Das Momentum wird verspielt

Am Wahlabend herrschte gedrückte Stimmung bei der CDU. Und dann kam etwas später auch noch die Nachricht rein, daß die SPD künftig schwadronieren statt mitregieren will. Nun hat Merkel nur noch eine Option: Die Schwampel oder wie die Medien das verklärend beniemsen: Jamaika. In den Medien kochte in den nächsten Tagen eine gewisse Begeisterung für diese schräge Koalition hoch, es entstand ein Momentum, eine Kombination aus propagandistischer Bewegung und agitatorischer Kraft. Alles wurde schöngeredet, die Konfliktlinien unterbelichtet. Eine dynamische Regierung, die Deutschland modernisieren wird stünde in den Startlöchern. Die WELT N24 phantasierte:

„Auf den ersten Blick wirkt das Bündnis fast unmöglich: Eine völlig profillose CDU, eine um konservative Stammwähler ringende CSU und zwei einander ideologisch ablehnende Besserverdienener-Parteien haben kaum Gemeinsamkeiten.

Gerade deshalb könnten unorthodoxe Lösungen gefunden werden. Da Jürgen Trittin ja auch noch zustimmen muss, wollen wir es marxistisch formulieren: Jamaika muss die Widersprüche produktiv machen!“

Letztes Beispiel für so ein Momentum, also einen Medienhype: Der Schulzzug. Er setzte sich Ende Januar unter dem bestellten Jubel der SPD-Parteijugend in Bewegung, rammte Putin, Petri und Trump, gewann an Geschwindigkeit und überzeugte im Februar und März über 30 % der Wähler von den Qualitäten des Hallodri-Spitzbarts. Bereits Anfang Mai war die letzte Kohle im Tender verheizt, das Computerspiel vom Schulzzug wurde um die drei vorbenannten Bösewichter bereinigt und die SPD fiel auf ihre alten Umfragewerte aus der Gabriel-Zeit zurück.

Die Medien hatten genug Zeit, jeden Auftritt und jegliche Äußerung des Kanzlerkandidaten zu zerpflücken, die inhaltliche Leere seines Wahlprogramms zu entdecken und zu geißeln. Der rote Lack platzte innerhalb von zwei Monaten ab. Jede noch so gute Sache wird in einem Vierteljahr zerredet und fragile Absonderlichkeiten schon ganz und gar.

Nun läßt sich die Kanzlerin mit der Regierungsbildung alle Zeit der Welt. Nicht einmal eine Einladung zur Sondierung ist versendet worden. Zunächst nahm sie Termine beim Landtagswahlkampf in Niedersachsen wahr. Danach will sie sich mit der CSU zusammenraufen. Und dann sind wohl erst die Sondierungen dran. Ihr dicker Freund Altmaier verkündigte, daß die Verhandlungen möglicherweise 2018 abgeschlossen würden.

Also spätestens Weihnachten ist das Elitenprojekt Jamaika zerredet und jegliche Begeisterung der Medien wird verflogen sein. Ab einem bestimmten Punkt wird die journalistische Koterie nur noch in Pech und Pannen rumstochern.  Die köstliche Zeit verfließt und zum Beispiel die Österreich-Wahl Mitte Oktober wird den CSU-Granden in München den Weg weisen, wie man wieder regierungsfähig wird: Durch Anerkennung der Realitäten und einen scharfen Rechtsschwenk.

Auch in der FDP mehren sich bereits die kritischen Stimmen. Der Thüringer Landesvorsitzende Thomas Kemmerich: „Das Ende von Schwarz-Gelb im Jahr 2013 war das Ende liberaler Politik im Deutschen Bundestag und der Beginn des Aufstiegs der AfD“. „Wer sich mit dieser Bundeskanzlerin ins Bett legt, kommt darin um.“ Die Angst vor der schwarzen Witwe der deutschen Politik geht nicht nur in der FDP um. Allerdings ist der Parteivorsitzende Christian Lindner scharf wie ein Guppy auf einen Ministerposten. Eine Anekdote zu seiner Vita: Auf dem Neujahrsempfang der FDP 2010 in Jena wurde der damalige Generalsekretär den belustigten Parteifreunden als Patrick Lindner angekündigt, ein freudscher Versprecher des Jenaer Parteisekretärs, der in das Ansehen des rheinischen Youngsters tief blicken ließ.

Bei den Grünen wird der linke Flügel um Trittin versuchen CSU und FDP daran zu hindern, ihre Wahlversprechen einzuhalten. Sollte das funktionieren, stehen sie da, wie 2009: Mit solchen Danaergeschenken wie einer Mehrwertsteuersenkung für Hotels und einem lohnenden Ministerposten. „Einmal um die ganze Welt, und die Taschen voller Geld…“, sang der Westerwelle-Darsteller bei der Münchner Starkbierprobe 2010. Und die Münchner High Society klatschte sich lachend auf die Schenkel.

Selbst ob die Grünen von einer Schwampel profitieren würden, steht in den Sternen. Auch der Bonusmeilen-Vielflieger Özdemir und Göring-Eckardt lechzen ohne Rücksicht auf grüne Verluste nach einem Ministerium. Noch stehen die Medien zu ihnen und unterstützen jeden grünen Schwenk. Dank nur geringer programmatischer Unterschiede zu SPD und Linken könnten die bisherigen Schönschreiber und Ohrenbläser der Grünen zu den oppositionellen Roten überlaufen, wenn diese sich einigermaßen geschickt anstellen. Ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Vom Parteivolk ganz zu schweigen. Die kurdische Politikerin Bayrem, die einen Berliner Wahlkreis direkt gewonnen hat, verweigert bereits vorneweg jedwede Huldigung von Dr. Merkel.

Je mehr Zeit vergeht, desto mehr wird die Schwampel zerknetscht und um so wahrscheinlicher wird ein Scheitern von Dr. Merkel bei der Regierungsbildung. Scheitert die Regierungsbildung, scheitert auch sie. Der Sozialdemokrat Oppermann hat schon ausgeplaudert, daß bei ihrem Rücktritt auch eine vierte Auflage der Groko möglich wäre…