Die Nahles-Rente ist keine Wunderwaffe

Die von Reichskanzler Otto von Bismarck eingeführte Rente funktionierte in der Kaiserzeit so, daß Geld aus lebenslangen Beiträgen angespart und angelegt wurde. Der Beitragssatz für den Arbeitnehmer betrug 1891 0,6 % des Lohns. Leider hatte diese Rente einen Geburtsfehler. Das Geld wurde nicht werthaltig angelegt, sondern überwiegend in Staatsanleihen, denn es war ja eine staatliche Rente. Der Erste Weltkrieg kam und das Angesparte wurde von kulturellen, politischen und militärischen Eliten im wahrsten Sinne des Wortes verpulvert. 1924 waren noch knapp 15 % der eingezahlten Mittel vorhanden. In der Not wurden die Beiträge drastisch erhöht und die durch Krieg und staatssozialistische Mißwirtschaft entstandenen Löcher in den Rentenkassen mit Steuermitteln aufgefüllt. Das blieb bis 1957 so. Dann wurde von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer das Umlagesystem eingeführt.

Im Umlagesystem zahlen die wirtschaftlich Aktiven ein und die Rentner erhalten das Geld noch im selben Monat ausgezahlt. Überschüsse sind die Ausnahme. Dieses Umlagesystem stößt natürlich dann an seine Grenzen, wenn nicht genug Erwerbstätige da sind, um die Rentner zu versorgen. 1957 betrug der Beitragssatz 14 %. Heute beträgt er 18,7 %, wobei 2015 allerdings etwa 70 Mrd.€ zusätzlich zu den Beiträgen aus dem Bundeshaushalt kamen. Wenn das nicht der Fall wäre, läge der Beitragssatz heute bei etwa 23 %.

1957 mußten sich 3,6 Erwerbstätige einen Rentner teilen. Die Rente betrug etwa 65 % des Nettolohns. Heute sind es 2,2 Erwerbstätige, die einen Rentner durchzuschleppen haben. Das bedeutet letztlich, daß die Rente bei gleichem Beitragssatz von damals 14 % nur noch 40 % des Nettolohns betragen würde. Das Rentenniveau wurde seit 1957 annähernd gehalten, weil der Beitragssatz laufend erhöht wurde.  Man sieht deutlich, daß die Rentenhöhe zukünftig nicht haltbar ist, wenn die Relation zwischen Rentnern und Beschäftigten sich weiter verschlechtert.

Als Ausweg war den deutschen Rentenanwärtern von der Sozialdemokratie im Jahr 2001 das Kapitaldeckungsverfahren in Form der Riesterrente angepriesen worden. Wieder ein ähnliches Konstrukt wie die Bismarcksche Rente. Das Kapital der Riesterrente mußte wieder überwiegend in Staatsanleihen angelegt werden, weil diese angeblich sicher sind. Sichere Staatsanleihen sind derzeit mehr oder weniger zinslos, so daß das Riester-Geschäftsmodell grandios gescheitert ist. Würden Staatsanleihen noch verzinst, so würden die Zinsen von Staatsanleihen fatalerweise aus den Steuern der wirtschaftlich Aktiven bezahlt, also von denselben Leuten, die auch die Umlage für die Rente bezahlen. Dasselbe wäre mit Dividenden von Aktien der Fall, falls die Rentenprodukte in Aktien investiert wären. Ein Teufelskreis! Die Überlastung der umlagepflichtigen Beschäftigten ist bei Kapitaldeckung letztlich dieselbe, wie bei erhöhten Umlagen für die Rente. Dieses Phänomen hatte bereits 1952 Professor Gerhard Mackenroth in den Schriften des „Vereins für Socialpolitik“ scharfsinnig festgestellt:

„Nun gilt der einfache und klare Satz, daß aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muß. Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand fließen könnte, es gibt keine Ansammlung von Periode zu Periode, kein ‚Sparen‘ im privatwirtschaftlichen Sinne, es gibt einfach gar nichts anderes als das laufende Volkseinkommen als Quelle für den Sozialaufwand … Kapitalansammlungsverfahren und Umlageverfahren sind also der Sache nach gar nicht wesentlich verschieden. Volkswirtschaftlich gibt es immer nur ein Umlageverfahren.“

In Unkenntnis der Weisheiten von Prof. Mackenroth arbeitet Andrea Nahles an einer neuen kapitalansammelnden Wunderwaffe, der Nahles-Rente. Diese betriebliche Altersvorsorge funktioniert so, daß zentrale Versorgungseinrichtungen gegründet werden sollen, die das Geld möglichst kostengünstig und renditeträchtig anlegen. Eigentlich ist das wieder das Modell der gescheiterten Riesterrente. In diese Pensionsfonds könnten die Firmen einfach die Beiträge ihrer Mitarbeiter einspeisen. Ein verpflichtender Arbeitgeberzuschuss soll die Attraktivität erhöhen.

Als Vorbildstaaten mit hohen betrieblichen Rentenanteilen werden uns die Vereinigten Staaten und ausgerechnet Italien genannt. In Italien gibt es wegen den hohen gesetzlichen Abfindungen fast nur Einmann- und Familienbetriebe. In diesen wird die betriebliche Altersversorgung durch Investitionen von hinterzogenen Steuern in Immobilien betrieben. Größere Betriebe sind ins Ausland umgezogen, zuletzt FIAT. In den Vereinigten Staaten gab es viele Insolvenzverfahren, in denen sich die Firmen der Pensionslasten entledigt oder teilweise entledigt haben. Prominenteste Beispiele: General Motors und die Stadt Detroit. Ford hatte seinen Rentnern das Angebot gemacht, den ganzen Anspruch auf einmal auszuzahlen, um die Last loszuwerden. Auch Italiener und Amerikaner können nicht zaubern!

Die Bundesministerin Nahles kann im Viereck springen. Was sie auch ausheckt: Die Rente muß von den wirtschaftlich Aktiven ausgeschwitzt werden. Ob man es ihnen über Steuern oder Sozialabgaben abnimmt ist wurscht. Ob man es als Umlage gestaltet, als Riesterrente mit Staatsanleihen unterlegt oder als Pensionsfonds mit Aktien ist auch egal. Wie man es auch immer macht: die Renten schmälern so oder so den Nettolohn.

Die Propaganda für die Nahles-Rente ist ein plumper Verdummungsversuch in der Tradition der Werbung für die Riester-Rente. Die Rente läßt sich langfristig nur mit einer völlig reduzierten Besteuerung der Familien retten, um den Familien wieder die Möglichkeit zu geben, viele Kinder großzuziehen. Weder Nahles noch Riester haben das Verhältnis von Einzahlern zu Rentenempfängern verbessert, im Gegenteil. Je mehr Frauen man als letzte Reserve als Beitragszahler für den Arbeitsmarkt rekrutiert, desto weniger Kinder werden geboren. Kinder sind jedoch die Beitragszahler von morgen.