Dr. Merkel und die Pest in London

Viele meiner Leser werden Daniel Defoe nur durch sein Buch über den unfreiwilligen Inselaufenthalt Robinsons kennen. Andere haben vielleicht „Die Schmähschrift“ gelesen, wo er von Stefan Heym als Freiheitskämpfer stilisiert wurde. Daß er auch Chronist der Pest von 1665 in London war, ist weniger bekannt.

Als sich Mitte Februar 2020 bedrohliche Nachrichten aus China und Oberbayern häuften, nahm ich Defoes Buch über die Pest zur Hand und zog per me Schlüsse draus. Als Erstes fuhr ich in eine Großkaufhalle und deckte mich für ein Vierteljahr mit Lebensmitteln ein. Es gab noch alles, nur der Gries war ausgegangen. Zu der Zeit gab es genug Handschuhe und Desinfektionsmittel. In der Apotheke war das schweinsteuer, hundert Meter weiter  bei den Haushaltswaren, waren es Pfennigartikel. In der Apotheke waren die Masken schon ausverkauft. Da ich öfter mal verzinkte Dachplatten mit dem Trennschleifer zerschneide, weiß ich wo es gute Staubmasken gibt: Im Baumarkt. Dort waren die auch noch für billiges Geld vorrätig. Dann füllte ich noch alle leeren Kanister mit Kraftstoffen. Schon zwei Wochen später wurde klar, daß der Einkauf unnötig gewesen war. Ich war monatelang mit Speisekammermanagement beschäftigt, um Verderbliches in der richtigen Reihenfolge zu verbrauchen und Mehlwürmer zu bekämpfen.

Dennoch möchte ich eine Leseprobe zum Besten geben, um zu zeigen, daß der Infektionsschutz überwiegend eine Privatsache ist, an der der Staat schon damals versagen mußte. Wobei man die Pest nicht mit Kórona vergleichen kann. Nur Dr. Merkel und ihr Seuchenkollegium tun es noch. Folgen wir Daniel Defoe ins London des 17. Jahrhunderts:

Ich selbst wohnte außerhalb Aldgate, etwa mittenwegs zwischen der Aldgate-Kirche und den Whitechapeler Schlagbäumen, auf der linken oder nördlichen Seite der Straße. Da die Seuche diesen Teil der Stadt noch nicht erreicht hatte, waren wir recht beruhigt. Am andern Ende der Stadt war aber die Bestürzung überaus groß, und die wohlhabenderen Leute, besonders der Adel und die Vornehmen aus dem Westen, hasteten, mit ihren Familien und ihrer Dienerschaft aus der Stadt zu kommen. Noch auffälliger war das in Whitechapel. In der breiten Straße, wo ich wohnte, war wirklich nichts zu sehen als Wagen und Karren, beladen mit Hausgeräte, Weibern, Dienstmädchen, Kindern u. a. m., Kutschen voll von Leuten der besseren Klassen, Reiter, die sie begleiteten — alles auf der Flucht. Dann erschienen wieder leere Wagen und Karren, Diener mit Pferden, die anscheinend zurückkamen oder noch weiteren Nachschub holen sollten. Dazwischen zahllose Leute zu Pferde, manche allein, andere mit Bediensteten, alle mit Gepäck beladen und für die Reise ausgerüstet, wie aus ihrem Aussehen hervorging.

Das war wohl ein trauriger und schauerlicher Anblick, den ich von Morgens bis zur Nacht vor Augen hatte (denn sonst war wirklich nichts Merkwürdiges zu sehen), und der mich mit recht trüben Vorahnungen des Elends erfüllte, das über die Stadt kommen würde, und des jämmerlichen Zustandes derjenigen, die zurückblieben.

Diese Flucht hielt einige Wochen hindurch in der gleichen Stärke an. Zur Wohnung des Lordmayors konnte man nur unter äußersten Schwierigkeiten gelangen, so stauten und drängten sich dort die Menschen, um Pässe und Gesundheitsbescheinigungen für die Weiterreise zu erhalten, denn ohne solche gab es keine Erlaubnis, die Städte auf dem Wege zu passieren oder in einem Gasthause zu übernachten. Da nun bisher noch niemand in der City, der eigentlichen inneren Stadt, an der Seuche gestorben war, gab der Lordmayor ohne weiteres Gesundheitsbescheinigungen an alle, die in den 97 Kirchspielen wohnten, und eine Weile auch an die Bevölkerung der angrenzenden Distrikte.

