Nachträgliche Beförderung von Hindenburg

Paul von Hindenburg hat nun die Berliner Ehrenbürgerschaft verloren. Grund einen Blick auf sein Wirken als Reichspräsident zu werfen. Wie alle Politiker der Weimarer Zeit war er kein Heiliger. Aber wenn man eine blütenreine Weste für eine Ehrenbürgerschaft verlangen würde, so gäbe es diese Institution sicher nicht.

Viele ältere Offiziere und Junker der Kaiserzeit – darunter Hindenburg (geboren 1852) – waren in Ehrfurcht an preußische Tugenden und Traditionen geformt worden. Erinnerungen an den Soldatenkönig, an Friedrich II., an General Blücher und die Befreiungskriege sowie die Deutschen Kriege 1866 bis 1871 überlagerten oder überdeckten die Wahrnehmung von Veränderungen im Spätkaiserreich. Die Sedanfeiern gossen die alte Zeit in die ehernen Barren der Erinnerung. Die ältere Generation hatte den Gedanken und die Praxis einer heiligen Allianz der Monarchien Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland als Dreikaiserbündnis verinnerlicht und gelebt und den komplizierten Interessenausgleich dieser Reiche verstanden. Man war noch in der Bismarckzeit nicht so risikofreudig, wie die jüngeren Manager des Spätkaiserreichs und der Weimarer Republik.

Hindenburg war mit 40 schon deutlich aus der Pubertät raus, als die antidemokratische und antiparlamentarische Jugendbewegung Deutschland ab 1890 überrollte. Er war der Methusalem der Weimarer Republik. Er gab sich dezidiert bildungsfern und er nahm tatsächlich von den reformistischen Ideen wenig Notiz. Nach eigenem Bekunden hatte er nur die Bibel und das Exerzierreglement gelesen. Das entsprach sicherlich nicht ganz der Wahrheit, Hindenburg schuf mit dieser pointierenen Zuspitzung jedoch zielsicher das Bild von sich selbst, das er in die Öffentlichkeit transportieren wollte: Als unverrückbarer Wellenbrecher neben dem aufgewühlten Meer um den heimatlichen Hafen zu schützen, als knorrige Eiche über dem windgepeitschten Gerichtsplatz, als gewaltiger erratischer Block im Strom der Zeit.

„Alte Soldatenpflicht verlangt von mir in dieser schweren Zeit, auf meinem Posten zu verharren, um das Vaterland vor Erschütterungen zu bewahren.“

So erklärte er seine erneute Kandidatur zum Reichspräsidentenamt 1932. Grundsatzfest, immobil und überzeitlich präsentierte er sich den in Wallung geratenen Deutschen. Für eine Vaterfigur durchaus ein sinnvolles Profil.

Dabei teilte er althergebrachte konservative Ressentiments mit den Antikapitalisten der Jugendbewegung: Noch am 15. Juni 1918 hatte er seinem Kaiser folgenden Ohrenschmaus bereitet:

„Das deutsche Volk ist beim Ausbruch des Krieges sich nicht darüber klar gewesen, was dieser Krieg bedeuten wird. Ich wußte es ganz genau, deswegen hat mich auch der erste Ausbruch der Begeisterung nicht getäuscht oder irgendwie in meinen Zielen und Erwartungen eine Änderung hervorbringen können. Ich wußte ganz genau, um was es sich handelte, denn der Beitritt Englands bedeutete einen Weltkampf, ob gewollt oder nicht. Es handelte sich nicht um einen strategischen Feldzug, es handelte sich um den Kampf von zwei Weltanschauungen. Entweder soll die preußisch-deutsch-germanische Weltanschauung, Recht, Freiheit, Ehre und Sitte, in Ehre bleiben, oder die angelsächsische, das bedeutet: dem Götzendienste des Geldes verfallen. Die Völker der Welt arbeiten als Sklaven für die angelsächsische Herrenrasse, die sie unterjocht. Die beiden Anschauungen ringen miteinander, und da muß die eine unbedingt überwunden werden; und das geht nicht in Tagen und Wochen, auch nicht in einem Jahre. Dieses war mir klar; und da danke ich dem Himmel, daß er Eure Exzellenz und Sie, mein lieber General, mir als Berater zur Seite gestellt hat. Daß das deutsche Volk und Heer – Volk und Heer ist ja jetzt dasselbe – zu Ihnen voll Dankbarkeit hinaufblickt – brauche ich nicht zu sagen. Ein jeder draußen weiß, wofür er kämpft, das gibt der Feind selbst zu, und infolgedessen werden wir den Sieg erringen. Den Sieg der deutschen Weltanschauung, den gilt es. Ich trinke mein Glas auf das Wohl der hohen Führer meines Heeres, des Generalstabes und des gesamten deutschen Heeres. Hurra.“

