss, hat in Gorleben leicht Platz. Aber mit Rücksicht auf die Wahlkreise roter und grüner Spitzenpolitiker ist das dort dafür errichtete und bestens ausgestattete Lager off-Limits. Also werden für 220 Millionen Euro drei weitere Zwischenlager in Hessen, Bayern und Schleswig-Holstein gebaut. Das Problem mit dem radioaktiven Müll wird so über das ganze Land verteilt. Das Geld wäre für alternative Entsorgungstechniken besser angelegt. Die neuen Zwischenlager erhöhen sogar das Risiko, besänftigen aber Wähler, weil “Vorleben nicht kommt”. Heiliger Sankt Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ and’re an. Hauptsache, die Fassade stimmt und ist grün angestrichen. Dass dahinter das Haus verrottet, kümmert nicht. So tun als ob vertagt und verschlimmert Probleme.

Neue Lösungen nur anderswo?

Australien will gebrauchte Brennelemente importieren und in Schnellen Brütern einsetzen, die ihre Wärmeenergie zur Stromerzeugung nicht mit Wasser und Dampf transportieren, sondern mit flüssigem Natrium. Einen solchen Reaktor hat das amerikanisch-japanische Unternehmen GE Hitachi Nuclear Energy (GEH) erfolgreich getestet. Zusammen mit drei US-Universitäten treibt GEH die Entwicklung weiter. Russland hat seinen Schnell-Reaktor BN-800 mit 789 Megawatt Leistung in Belojarsk fertig und bereitet einen BN-1200 mit 1130 Megawatt für 2020 vor. Sie können Uran und Plutonium aus russischen Atomwaffen verwenden, aber nach Aufbereitung jeden Atommüll.

Ist Deutschland ganz raus? Der politischen Großwetterlage nach ja, aber dank der Resträume von Freiheit doch nicht ganz. Das Berliner Startup-Unternehmen Institut für Festkörper-Kernphysik (IFK) hat in den letzten drei Jahren den Dual Fluid Reaktor entworfen und zum Patent angemeldet. Seine vielen Vorteile bringen vielleicht auch harte Atomkraftgegner zum Nachdenken. An einem solchen Salzschmelzreaktor arbeiten auch die Chinesen. Verbrennen kann er Atommüll, abgereichertes Uran, Natururan oder Thorium. Bei der Wiederaufbereitung direkt im Reaktor sind weder Explosion noch Kernschmelze möglich. Übrig bleiben geringe Mengen radioaktiver Stoffe, die für hunderte statt tausende Jahre gelagert werden müssen und teilweise in der Medizin nutzbar sind. Der Reaktor soll Strom für weniger als einen Cent pro Kilowattstunde liefern können.

Das Berliner Startup bewarb sich bei den deutschen GreenTec Awards unter der Schirmherrschaft von Peter Altmaier. In seiner Kategorie wurde es Sieger in der Online-Abstimmung und war damit automatisch für das Finale qualifiziert. Aber da es auf der Preisverleihungsgala auf keinen Fall einen Kernreaktor geben durfte, wurden die Regeln nachträglich geändert. Hauptsache, die Fassade stimmt. Dass dahinter das Haus verrottet, kümmert nicht. Zukunft wird abgeschaltet. Von der Energiewende wird geredet, also ob sie schon gelungen wäre. Ist sie aber nicht.

Aber eine Chance sieht das Unternehmen in Deutschland doch noch, und zwar bei der Endlager-Problematik. Dual-Fluid-Reaktoren könnten als Entsorger direkt auf dem Gelände der alten Kernkraftwerke Atommüll verbrennen, der dort in Castoren lagert. Das Atomgesetz erlaubt eine solche Alternative zur Endlagerung. Die “Nebenwirkung” bestünde in einer großen Menge Strom, die nach Atomgesetz nicht gewerblich genutzt werden dürfte. Die Pfiffigen von IFK haben einen konstruktiven Vorschlag: Kostenlos ins Netz einspeisen oder mit der Prozesswärme synthetisches Benzin herstellen. Von welchen Energie-Ressourcen wie viel – diese Jahrhundert-Frage ist mit der deutschen Gesetzgebung natürlich nicht abgeschlossen: Auch wenn unsere Mainstream-Öffentlichkeit meint: Hauptsache, die Fassade stimmt. Und Atomstrom ist böse, auch wenn er helfen könnte, das Endlagerproblem zu lösen.