(…)

Auch ich begann mir ernstlich zu überlegen, was ich selbst tun und mit mir anfangen, ob ich mich zum Bleiben in London entschließen oder gleich den meisten meiner Nachbarn mein Haus zuschließen und fliehen sollte. Ich spreche darüber so ausführlich, weil es für die, die künftig vielleicht einmal in die gleiche schlimme Lage kommen und sich derselben Entscheidung gegenübersehen, von einiger Bedeutung sein mag, und daher soll mein Bericht eher ein Fingerzeig für ihre Handlungsweise, als eine Geschichte meiner eigenen Handlungen sein, angesehen, daß es ihnen auch nicht die Bohne verschlagen dürfte zu wissen, was aus mir wurde.

Zwei wichtige Dinge hatte ich in Betracht zu ziehen: einerseits die Fortführung meines Geschäftes, das nicht unbedeutend war, und in dem mein ganzes Geld steckte, andererseits die Erhaltung meines Lebens in dieser Unglückszeit, die, wie ich wohl vorhersah, über die ganze Stadt kommen würde, und die meine Angst noch ins Ungemessene vergrößerte.

Der erste dieser beiden Gesichtspunkte war für mich von erheblichem Belang. Mein Geschäft war das eines Sattlers, und da es der Hauptsache nach nicht in einem Ladengeschäft bestand, sondern im Handel nach den englischen Kolonien in Amerika, steckte mein Geld zum größten Teile in den Händen der dahin exportierenden Kaufleute. Ich war zwar Junggeselle, hatte aber einen Haufen von Leuten, die ich im Geschäft brauchte, ein Haus, einen Laden, Lager voll von Waren — und dies alles sich selbst zu überlassen, wie es unter den jetzigen Umständen nun einmal nicht anders ging, ohne Aufseher oder eine richtige Vertrauensperson, hieß nicht nur mein Geschäft aufs Spiel setzen, sondern mein ganzes Vermögen und alles, was ich auf der Welt mein eigen nannte.

Damals befand sich ein älterer Bruder von mir in London, der einige Jahre früher von Portugal dahin gezogen war. Mit diesem beriet ich mich, und seine Antwort war in drei Worten dieselbe, die bei einer ganz anderen Gelegenheit gegeben worden war, nämlich: Herr, rette dich! Kurz, er war dafür, daß ich mich aufs Land begeben sollte, was zu tun er auch selbst mit seiner Familie entschlossen war. Er wiederholte, was er im Ausland gehört hatte, daß das beste Mittel gegen die Pest wäre, vor ihr davonzulaufen. Meine Befürchtungen wegen des Verlustes meines Geschäftes, meines Geldes und meiner Außenstände, widerlegte er mit denselben Gründen, die ich selbst für mein Bleiben ins Feld führte, indem er mein Vertrauen auf den Schutz Gottes in Hinsicht auf die Erhaltung meines Lebens meiner Angst vor dem Verlust meiner Habe gegenüberstellte. »Wäre es nicht vernünftiger,« meinte er, »ein ebensolches Vertrauen in Gott zu setzen, wenn es sich um die Erhaltung deines Vermögens handelt, als dich einer so fürchterlichen Gefahr auszusetzen und ihm die Erhaltung deines Lebens anheimzustellen?«

Ich konnte nicht einmal als Gegenargument ins Feld führen, daß ich nicht wüßte, wohin ich mich wenden sollte, da ich mehrere Freunde und Verwandte in Northhamptonshire besaß, woher unsere Familie stammte; außerdem wohnte in Lincolnshire meine einzige Schwester, die mich mit Freuden aufgenommen hätte.

Mein Bruder, der seine Frau und seine zwei Kinder nach Bedfordshire vorausgeschickt hatte und ihnen zu folgen entschlossen war, drang in mich, mich auch davonzumachen. Einmal wollte ich ihm schon nachgeben, konnte mir aber damals kein Pferd verschaffen. Denn obwohl es noch Menschen in London gab, kann man doch sagen, daß die Pferde daraus verschwunden waren. Wochenlang war in der ganzen Stadt kein einziges Pferd zu mieten oder zu kaufen. Dann entschloß ich mich wieder, mit einem Diener zu Fuß auszuziehen, die Gasthäuser zu vermeiden und ein Soldatenzelt mitzuführen, um im Freien zu übernachten, was bei dem warmen Wetter ohne Fährlichkeit geschehen konnte. Wirklich machten’s auch viele so, besonders solche, die während des früheren Krieges gedient hatten, und ich muß sagen: hätten’s alle, die auswanderten, so gemacht, so wäre die Pest nicht in so zahlreiche Provinzstädte hinausgetragen worden, wie es tatsächlich zum großen Schaden und Verderben unzähliger Menschen geschah.

