Europa braucht Venedig

1797 wurde ein wichtiger Baustein der europäischen Ordnung von Napoleon vernichtet: Die Seerepublik Venedig. Die Venetianer waren ein notwendiges und effizientes Bindeglied zwischen dem lateinischen Europa, der islamischen Levanthe und den Trümmern des orthodoxen Ostens gewesen. Ein außenpolitisches Kompetenzzentrum. Die Republik setzte auf außergewöhnliche Disziplin, militärische Stärke, jahrhundertelange Erfahrung, besonders effiziente Spionage und eine pragmatische Diplomatie. Alles Eigenschaften und Fähigkeiten, die dem modernen Europa im Umgang mit den Moslems völlig fehlen. Wenn man dagegen rückblickend die Verhandlungen von Frau Dr. Merkel mit dem Türkensultan vom Herbst 2015 analysiert, wird einem angesichts der Unprofessionalität speiübel.

Im Lichte der neuen islamischen Eroberungswelle braucht Europa ein wiederhergestelltes Venetien als Vorposten, Seemacht und Mittler zwischen den Interessen. Als Spezialisten für den Umgang mit fremden orientalischen Gebräuchen. Die ideologischen Motivationen der heutigen Politikergeneration müssen wieder dem traditionellen venetianischen Pragmatismus, präziser ökonomischer Analyse und gelebter Rationalität weichen. Aus ideologischen und religiösen Streitigkeiten hielt sich Venedig weitgehend heraus. Richtschnur waren nur der eigene Vorteil und das Überleben der Institutionen des Staats. Byzanz, Bulgarien, die Walachei, Ungarn und Serbien wurden von den Türken überrannt. Venedig wurde zwar in zahlreiche Kriege mit der Türkei verwickelt, hielt als Grenzposten des Abendlandes letztlich aber stand. Egal, ob die Dogen Schlachten und Kriege gewannen oder verloren, der diplomatische Faden zur Hohen Pforte in Konstantinopel riß nie ab.

Als Landmacht ist in Wien mittlerweile ein Quasi-Habsburg entstanden, das die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen des Balkans koordiniert, so wie das bis zum Ende des 18. Jahrhunderts der Fall war. Ohne die österreichischen Anstrengungen wäre eine Sperrung der Balkanroute Anfang 2016 nicht möglich gewesen. So wie Wien zu Lande einen Rest von Ordnung aufrecht erhält, so braucht Europa auch eine kompetente Seemacht, die im östlichen Mittelmeer beobachtet, aufräumt und koordiniert.

An den Venetianern liegt es nicht. Natürlich wollen sie ihre Unabhängigkeit zurück. Im März 2014 wurde bereits ein Internet-Votum der Venetianer eingeholt. 5000 Venezianer fanden sich nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse des Plebiszits über die Unabhängigkeit Venetiens auf der Piazza dei Signori mit den Fahnen von San Marco ein, um die Resultate enthusiastisch zu feiern. Ansprachen wurden im venetianischen Dialekt gehalten und Chöre mit dem Ruf „Freiheit, Freiheit“ schallten über den Platz. Die Politiker der großen Parteien ließen sich allerdings nicht sehen.

Das Ergebniss des Votums sah so aus:

Soll die Republik VENETO unabhängig und souverän werden?
• Gültige Stimmen: 2.360.235 =  63,23 % der Wahlberechtigten
• JA : 2.102.969 gleich 89,1 % der abgegebenen gültigen Stimmen
• NO: 257.266 gleich 10,9 % der abgegebenen gültigen Stimmen
• ungültige Stimmen : 6.815 , entsprechend 0,29 % der abgegebenen gültigen Stimmen

55,4 % der Wahlberechtigten hatten sich für die Unabhängigkeit entschieden, wenn man die Wahlbeteiligung berücksichtigt. In Rom sind bei der Umsetzung natürlich Hindernisse zu überwinden. Die Republik Italien ist nach der Verfassung unteilbar. So locker allerdings wie inzwischen mit dem Recht, zum Beispiel mit dem Vertrag von Maastricht oder von Schengen umgegangen wird, sind rechtliche Bindungen heutzutage leider kein Problem mehr. Die wackelige römische Administration kann mit leichter Mühe zermürbt und zum Aufgeben gezwungen werden.