Innovationswüste deutsche Politik

Im SMART-Projekt (Sustainable Moulding of Articles from Recycled Tyres) werden mit einem besseren Pressverfahren neue Verwendungsmöglichkeiten für Altreifen-Gummi erschlossen. Damit können Produkte ausschließlich aus Recyclinggummi hergestellt werden – ohne die bisher notwendigen Polyurethan-Bindemittel, was 50 Prozent der Materialkosten spart. Vorangetrieben wird das Projekt vor allem in Italien, Kroatien und Polen. Ein niederländisches Unternehmen will Straßen aus dem Plastikmüll der Meere bauen, stabiler, leichter und billiger als Asphalt – in Kooperation mit der ebenfalls niederländischen Ocean Cleanup Stiftung. Die tun was, statt Plastik zu verbrennen oder einfach verbieten zu wollen.

Plastic_Road

Es ist auch kein Zufall, dass Studenten der Universität Eindhoven ein Familien-Auto mit der Reichweite von 1.000 km gebaut haben, das seinen Solarstrom selbst produziert.

Deutschland dagegen produziert grünen Strom, ohne sich um den Absatz zu kümmern. Er wird verschenkt oder vernichtet, eine Art Energie-Simulation, ein als-ob-Strom, der zwar kostet, aber keine Arbeit verrichtet. 2013 blieben nach Bundesnetzagentur 555 Gigawattstunden an erneuerbaren Als-ob-Energien ungenutzt, weil die Hochspannungsleitungen überlastet waren. Fast 50.000 Mal mussten Umspannwerke in Schleswig-Holstein im Mai 2015 ihre Leistung reduzieren. Mit dem Boom der erneuerbaren Energien kommt der Netzausbau nicht mit. Windparks sind längst fertig, während Klagen den Bau von Hochspannungsmasten noch viele weitere Jahre verzögern. Die Windparkbetreiber werden über die EEG-Umlage schadlos gehalten. Sie gewinnen, auch wenn es sich nicht rechnet, denn die Gesamt-Rechnung bezahlt der Stromkunde per Umlage. Hauptsache, die Fassade stimmt. Dass dahinter das Haus nicht weiterkommt, kümmert nicht. Es ist wie es im Sozialismus war: Sinnlose Produkte werden hergestellt – ohne Rücksicht auf Verluste. Notwendiges unterbleibt – eine komplette Als-ob-Wirtschaft entsteht.

Politik macht keine Bildungspolitik für Schüler, sondern für gewerkschaftlich und parteipolitisch organisierte Lehrer, sagt ein angehender Abiturient hellsichtig in seinem ersten Buch (Besprechung demnächst hier). Wie groß ist der Lobby-Faktor in der Subvention erneuerbarer Energien? Damit wir uns nicht falsch verstehen: Neue Wege der Energieerzeugung finde ich gut, kombiniert mit so viel dezentraler Energieproduktion wie nur eben möglich fände ich sie noch besser. Ortsnahe Energieerzeugung würde Stromtrassen von der Ostsee bis zu den Alpen vielleicht überflüssig machen. Weshalb wird eigentlich alles immer nur in nationalen Grenzen gedacht und nicht europäisch? Wozu gibt’s die EU? Diese will übrigens 700 Millionen Euro ausgeben, um mit weltweit stärksten Lasern Atommüll zu zerstören (!) und neue Wege der Krebsbekämpfung bereitzustellen – wo? in Rumänien, Ungarn und der Tschechischen Republik.

