Das bedingungslose Grundeinkommen des Bundestags

Aktuell haben sich CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP im Bundestag wieder die Taschen vollgehauen und eine automatische Diätenerhöhung beschlossen. Nur die Linken und die Alternativen haben dagegen gestimmt und damit Einstimmigkeit wie in der Volkskammer verhindert. 2018 werden nach einer Berechnung des Steuerzahlerbundes 517 Mio. € mandatsbezogene Ausgaben für 709 Parlamentarier fällig. Das sind 729.196 € pro Abgeordneten. Natürlich einschließlich der Kosten einer zahlreichen Dienerschaft. Gehts noch?

Da ist ein vergleichender Blick zurück auf den Deutschen Reichstag von 1871 bis 1918 sehr interessant. Im Artikel 32 der Reichsverfassung stand: „Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehen.“

Ulli Kulke zitierte in einem lesenswerten Artikel der WELT den Kanzler Bismarck, der sehr früh vor „schmutzigen Diätenrentiers, die den Freiheitsdurst des Volkes mit ihrem Hunger verwechseln“ gewarnt hatte. Die „vielfach geforderten Abgeordneten-Enschädigungen“ sah er als „Besoldung des gebildeten Proletariats zum Zwecke des gewerbsmäßigen Betriebes der Demagogie“.

Ab 1873 gewährte die Reichsleitung den Abgeordneten wenigstens den Freifahrtschein zwischen dem Wohnort und Berlin.

Dieser absolut einkunftslose Abgeordnete war in der Praxis auch kein Patentrezept, um freudiges Arbeiten zu erzielen. Es herrschten damals dieselben Mißstände wie im überbezahlten Bundestag heute. Hermann Butzer schreibt in seinem Buch „Diäten und Freifahrt im Deutschen Reichstag“ von einer „permanenten Beschlussunfähigkeit des Reichstags“, weil die Diätenlosigkeit die Lust, nach Berlin zu fahren, nicht förderte.

Gustav Noske (SPD) erinnerte sich später an jene Jahre: „Im Saal hörten meistens kaum ein Dutzend Abgeordnete den Reden zu, in der Regel nur ein paar Fraktionskollegen, die ‚Beifall‘ ins Protokoll brachten, und der Redner, der als Nächstes zu Wort kommen sollte.“

Die Beschlußfähigkeit mit 50 % der gewählten Abgeordneten war oft nicht gegeben, vom Parlamentspräsidium wurde darüber großzügig hinweggesehen. Offenbar wurde die Leere des Hohen Hauses immer dann, wenn namentliche Abstimmung verlangt wurde. Noch einmal Ulli Kulke:

„Wollte eine Fraktion die Annahme bestimmter Anträge sicher verhindern, beantragte sie namentliche Abstimmung, was die Wahrheit unausweichlich dokumentierte. In dem Fall mussten die Antragsteller zusehen, wie sie möglichst schnell eine eigene Mehrheit aus dem Land zusammentelegrafieren konnten, aus der Provinz und aus den entlegensten Wahlkreisen. „Der Landsturm“ kommt, hieß es dann, oder auch „die Alpenveilchen“. Damit die Abstimmung nicht vor deren Ankunft über die Bühne ging, inszenierte man nun Endlosdebatten, die sich über mehrere Tage hinzogen.“

Ab 1906 bekamen die Abgeordneten 3.000 Mark jährlich, um dem Übel zu steuern. Eine Mark entsprach 0,358423 Gramm Feingold. Nach heutiger Notierung wären 3.000 Mark also etwa 36.550 € im Jahr oder 3.050 € im Monat. Die Vergütung entsprach damals etwa einem zweieinhalbfachen Mauererlohn.

Bei 100 Plenarsitzungen im Jahr entsprachen die Diäten einem Tagegeld von 30 Mark. Für jeden Tag, an dem ein Reichstagsabgeordneter der Sitzung fernblieb, wurden allerdings 20 Mark abgezogen. Die Anwesenheit musste durch einen Eintrag in eine Liste während der Dauer der Plenarsitzung nachgewiesen werden. Interesselosigkeit und Faulheit wurden im Kaiserreich noch hart bestraft.

Folgende Schlußfolgerung kann man ziehen. Eine mäßige Vergütung der Abgeordnetentätigkeit schadet nicht. Abwesenheit sollte wie 1906 bis 1918 den Wegfall von 2/3 der Vergütung nach sich ziehen. So könnte man die Faultierfarm Bundestag wieder auf Trab bringen. Zustände wie beim Beschluß des Zensurgesetzes mit etwa 40 Parlamentariern im Saal dürften dann der Vergangenheit angehören.