Für den Oktober 2017 hat die Regionalregierung Venetiens das offizielle Referendum angesetzt. Neben dem Autonomie-Referendum, beschloß der venezianische Rat auch das Regionalgesetz Nummer 16 von 2014 über die Abhaltung eines Referendums über die Unabhängigkeit der Region Veneto.

Nach dem Beschluß der beiden Referenden trat das italienische Verfassungsgericht in Aktion und stellte zunächst die Verfassungswidrigkeit des Referendums über die Unabhängigkeit einer hypothetischen Republik Venedig fest, weil Italien unteilbar sei Das Gericht tat sich mit der gewünschten Steuerhoheit Venetiens schwer, ließ aber Autonomie im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung zu, insbesondere auf dem Gebiet der Bildung, des Schutzes der Umwelt und des Kulturerbes.

Am 24. April 2017 erließ der venetianische Gouverneur Luca Zaia ein Dekret und rief für den 22. Oktober zu den Urnen. Das Datum wurde gewählt, weil in der Lombardei am gleichen Tag ein ähnliches Referendum abgehalten werden wird und Rom, so Zaia „einer gemeinsamen Antwort bedürfe“.

Das politische Rom ist derzeit mit der Hafenkrise beschäftigt, weil ausländische Rechtsbrecher, sogenannte NGO´s, illegal Afrikaner anlanden. Es ist mit der kostspieligen Rettung dreier Großbanken überfordert. Ausländische Mächte und Finanzorganisationen beraten aktuell über die Köpfe der Italiener hinweg über die Umschuldung der gigantischen Staatsschuld. Die regierende Demokratische Partei zerlegt sich gerade selbst. Die Sperrung des Brennerpasses durch Österreich droht, mit allen negativen Auswirkungen auf den italienischen Tourismus. Viele Urlauber werden sich überlegen, ob sie bei der Rückreise stundenlang im Stau stehen wollen. Frankreich hat sich gegenüber Italien bereits verbarrikadiert.

In dieser unübersichtlichen Situation beginnen nun auch noch die nationalen Minderheiten und Regionen an den römischen Ketten zu zerren. Die Krise Italiens ist durch das Versagen der Euliten ausgelöst worden. Das Europa der dirigistischen und übergriffigen EU befindet sich in einem fundamentalen Tief, auch wenn die Präsidentenwahl in Frankreich ein retardierendes Moment im Brüsseler Drama war. Eine Erneuerung Europas kann nicht durch noch mehr Zentralismus, sondern nur durch mehr Innovation und mehr Wettbewerb bewirkt werden. Es ist nicht nur der ökonomische Wettbewerb, der in den Ketten des Euros nicht mehr funktioniert. Mehr noch fehlt der Wettbewerb um die effiziente Außenpolitik und die erfolgreiche Sicherheitspolitik. Da ist die Löslösung von Brüssel eminent wichtig, denn Brüssel wird jedes Entstehen eines alternativen außenpolitischen und sicherheitspolitischen Kompetenzzentrums mit Klauen und Zähnen zu verhindern suchen. Je impotenter die europäischen Zwerge, desto eifersüchtiger wachen sie über ihr politisches Monopol und ihre angehäuften Pensionsschätze. So wie der Zwerg Alberich in Richard Wagners Oper das Rheingold an sich bringt und einen Ring daraus schmiedet, mit dem er die Welt beherrschen will.

Die Großreiche des 17. und 18. Jahrhunderts waren schlauer, als die heutigen Eurokraten. Sie ließen Venedig gewähren und profitierten von seiner Funktion im östlichen Mittelmeer. Schade nur, daß es nicht möglich sein wird, unmittelbar an die Praxis des alten Venedigs anzuknüpfen. In über 200 Jahren ist der größte Teil der diplomatischen und kommerziellen Kompetenzen der Seerepublik erst einmal verloren gegangen. Es dauert Zeit aufzubauen, was zerstört worden ist. Wien hat seit 1990 fast dreißig Jahre gebraucht, um nach- und aufzubereiten, was auf dem Balkan und im Osten zwischen 1918 und 1990 außenpolitisch vergeigt worden war.