Politische Technik-Entscheidungen sind chronisch falsch

Jene veraltete Technik von Kernreaktoren, die in Deutschland Stück für Stück aufhören werden, sind kein Ergebnis des Marktes oder des Kapitalismus, sondern das Produkt des Primats der Politik. Es lohnt, daran zu erinnern, dass SPD und Gewerkschaften die Fans dieser Kernenergie waren, ihnen allerdings auch alle anderen folgten: Staatsknete lockt die Mäuse an, als ob es richtige Wirtschaft wäre. Jetzt ist eine bestimmte Technik von Windrädern das Ergebnis des Primats der Politik. Jetzt wird die ohne rechts und links zu schauen überall in die Landschaft gesetzt. Alternativen sind unerwünscht. Wieder ist die Sackgasse der bevorzugte Verkehrsweg der Politik.

Geld kommt aus der Steckdose

Dabei gibt es Alternativen auch in der Windindustrie und rundherum. Auch wenn die Windenergie-Lobby kleine Windräder nur als Ergänzung zu großen einstuft und andere Lösungen wie vertikale Windturbinen als amerikanische Skurrilität bezeichnet, eine Vielfalt ist auch bei Windenergie möglich, sobald Politik die Finger von Technik-Entscheidungen lässt. Ein Schweizer Unternehmen will 2017 vertikal antreten. Gegen Pumpkraftwerke als Energiespeicher gibt es Widerstände, weil die Anwohner sie genauso wenig mögen wie Hochspannungsleitungen. Belgien plant eine künstliche Insel als Stromspeicher. Spanische und britische Forscher tüfteln an Windturbinen zwischen Brückenpfeilern. Ob aus beidem etwas wird, wissen wir nicht. Aber dass anderswo viele Ideen blühen dürfen, muss Deutschland zu denken geben. Doch für die Betreiber grüner Energiequellen kommt das Geld via Umlage automatisch aufs Konto, wozu also nachdenken und erfinden?

Warum passiert vieles, zu vieles nicht in Deutschland? Weil seine wirtschaftlichen Erfolgsbilanzen mehr auf Einsparungen beruhen als auf Erneuerung. Weil die Politik das Erreichte lieber verteilt, als Erneuerung erleichtert. Weil innovative Luft nur noch in Nischen geatmet wird. Weil der Schwung ganz raus ist, seit die große Koalition der Einbahndenker von ihrer loyalen Opposition im Ergebnis alternativlos unterstützt wird. Ja und nicht zu vergessen, weil es in den Medien zunehmend an kritischer Masse fehlt – oder energetisch gesprochen, die Masse nicht kritisch wird. So wird geredet und geredet, als ob das etwas vorwärts bringen würde.

Hauptsache, der Müll wird getrennt. Hauptsache, alles bleibt, wie es ist. Hauptsache, wir fühlen uns wohl. Stört unsere Kreise nicht. So wird das Nichts, Deutschland. Gestaltung statt Entsorgung ist angesagt. Politische Fassaden-Wirtschaft schadet Land und Leuten. So tun als ob kann keine Probleme lösen.

Ungarn baut einen Zaun an der serbischen Grenze, um Migranten auszusperren. China baut auf der grünen Wiese eine Megastadt-Region für 130 Millionen Menschen auf einer Fläche mehr als doppelt so groß wie Bayern. In Kenia und Nigeria bildet sich so etwas wie Silicon Savannah. Die EU sollte auf dem Balkan kleinere Silicon-Cities bauen, damit die Menschen, vor allem die jungen dort eine Zukunft finden. Grüne Wiesen braucht es dafür nicht: Es gibt im Bürgerkrieg zerstörte Plätze mehr als genug. Hört auf zu entsorgen, ihr Verantwortlichen in den Hauptstädten, fangt an zu gestalten. Es gibt viel zu tun.