Die Geister, die Oskar rief

Der 2017er Wahlkampf der Linken war in der Summe durchaus nicht erfolglos. Im Osten haben sie zwar eine dicke fette Klatsche abbekommen, im Westen wurde das aber etwas mehr als ausgeglichen. Diese Tendenz ist nicht ganz neu, eigentlich begann die Verlagerung der Partei von Ost nach West bereits 2005 mit dem Wechsel von Oskar Lafontaine zur Linken.

Aber gehen wir noch einmal ein paar Jahre zurück. Bereits in den 80ern machte ich mir so meine Gedanken, wie viele Wähler die SED bekommen würde, wenn im Osten freie Wahlen stattfinden würden. Ich tippte auf 30 %. Denn so viele Nutznießer des Systems gab es. Alleine die Partei hatte 1,3 Millionen Mitglieder, dazu die Familienmitglieder, ferner die Stasi und ein paar verwirrte Pfarrer, Lehrer, Journalisten und Studenten. So rechnete ich.

Das war zunächst falsch. Ich hatte nicht mit den vielen Heuchlern und Opportunisten gerechnet, die beim ersten Luftzug das Parteibuch wegschmeißen und das Kreuz bei der CDU machen. Als 1990 tatsächlich die letzte Volkskammer gewählt wurde kam die PDS auf 16 %, also gut die Hälfte meiner Kalkulation. Bei der ersten gemeinsamen Bundestagswahl 1990 war sie ein fast reiner Traditionspflegeverein des Ostens. Und das blieb bis zum Übertritt von Oskar so. Im Westen keine Chance. Im Osten allerdings näherte sie sich fast an die 30 % an, die ich mal geschätzt hatte.

In den neuen Ländern hatten die meisten Mitglieder der PDS / Linke immer eine schwache Bodenhaftung. Das hatte mit Regierungsbeteiligungen zu tun. Noch heute stellt sie ein paar Minister in Brandenburg, Thüringen  und Berlin, ein paar Landräte und verstreut über die Fläche auch einige Bürgermeister. Von den Altmitgliedern haben einige ein gediegenes Herrschaftswissen aus der Russenzeit. Sie konnten damals ja keineswegs machen, was sie wollten. Jedes Hüsteln wurde in Moskau registriert und wenn Generalsekretär Breshnjew einen Hebel auf seinem Schreibtisch bewegte, machten sie alle eine Kniebeuge. Auch durch die Stimmung im Volk waren dem Treiben der Funktionäre Grenzen gesetzt. Die unteren und mittleren Bürokader wurden alle paar Jahre zum Arbeitseinsatz in der Produktion geschickt, damit sie nicht zu übermütig wurden und noch etwas nach Maschinenöl oder Kuhfladen rochen. Nichts haßten die Verwalter des real existierenden Sozialismus so, wie abgehobene Klugscheißer aus dem intellektuellen und kulturellen Betrieb. Mein letzter Chef im Sozialismus schimpfte immer auf die „Weißkittel“.

Diesen Erfahrungsschatz aus praktischer Regierungs- und Leitungstätigkeit haben die Westverbände der Linken nicht. Naja, außer Oskar, der hat auch lange genug regiert. Durch den Niedergang der Linken im Osten und den Aufschwung im Westen hat sich der Anteil der Ostabgeordneten in der Bundestagsfraktion von 1998 bis 2017 von 83 % auf 38% verringert. Hier eine Übersicht der Bundestagsabgeordneten nach Bundesländern:

Land 2017 1998
NRW 12 2
Baden-Württemberg 6 1
Bayern 7 1
Niedersachsen 5 1
Hessen 4 1
Rheinland-Pfalz 3 0
Berlin 6 4
Brandenburg 4 4
Schleswig-Holstein 2 0
Thüringen 3 5
Hamburg 2 0
Mecklenburg-Vorpo. 3 4
Saarland 1 0
Sachsen-Anhalt 4 5
Sachsen 6 8
Bremen 1 0
Summe 69 36
Ost + Berlin 26 30
West 43 6

Die Linke ist nun überwiegend eine Westsekte von Träumern, Weltverbesserern, Phantasten und Idealisten geworden. Eine Kulturjournalistin aus Bremen, eine Politikwissenschaftlerin aus Mannheim, ein Politikwissenschaftler aus Kiel, noch ein Politikwissenschaftler aus Köln, ein Personalrat aus Karlsruhe, eine Sozialwissenschaftlerin aus Offenbach, ein Fraktionsgeschäftsführer aus Groß Gerau. Das waren exemplarisch die „Praktiker“ mit Nachnamen von A bis C. Die Realos sind auf dem Rückzug. Oskar Lafontaine hat die Kontrolle verloren. Ihm schwant, daß die Arbeiterinteressen gegenüber Gender, Feminismus, Klima und Willkommen endgültig unter die Räder geraten. Sarah Wagenknecht kämpft um etwas Realismus auf verlorenem Posten. Es ist wie bei Goethes Zauberlehrling: Die Quälgeister, die Oskar mit seinem Übertritt zur Linken rief, wird er nicht mehr los.