Warum Gustav Stresemann zur AfD paßt

Der WELT-Autor Sven Kellerhoff hat uns gerade mit fünf Gründen „bewiesen“, warum der Mißbrauch von Stresemanns gutem Namen für eine AfD-nahe Stiftung ein Sakrileg ist. Naja, Kellerhoff mußte das zusammenkompilieren, weil sonst niemand von seinen Kollegen mehr ein Bier mit ihm trinken würde.

Ich würde noch einige Gründe mehr finden, wenn ich krampfhaft suchen würde. Zum Beispiel die kaiserzeitliche Mitgliedschaft des späteren Weimarer Außenministers in der Kolonialgesellschaft paßt nicht ganz zu einer Partei, die allergisch gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr ist.

Es gibt jedoch einen trefflichen und alles andere überragenden Grund eine AfD-nahe Stiftung nach Gustav Stresemann zu benennen. Es ist seine Zurückweisung durch den auch schon damals politisch überkorrekten Mainstream.

Stresemann war 1917 Vorsitzender der Nationalliberalen Partei geworden, die sich immer in einer Konkurrenzsituation zur von Friedrich Naumann geführten Fortschrittspartei befand. In der Novemberrevolution waren beide Parteien in Auflösung begriffen. Deren Politiker suchten nach einer neuen Verwendung. In einem Eintrag auf der Internetseite „Luise Berlin“ hat Horst Wagner die Gründung der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) beschrieben.

Begeistert von der Revolution des 9. November 1918, habe der Journalist Theodor Wolff in seiner Wohnung sechs Herren empfangen, die ihm antrugen, die Gründung einer neuen demokratischen Bürgerpartei in die Hand zu nehmen, weil er dazu »wegen seiner Haltung während des Krieges der richtige Mann sei« und weil »die alten liberalen Parteien, also die schon im Reichstag vertretene liberale Fortschrittliche Volkspartei (FVP) und die mehr rechten Nationalliberalen ihre Rolle ausgespielt hätten; jetzt müßte eine neue Partei das Bürgertum sammeln und zu politischem Handeln führen, und zwar Schulter an Schulter mit der Arbeiterschaft«. Wolff habe sich sofort bereiterklärt, »eine Anzahl gut ausgesuchter, nicht kompromittierter Personen« für die Parteigründung zu gewinnen und einen entsprechenden Aufruf zu verfassen.

Am 16. November 1918 erschien in der Morgenausgabe des »Berliner Tageblattes« unter der Überschrift »Die große demokratische Partei« der von Theodor Wolff verfaßte und von 60 namhaften Persönlichkeiten unterzeichnete Gründungsaufruf.

Theodor Wolff habe es später als »eine abscheulich peinliche Situation« bezeichnet, daß Stresemann, der spätere Reichsaußenminister und Friedensnobelpreisträger, bei einer Vorbesprechung zur Gründung der DDP am 18. November 1918 abgewiesen wurde, weil man in ihm damals noch einen Unterstützer kaiserlicher Machtpolitik gesehen habe.

Soweit das Kurzreferat zu Horst Wagners sauberer und lesenswerter Ausarbeitung. Ja, das ist Berlin in Reinkultur. Es hat sich in hundert Jahren nichts, aber auch garnichts geändert. Politische und kulturelle Reinheitsgebote, das Ausgrenzen mißliebiger Personen und Meinungen, kleinkarierte Blockwartmentalität, daraus folgende peinliche Situationen, gehören zur DNA unserer derzeitigen Hauptstadt.

Die geplante politische Kaltstellung von Stresemann funktionierte natürlich nicht. Noch im November 1918 gründete er seine eigene Partei, die Deutsche Volkspartei DVP, die in der Folgezeit größere politische Wirksamkeit entfalten sollte, als der politische Pygmäenverein DDP. Stresemann bekam nicht unverdient den Friedensnobelpreis, während die DDP ein unsägliches Bündnis mit der Volksnationalen Reichsvereinigung – dem parteipolitischen Arm des antisemitischen Jungdeutschen Ordens – einging und sich fortan bis zu ihrem unrühmlichen Ende „Deutsche Staatspartei“ nannte.

Ein herrliches Lehrstück wie schädlich und kurzsichtig politische Korrektheit ist. Als Parias der Berliner Medienlandschaft sind AfD und Stresemann auf einer Wellenlänge zu verorten. Paßt.