Der schönste Tag im Leben

„Kein Wunder, dass heute in keinem osteuropäischen Staat der 9. November als Tag der Befreiung gefeiert wird.“ Das ist ein irrer Gedanke aus einem total verworrenen Eintrag von Thomas Schmid in der WELT.

Für mich, meine Freundin und für einige weitere ganz seltene Exoten war der 9. November 1989 schon der schönste Tag im Leben und kann als Tag der Befreiung locker durchgehen. Das ist nach 28 Jahren sozialistischem Gefängnisstaat eigentlich logisch. Natürlich würde Schmid bestreiten, daß es ein solcher war. Aber wozu brauchte man sonst den Zaun und die Postenwege?

Diejenigen, die vom Einsperren gut und gerne gelebt haben waren nicht wenige. 27 bis 31 % Linke in Thüringen sind ja nicht vom Himmel gefallen. Es gab eben auch Nutznießer der Zone. Seit 2004 bewegt sich die Zustimmung zur immer wieder umbenannten SED konstant in dieser Größenordnung. Auch der Nationalsozialismus hatte bis 1944 ja zahlreiche Gewinner, genauso wie es die in der Fördergeldsoße des Merkelbratens schwimmenden Ekelparasiten gibt.

Das Feiern am 9. November wurde von den Medien sofort unter Naziverdacht gestellt, obwohl das der originäre Tag der Deutschen Einheit ist. Und jetzt nach 30 Jahren schmiert uns der Schmid das so aufs Butterbrot, als wenn wir den Feiertag selbst nicht gewollt hätten:

„Kein Wunder, dass heute in keinem osteuropäischen Staat der 9. November als Tag der Befreiung gefeiert wird.“

Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Schmierfink! Press-Zuave! Westentaschen-Relotius!

Dabei ist am 9. November in der Weltgeschichte noch viel mehr passiert, als das Ende des Grenzregimes und die Reichskristallnacht: Der römische Bischof Pontianus wurde am 9. November 235 in einem Steinbruch erschlagen, 1799 putschte sich Napoleon an diesem Tage an die Macht, 1888 ermordete Jack the Ripper sein fünftes und letztes Opfer, 1918 wurde an diesem Tag die Abdankung von Kaiser Wilhelm verkündet und Friedrich Ebert mit den Amtsgeschäften betraut, 1953 wurde Kambodscha unabhängig und 1969 plazierten die Tupamaros eine Bombe im jüdischen Gemeindehaus in Berlin.

Übrigens ist der 3. Oktober – der synthetische, künstliche und ahistorische Feiertag – auch nicht ohne Mord und Totschlag in die Jahre gekommen. 1552 eroberte Iwan der Schreckliche am 3. Oktober Kasan. Das war bestimmt kein Kindergeburtstag. 1904 wurde der Schutzvertrag der Nama mit dem Reich gekündigt, was einen blutigen Kolonialkrieg auslöste. 1961 wurden während der Aktion Kornblume 3.175 Leute aus dem Sperrgebiet ausgesiedelt. Der Tag ist pikanterweise auch nicht nazifrei: 1942 wurde am 3. Oktober die erste V2 gestartet.

Thomas Schmid scheint ein berlinzentrisches Weltbild zu haben, obwohl diese verkommene überwiegend von Lumpen bewohnte Stadt erwiesenermaßen nicht der Nabel der Welt ist. Warum sollten andere osteuropäische Staaten den 9. November feiern? In Polen waren im Juni 1989 fast freie Wahlen abgehalten worden, Ungarn rief bereits am 23. Oktober die Republik aus, in Prag begannen die Demos erst am 16.11.1989 und in Temesvar gingen die Unruhen noch einen Monat später am 17.12.1989 los. Jedes Land hatte seinen eigenen Tag der Befreiung. Auf den längst fälligen verspäteten Tapetenwechsel in Ostberlin hatte im Ausland niemand gewartet.

Hier noch mal die Tagesschau, wie wir sie allerdings in schwarz-weiß gesehen haben. Erst als im Laufe des Abends die Bilder von der Bornholmer Straße nachkamen haben wir es geglaubt.

Stefan Aust sagte in einem Kommentar, daß am 9.11.1989 der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen war. Stimmt.