Berlin sollte unter Aufsicht gestellt werden

Die deutsche Außenpolitik beschreitet in der Polenpolitik ausgetretene Pfade, die sich in der aktuellen Situation als Sackgassen erweisen werden. Noch vor dreißig Jahren waren ein Polenwitz, eine Rempelei der Volksmarine im Oderhaff oder auch eine abschätzige Bemerkung über das Nachbarvolk immer gut, um sich des Rückhalts nationalistischer deutscher Kreise zu versichern. Eine polenfeindliche politische Einstellung gab es übrigens nicht nur rechts, sondern auch links.

„Wie ist der Wechselkurs zwischen Mark und Zloty?“ „1:1, eine Mark gegen einen Eimer Zloty“, witzelte man in Ostberlin. Der damals wirklich schwindsüchtige Zloty hat die ebenso schwächelnde Ostmark überlebt. Es gab nicht nur humoristische, sondern auch bösartige Herabsetzungen unserer Nachbarn. Ich arbeitete 1980 in einem Weimarer Kombinat. Auf einer Betriebsversammlung anläßlich der Streiks in Danzig sagte der Parteisekretär wörtlich: „Die sollen lieber arbeiten, die Polenschweine.“ Das war zwar mehrheitsfähig, blieb aber schon damals nicht unwidersprochen. Die Jungingenieure sangen nach der Veranstaltung auf dem Flur:  Jeszcze Polska nie zginęła, Kiedy my żyjemy (Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben). Die Bonzen sollten sich wenigstens etwas ärgern.

Manche Politiker vergessen, daß seit 1980 fünfunddreißig Jahre vergangen sind.  Selbst in Vertriebenenkreisen hat man sich mit Polen weitgehend arrangiert.  Man kann nicht mehr erfolgreich mit den alten Ressentiments aus dem 20. Jahrhundert spielen. Denn es hat einen Generationswechsel gegeben und das nicht nur in Deutschland, sondern auch im Nachbarland.

Polenbashing wirkt heute stark antiquiert. Günther Oettinger (CDU) hat sich gerade gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung im Ton vergriffen. „Es spricht viel dafür, dass wir jetzt den Rechtsstaatsmechanismus aktivieren und Warschau unter Aufsicht stellen“, forderte er. Das erinnert an die beiden Generalgouvernements, in welche das im Ersten Weltkrieg von Russland eroberte Kongreßpolen 1915 eingeteilt wurde, ein vom deutschen General von Beseler verwaltetes in Warschau, ein vom cisleithanischen General Kuk verwaltetes in Lublin.

Weiß das Oettinger nicht? Oder weiß er es doch? Die Klärung dieser Frage ist müßig, weil Polen in der EU viel zu viele Freunde hat, die Partei gegen Deutschland ergreifen werden, wenn das Thema in Brüssel ernsthaft erörtert werden sollte. Es wird zu keiner Aufsicht Deutschlands über Warschau kommen, auch nicht über den Umweg der EU-Institutionen.  Politisch ist Deutschland in der EU zu isoliert und militärisch viel zu schwach, um wirksam zu drohen.

Es ist zwar unrealistisch, wäre jedoch sinnvoller, wenn Berlin unter internationale Aufsicht gestellt würde. Der Bruch des Maastricht-Vertrags durch Deutschland und die Nichtbeachtung des Schengen-Abkommens durch Bundeskanzler Frau Dr. Merkel würden das sicher rechtfertigen. Der Unmut vieler EU-Partner über die deutsche Energiepolitik, die deutsche Asylpolitik und die deutsche Europolitik wird jeden Tag stärker. Wer mit der deutschen Asylpolitik klarkommt, ärgert sich über die Euro-Stabilitätspolitik. Wer diese akzeptiert, ärgert sich über die Berliner Energiepolitik, und wer mit letzterer leben kann, verwundert sich über die Asylpolitik. Einige europäische Nachbarn halten die ganze deutsche Politik für absonderlich und verworren. Sie haben wohl Recht.