Macht Kahane Nachtschicht bei der WELT?

Sarah Pines hat in der WELT unter der Überschrift „Der George-Kreis existiert noch. Eine Sensation“ die Spurensuche nach einem schwulen Literaten-Geheimbund veröffentlicht. Allerdings ohne belastbare Beweise zu erbringen:

„Ein alter Mann mit gipsweißem Haar kommt herbei. Er umarmt den Älteren, zu hören ist das hohle Klopfen flacher Hände zwischen Schulterblättern. Dann wendet er sich dem Jüngeren zu, sagt scherzend etwas, lacht, nimmt dessen Gesicht zwischen die Hände, küsst ihn auf den Scheitel, auf den Mund. „Willkommen, komm …“. So in etwa erinnert sich der einst junge Mann an das erste Treffen mit dem Meister des George-Kreises vor etwa vierzig Jahren, dessen Namen er, wie seinen eigenen, unerwähnt lässt. Templer, Illuminaten, Freimaurer, Mafia – der Kreis um den Dichter Stefan George und dessen Nachfolger ist der vielleicht einzige literarische Geheimbund. Anders als meist angenommen, existiert der Kreis weiter, ist vielleicht mehr Geheimnis denn je. (…)
Alte Fotografien zeigen ihn (George) übernächtigt und kastig wie Packpapier inmitten hochgewachsener, jüngerer Männer in flaschenfarbenen Anzügen und mit guten Haarschnitten.
Anders als für Zeitgenossen wie Hugo von Hofmannsthal oder Rainer Maria Rilke, waren für George Gedichte eine Lebensform, die er mit gleichgesinnten Männern teilte. Im ersten Jahrzehnt nach 1900 war der lose Künstlerbund um Georges Zeitschrift „Blätter für die Kunst“ in den sogenannten „Kreis“ übergegangen. George und Nachfolger („Meister“) scharten Jünger („Kinder“) um sich, intelligente, für schön befundene Männer mit intellektuellem und rebellischem je ne sais quoi. Ziel: die Schaffung eines „Geheimen Deutschland“, Hybrid aus antibürgerlicher Alternativgesellschaft, spartanischem Jungenbund und Ritterorden.“

Soweit die WELT. Der George-Kreis mit seinem übersteigert-elitären Ästhetizismus gehörte zu den intellektuellen Wegbereitern des Nationalsozialismus. Diese Meinung vertraten die Zeitgenossen Walter Benjamin, Theodor W. Adorno und Thomas Mann. Ist insofern nicht abwegig, weil der Nationalsozialismus ja auch ein hierarchisch geführtes Elitenprojekt als Männerbund war. Als Hitler im Frühjahr 1934 Italien besuchte, hielt er dem genervten Mussolini belehrende Vorträge darüber, daß alle mediterranen Völker mit Negerblut belastet seien, also auch die Italiener. Nach dem Röhm-Putsch vom Juni 1934, als die schwule SA-Führung nachts aus den Betten geholt wurde, verschaffte sich Mussolini Genugtuung, indem er die NS-Bewegung als eine Bewegung von Päderasten verspottete. Soweit die Diskussion unter Zeitgenossen.

Unter Sarah Pines WELT-Artikel hatte ich als Kommentar ein George-Zitat aus dem Frühjahr 1914 gestellt, um ein Tröpfchen Gift in den Ozean der George-Bewunderung zu schütten. Und um das zarte Pflänzchen des Zweifels an Eliteprojekten nicht eingehen zu lassen:

Den einzigen, der hilft, den mann gebiert…
Der sprengt die ketten, fegt auf trümmerstätten
Die ordnung, geisselt die verlaufnen heim
Ins ewige recht, wo grosses wiederum gross ist,
Herr wiederum herr, zucht wiederum zucht. Er heftet
Das wahre sinnbild auf das völkische banner.
Er führt durch sturm und grausige signale
Des frührots seiner treuen schar zum werk
Des wachen tags und pflanzt das Neue Reich.

Das Zitat hat mir die WELT über Nacht gelöscht. Das Löschen nennt sich neuerdings „Kampf gegen Rechts“. Die Kulturredakteure wollen selbstherrlich bestimmen was „rechts“ ist, sie streben wie Adolf Hitler und Josef Stalin die absolute Deutungshoheit an. Kleine Hosentaschen-Nazis sind das in den Redaktionen.