Wählen auf der Überholspur

Vor 30 Jahren war es in der alten wohlgeordneten Bundesrepublik eine Sensation, wenn acht bis zehn Prozent der Wähler ihr Kreuz mal woanders gemacht hatten, als beim letzten Mal. Von einem Erdrutsch war in den Medien dann die Rede.

Wegen zehn Prozent wird heute kein Chefredakteur mehr aus dem Bett geholt. Denn im Laufe der Zeit wurde das Wahlverhalten in Deutschland unberechenbarer. Am 23. September 2001 erhielt die Partei Rechtsstaatliche Offensive – vulgo die Schill-Partei – bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg aus dem Stand heraus 19,4 % der Wählerstimmen. Bereits am 26. April 1998 hatte die DVU in Sachsen-Anhalt einen spektakulären Erfolg eingefahren: 12,9 %, während die Prognosen drei Tage vorher noch von 6 % ausgingen.

Das Wahlergebnis 1998 in Sachsen-Anhalt war durch die vorausgegangene SPD-Minderheitsregierung unter Tolerierung der Stacheldraht-PDS begünstigt worden, der Schill-Erfolg in Hamburg war durch unhaltbare Zustände unter der SPD-Regierung von Ortwin Runde zustande gekommen. Der öffentliche Raum Hamburgs wurde Ende der 90er Jahre durch körperliche und verbale Aggression von Ausländern, aber auch von Deutschen dominiert. Es war an Brennpunkten, insbesondere in den öffentlichen Verkehrsmitteln, keine Polizei da, keine Bundeswehr, kein Ordnungsamt und schon gar kein Ortwin Runde. Die Kultur des Wegsehens, der politischen Ignoranz, des „es-kann-nicht-sein-was nicht-sein-darf“ der regierenden SPD rächte sich bei der Bürgerschaftswahl 2001.

Die Berufspolitiker der Nationalen Front von CDUSPDGRÜNELINKE sind heutzutage genauso unsensibel wie damals. Nun haben wir mittlerweile zwei Wahlergebnisse registriert, wo die AfD aus dem Nichts aufgetaucht ist und über 20 % der Stimmen geholt hat. 24,3 % in Sachsen-Anhalt und 21,0  % in Mecklenburg-Vorpommern. SPD, CDU und FDP haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten mit elitären Konzepten des grenzenlosen Weltbürgertums sehr zu ihren Ungunsten verändert, vom meist nur der eigenen Muttersprache mächtigen Wahlbürger weit entfernt und der entstandene freie politische Raum wurde und wird nun neu verteilt.

Am 10. Mai 2016 fand an einem geheimen Ort das Sommerfest eines Kreisverbands der thüringischen AfD statt und der Landessprecher Björn Höcke sprach erstmalig davon, daß die AfD eine Koalition mit der CDU nur eingehen werde, wenn die CDU der Juniorpartner wäre und wenn bei der CDU ein weitgehender Personalaustausch stattgefunden hätte. „Ehrgeizige Ziele sind das“, dachte ich mir damals. Aber die Zuhörer wurden überzeugt, daß alles andere keinen Zweck hat.

Bei der Wahl im März 2016 in Sachsen-Anhalt hatte die CDU noch 29,8 % und die AfD nur 24,3 % geholt. Damals fehlten 4,5 % um Seniorpartner einer Koalition zu werden. Jetzt sechs Monate später in Mecklenburg hat es die AfD erstmalig geschafft, die CDU zu überholen. Mit 21% zu 19,1 %. Das hatte die arrogante Merkel-Kamarilla in Berlin nicht auf dem Schirm, daß die verärgerten Wähler aus der CDU Kleinholz machen würden.

Ein besonders schönes Detail: Die grüne Partei der Kohle-, Glühlampen-, Zucker- und Wurstverächter ist sang- und klanglos untergegangen. Das muß sich in anderen Ländern unbedingt wiederholen!

Politik auf der Überholspur! Bei diesem Tempo – vor drei Jahren war die AfD noch mit 4,7 % bei der Bundestagswahl gescheitert – ist es erforderlich sich selbst zu disziplinieren. Denn Erfolg kann auch zu Kopfe steigen. Die Bodenhaftung, der Bezug zur Parteibasis und zum Bürger muß so erhalten bleiben, wie es die Intention bei der Gründung der Partei 2013 war: Bürgerbeteiligung, Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild, Mitsprache der Parteibasis. Bisher hat das ganz gut geklappt. Insbesondere der Programmprozeß verlief durch Internetbefragungen und Mitgliederparteitage transparenter als bei anderen Parteien. Dieser Markenkern muß auch erhalten bleiben, wenn fast jedes zehnte Mitglied der AfD in einem Landtag sitzt. Solche autistischen, abgehobenen und beratungsresistenten Parlamentarier wie Frau Dr. Merkel kann die Alternative nicht gebrauchen. Gesucht werden Abgeordnete, die eine Berufskarriere in der Wirtschaft hinter sich haben, die schon mal eigenes Geld verdient haben, die in Wahlkreisveranstaltungen nicht nur reden, sondern auch zuhören können und die Sorgen und Nöte des Volks ins Parlament tragen.

Nach Landtagswahlen gibt es immer eine seltsame Zeremonie der Machtbesoffenheit im zwangsfinanzierten Staatsfernsehen. Die Generalsekretäre bzw. Bundesgeschäftsführer der Bundestagsparteien finden sich in der sogenannten „Berliner Runde“ zusammen. Die versammelten Wahlverlierer schwabulieren über die abwesenden Wahlgewinner und reden sich ihre klein gewordene Welt schön. „In den Umfragen und an unseren Ständen kam überall eine positive Grundstimmung rüber. Die Stimmabgabe sollte in Zukunft transparent und öffentlich vor Mitarbeitern der Amadeo-Stiftung erfolgen, und nicht hinter dem Schmuddelvorhang der Wahlkabine“. Oder: „An der Vermittlung unserer Positionen werden wir verstärkt arbeiten, auch wenn wir selbst noch keinen konkreten Plan haben. Und wir möchten die Wahlergebnisse, die heute abend hier herumgereicht werden, gar nicht zur Kenntnis nehmen. Es geht doch um die Menschen und nicht um Zahlen.“