Otto von Bismarck und Ludwig Erhard hätten sich angesichts des Toastes geschüttelt, aber seis drum. Ab 1880 wurde der Konservatismus immer marktfeindlicher und zünftiger. Das ging auch an Hindenburg nicht vorbei.

Die ersten Jahre der Weimarer Republik waren sehr retrospektiv, d.h. man verglich alles mit der untergegangenen Belle Epoque. Otto Reutter sang 1920:

Ich möcht‘ erwachen beim Sonnenschein.
Und es müsst alles wie früher sein.
Kein Krieg, kein Elend, kein Müh’n und Plagen –
Die Meinen müßten verwundert sagen:
„Hast lang‘ geschlafen, hast viel versäumt,
Du sprachst vom Kriege, du hast geträumt.“

Ab 1925 begann sich im Reich langsam eine Wechselstimmung aufzubauen, die auch mit dem Wechsel im Reichspräsidentenamt und einer beginnenden kulturellen Wende zur Neuen Sachlichkeit zu tun hatte. Der Wechsel des Generalfeldmarschalls Hindenburg ins Präsidentenamt war eine Teilmenge der von vielen Deutschen gewünschten Rückkehr zur Stabilität des Kaiserreichs. Wo sie die zeitweilige Beteiligung der Konservativen an der Reichsregierung nun endlich hatten, verloren Hindenburg, die Konservativen und die kaiserliche Vergangenheit einen Teil ihres Glanzes. Die Gloria des Kaiserreiches verblasste etwas und der Blick richtete sich nach 1925 wieder mehr nach vorn, in eine ungewisse und rätselhafte Zukunft, von der jeder etwas anderes verhieß; die Wechsellust an der Wahlurne hielt sich zunächst noch in Grenzen, aber sie war schon Mitte der 20er unübersehbar.

Der Wind des Wandels hatte sich gedreht: August Bebel hatte im alten Jahrhundert ein dialektisches Zusammenbruchsszenario des Kapitalismus entwickelt, in dem die SPD dominieren würde: Er war davon ausgegangen, daß im gleichen Maße, wie die Überzeugung von der Notwendigkeit der Umwälzung, von der Unhaltbarkeit des Bestehenden in der Mehrheit der Gesellschaft wächst, die Widerstandsfähigkeit der herrschenden Klasse sinkt. Die Arbeiterklasse würde die Macht übernehmen, wenn die Überzeugung von der Notwendigkeit des Kapitalismus im Schwinden begriffen sei. Die Kritik der Mittelschichtenjugend, des akademischen Proletariats, der Lehrer, Redakteure und Staatsbediensteten, würde die erforderliche Zersetzungsarbeit leisten, Hilfsenergie für die proletarische Machtübernahme liefern.

Mit der Gründung der Republik kam alles anders. Nicht die Sozialdemokratie rüttelte nach dem Weltkrieg an den Grundfesten der Staatsgewalt, sondern die Mittelschichtenjugend. Die Männerbünde hatten in den zwanziger Jahren ihre Hochkonjunktur: Wandervogel, Jungdeutscher Orden, Burschenschaften, Stahlhelm, Landbünde, Sturmabteilungen, Rotfrontkämpferbund, Vereine von ehemaligen Maschinengewehrschützen. Egal ob es die Freichors, die Studentenvereinigungen oder der Spartakusbund war: Die Sozialdemokratie mußte von Anfang an unter den Schutz kaiserlicher Militärs wie Wilhelm Gröner, v. Seeckt und v. Hindenburg flüchten, um sich vor dem revolutionären Mob des Bildungsbürgertum zu schützen. Jenes fragile und staatserhaltende konservativ-sozialdemokratische Haß-Bündnis, das Heinrich Mann im „Untertan“ zwischen Diederich Heßling und Napoleon Fischer als literarischer Nostradamus skizziert hatte, und das gegen den Reformisten Dr. Heuteufel gerichtet war, benötigte die Republik zum Überleben von der Wiege bis zur Bahre.

