Lifeticker eines Bruchs

Um 4 Uhr 36 wurde Alibaba, das Oberhaupt einer mächtigen und erfolgreichen Großfamilie aus dem Schlaf gerissen, festgenommen und zum Flugfeld gebracht. Das Funktelefon wurde ihm weggenommen, bevor er seine Leibwache alarmieren konnte, nicht einmal die Zähne konnte er sich zu Hause noch putzen, so eilig hatte es das Greifkommando. Auf dem Rollfeld wartete bereits eine Privatmaschine, die ihn umgehend nach Transpoltawien brachte. Aber Alibaba hatte bereits damit gerechnet und einen Rachefeldzug vorbereitet.

Zwei Cousinen machten sich nett zurecht, fuhren nach Großkotzau und besichtigten ein Museum mit den wertvollen Pretiosen eines feudalen Fürsten, der Riesenkräfte gehabt haben soll, vor allem in seinen Lenden. Edelsteine, Diamanten, Goldschüsseln, Porzellane waren in gesicherten und überwachten Vitrinen ausgestellt. Die beiden Damen überprüften ein letztes Mal, ob noch alle Details mit den gelieferten Plänen übereinstimmten: Die Fenstervergitterung, die Standorte der Vitrinen und Kameras sowie die Exponate. Die Familie hatte es geschafft einen Großvetter bei einer Sicherheitsfirma zu installieren, der die nötigen Pläne angefertigt hatte. Dann mußten sie noch nachsehen, ob die Verteilerschränke der Straßenbeleuchtung am alten Platz waren. Alles war an seinem angestammten Ort, aufgeräumt und sauber wie bei den Sieben Zwergen.

Die Stadt hatte gerade ganz andere Sorgen, als einen Bruch zu verhindern. Der Stadtrat von Großkotzau hatte den Nazinotstand ausgerufen und arbeitete an der Vorbereitung von „wir-sind-mehr“-Demos. Auch der besorgte Landesvater Knetschmann hatte jüngst als seinen Hauptfeind Nationalsozialisten ausgemacht. Ein großer Teil der Polizei beschäftigte sich also mit der Politik, statt mit dem Verbrechen. Das war der ehrenwerten Familie Alibabas sehr recht. Sie hatten nämlich damit geplant, daß die Polizei nicht zeitnah vor Ort sein würde.

Zuerst wurde kurz vor 5 Uhr die Straßenbeleuchtung durch die Zerstörung eines Schaltschranks außer Betrieb gesetzt. Im Schutz der Dunkelheit flexten zwei Cousins ein Fenstergitter auf, ihre minderjährigen Söhne, die vor jeglicher ernsthafter Strafverfolgung gut geschützt sind, drangen in den Ausstellungsraum ein, zerschlugen wie sie es hundertmal geübt hatten, eine Vitrine und bargen die darin befindlichen Schätze. In nur fünf Minuten standen sie wieder auf dem dunklen Platz, wo schon das Fluchtauto wartete. Als die unauffällige Limousine vom Platz fuhr, hörte man von weitem schon die Polizeisirenen.

Am westlichen Stadtrand wurde das Auto gewechselt, das verlassene wurde in Brand gesetzt. Bei der Auffahrt auf die Autobahn warfen die Mitglieder der Alibabafamilie einen letzten Blick auf das erwachende Großkotzau. Am Horizont zeigte sich ein erster Lichtschein, der die Türme und Kuppeln der Stadtsilhouette sowie den majestätischen Fluß in ein gespenstisches Gegenlicht tauchte. Als die Polizei nach der Inspektion des Tatorts die umliegenden Autobahnauffahrten sperrte waren die Jungs schon eine Stunde durch.

Ein Emissär wurde nach Transpoltawien geschickt, um Vollzug zu melden und fragte nach, was mit der Beute zu tun sei. Alibaba lächelte zufrieden und pries Allah. „Es kommt mir nicht auf den Wert des Klimbims der Ungläubigen an, sondern zu zeigen, wer in Großkotzau und im ganze Land die wirkliche Macht hat. Das ist unsere Familie.“