Bereits vor der Wahl zur Nationalversammlung mußten mit Hilfe der Reichswehr mit Billigung durch Wilhelm Groener linkselitaristische Aufstände niedergeschlagen werden, Der Chef der Reichswehr Generaloberst Hans von Seeckt hütete die Flammen im Tempel der parlamentarischen Macht in der Inflationskrise von 1923 und Paul von Hindenburg wurde 1932 von den Sozialdemokraten dazu ausersehen, den radikalen Reformisten Hitler und Thälmann Paroli zu bieten. Bis Ende 1932 ging diese Rechnung auch auf, hielt das ungleiche Bündnis zwischen Marxismus, Katholizismus und Junkertum. Hindenburg bemerkte einmal, Reichskanzler Müller sei sein bester Kanzler gewesen, blos leider ein Sozialdemokrat.

Die Sozialdemokraten sahen sich in der Rolle der Verteidiger der Republik, das akademische Proletariat in der Rolle des revolutionären Angreifers. Die Bebelschen Hilfstruppen der sozialdemokratischen Machtübernahme, die reformistischen Mittelschichten hatten sich verselbständigt, hatten ihr vitales Eigenleben entwickelt und trommelten vor den Toren der Macht. Sie trommelten in SA-Uniformen und in Uniformen des Rotfrontkämpferbundes. Beiden Formationen war klar: Erst mußten die verhaßten Sozialdemokraten und Katholiken weg, nur über deren politische Leichen käme man an die Macht.

Im März/April 1932 fand die Reichspräsidentenwahl statt. Einen Kandidaten der Mittelparteien gab es nicht mehr. Die Kommunisten stellten Thälmann auf, die Nationalsozialisten Hitler, der Stahlhelm Düsterberg und von der SPD bis zu den Konservativen gab es nur einen Kandidaten: Hindenburg. Hindenburg war 84 Jahre alt. Trotz der breiten Unterstützung von den revisionistischen Marxisten bis zu den Kaisertreuen konnte der greise Feldmarschall den ersten Wahlgang nicht für sich entscheiden, und den zweiten nur mit großer Mühe.

o                              1. Wahlgang                  2. Wahlgang
Hindenburg               49,6 %                         53,0 %
Hitler                           30,1 %                         36,8 %
Thälmann                     5,0 %                         10,2 %
Andere                         15,3 %                           –

Auf den ersten Blick erscheint das Hindenburg-Lager sehr zusammengewürfelt. Auf den zweiten zeigt sich die Logik: Die Präsidentenwahl war eine Richtungswahl. Auf der einen Seite standen alle, die in der politischen Kultur der Frühkaiserzeit verankert waren (SPD, Zentrum) und die neuen jugendbewegten Strömungen aus dem Politikbetrieb heraushalten wollten. Sie verbarrikadierten sich hinter Hindenburg. Hindenburg erschien als Festung der alten Zeit; er galt neuen Strömungen nicht zugänglich. Seine Gegner im zweiten Wahlgang waren Politiker der Kulturrevolution. Sie standen für die jüngere Generation und deren Elitarismus. Die Präsidentenwahl zeigte das dünne Eis, auf dem die republikanischen Institutionen gegründet waren und sie zeigten, daß der Wind des Wechsels an den republikanischen Gardinen zupfte.

Wenig später fand die Wahl zum 6. Reichstag im Juli 1932 statt:

SPD 21,6 % ( – 2,9 %)
KPD 14,6 % (+ 1,5 %)
NSDAP 37,4 % (+19,1 %)
DNVP 5,9 % ( – 1,1 %)
Zentrum/BVP 15,7 % (+ 0,9 %)

Es gab eine klare Mehrheit der beiden Parteien der Jugendbewegung und damit für den Antiparlamentarismus. Während sich SPD und KPD als Vertreter der Linken gegenseitig heftig bekämpften, stellten die Nationalsozialisten eine vergleichsweise geschlossene Macht dar. So gewann die Vorstellung, einen Bürgerkrieg dadurch abzuwenden, dass die Nationalsozialisten unter der Aufsicht anderer Parteien in eine Koalitionsregierung eingebunden und so „gezähmt“ werden könnten, beim Reichspräsidenten und in der Reichswehr immer mehr an Zustimmung. Der letzte Satz stammt kurioserweise aus einem Wikipedia-Eintrag.

Die klare Mehrheit der beiden Parteien der Jugendbewegung und damit des Antiparlamentarismus wiederholte sich mit geringen Verschiebungen bei einer weiteren Wahl im November 1932:

SPD 20,4 % (- 1,2 %)
KPD 16,9 % (+ 2,3 %)
NSDAP 33,1 % (- 4,3 %)
DNVP 8,8 % (+ 2,9 %)
Zentrum/BVP 15,0 % (- 0,7 %)

Hindenburg wird vorgeworfen Hitler an die Macht gebracht zu haben. Hierbei wird allerdings übersehen, daß er die Machtergreifung fast ein Jahr hinauszögerte. Die Wähler hatten schon im Juli und im November 1932 klargemacht, daß sie mit der parlamentarischen Demokratie fertig waren. Bei beiden Wahlen gab es eine klare Mehrheit von NSDAP und KPD. Mit Notverordnungen zögerte Hindenburg das Ende von Weimar hinaus, bei Personalentscheidungen fiel er auf Blender herein. Mit Franz von Papen und Kurt von Schleicher war keine Zeit zu schinden und der Niedergang der Republik nicht aufzhalten.

Mit der Berufung des Generals von Schleicher zum Reichskanzler hatte Hindenburg das Ende der Parteienherrschaft eingeläutet, denn Schleicher verfolgte entsprechend den Gebetsformeln der Jugendbewegung ein reformistisches Konzept des Regierens an den Parteien vorbei, einer Vorherrschaft von bündischen Strukturen.

Schleicher reflektierte insbesondere auf den linken Flügel der SA und den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund ADGB. Er scheiterte in der Praxis mit seiner geplanten neokonservativen Revolution, weil Hitler die Spaltung seiner nationalsozialistischen Bewegung verhinderte, um seine Ziele selbst ohne v. Schleicher in die Tat zu setzen. Der linke NSDAP-Flügel hörte auf das Machtwort des Führers, widerstand dem Werben des Reichskanzlers und damit stand die stärkste bündische Bewegung nicht für Schleichers Pläne zur Verfügung. Auch die Gewerkschaften wollten nicht alleine mit dem schillernden Kanzler paktieren. Alle anderen nichtparteigebundenen Bataillone waren viel zu schwach, um es mit der Hitler-Bewegung aufnehmen zu können. Da v. Schleicher auch die Gewerkschaften für die Teilhabe an der Macht ausersehen hatte, fiel er bei Reichspräsident v. Hindenburg in Ungnade. Die neokonservative Revolution fand ihr Ziel mit der Abberufung v. Schleichers und der Berufung Hitlers zum Reichskanzler.

Es hat sich in den letzten Jahren ein moralischer Rigorimus etabliert, der es grundsätzlich ablehnt, die Personen und Prozesse aus ihrer Zeit heraus zu beleuchten, zu verstehen und zu bewerten. Mit den Schablonen der Bonner Republik wird man Weimar und seine beiden Präsidenten nie verstehen können, weder Friedrich Ebert noch Paul von Hindenburg. Das Verständnis der Lebenslügen der Weimarer Zeit ist jedoch gerade als Kompaß für die Zeit seit dem Umzug der Hauptstadt nach Berlin sehr wichtig.

Ich würde zwar nie in die Verlegenheit kommen: Aber in Berlin wöllte ich nicht Ehrenbürger werden. Das ist eine Frage der Ehre. Wenn Hindenburg vom Himmel herunterschauen würde, würde er seine Streichung von der Berliner Liste wohl eher als eine posthume Beförderung, denn als Degradierung werten. Aber wer weiß, ob er die Einlaßkontrolle bei Petrus geschafft hat…