(…)

Obwohl mein Bruder selbst ein sehr frommer Mann war, lachte er doch über das, was ich Fingerzeige des Himmels genannt hatte, und hielt mir mehrere Geschichten von »solchem dummdreisten Volk« vor, wie er sich ausdrückte, das mir ähnlich wäre. Freilich sollte ich es als ein Eingreifen der himmlischen Macht betrachten, wenn ich etwa durch Krankheit verhindert würde, London zu verlassen. Dann könnte ich mich ruhig der Leitung meines Schöpfers überlassen, der nach seinem Gutdünken mit mir verfahren würde, und die Entscheidung, was die Vorsehung über mich verhängt habe und was nicht, wäre nicht schwer zu treffen. (…) Dann fuhr er fort, mir von den heillosen Folgen zu erzählen, die sich aus dem Glauben der Türken und Mohammedaner in Asien und andern Ländern, wo er gewesen war, ergäben (denn mein Bruder war als Kaufmann vor einigen Jahren, wie ich schon berichtet habe, aus dem Ausland zurückgekehrt und hatte sich zuletzt in Lissabon aufgehalten), und wie sie in der Überzeugung, daß das Schicksal jedes Menschen unabänderlich vorherbestimmt und festgelegt wäre, ohne Bedenken in verseuchte Orte zögen und mit angesteckten Leuten verkehrten, was eine wöchentliche Sterblichkeit von 10 oder 15 000 zur Folge hätte, während die Europäer und christlichen Kaufleute, die sich absperrten und abseits hielten, im allgemeinen der Ansteckung entgingen.

Durch solche Gründe machte mein Bruder meine Entschlüsse wieder wankend, ich begann nun doch an die Abreise zu denken und bereitete mich dementsprechend vor, denn die Seuche hatte sich nun in der ganzen Umgegend verbreitet, die Register wiesen eine Sterblichkeit von 700 die Woche aus, und mein Bruder sagte mir, er wage nicht mehr länger zu bleiben. Ich bat ihn noch um einen Tag Bedenkzeit, und da alles so gut als möglich vorbereitet war, auch in Hinsicht auf mein Geschäft, und denjenigen, dem ich die Sorge für meine Angelegenheiten übergeben wollte, hatte ich wenig mehr zu tun als einen letzten Entschluß zu fassen.

An diesem Abend ging ich schwer bedrückt nach Hause, unentschieden und ohne zu wissen, was ich tun sollte. Ich hatte mich für den Abend frei gemacht, um alles noch einmal ernstlich zu überdenken, und war ganz allein. Damals hatten schon die Leute, wie in allgemeiner Übereinstimmung, die Gewohnheit angenommen, nach Sonnenuntergang ihr Heim nicht mehr zu verlassen, worüber ich später noch mehr zu sagen haben werde.

In der Einsamkeit dieses Abends versuchte ich, mir erst darüber klar zu werden, welche Handlungsweise mir die Pflicht vorschrieb. Ich führte mir wieder die Gründe vor Augen, die mein Bruder vorgebracht hatte, um mich zur Abreise zu bewegen, und stellte ihnen mein eigenes lebhaftes Gefühl gegenüber, das fürs Bleiben sprach: die Umstände, die aus der besonderen Art meines Berufes hervorgingen, die Pflicht, mir meine Waren und mein Geld zu erhalten, die gewissermaßen mein Vermögen ausmachten, dann auch die Winke, die mir nach meiner Überzeugung vom Himmel zugekommen waren und für mich eine Art von Leitung bedeuteten. Dabei fiel mir ein, daß ich, wenn ich einen offenbaren Wink zum Bleiben erhalten würde, diesen gleichzeitig als ein Versprechen der Erhaltung meines Lebens betrachten dürfe, als Lohn meines Gehorsams.

Dieser Gedankengang lag mir; meine Gedanken neigten sich mehr als je dazu, zu bleiben, und wurden durch eine heimliche Sicherheit unterstützt, daß ich vor dem Tode bewahrt werden würde. Ich blätterte in der Bibel, die vor mir lag, und während ich meinen Geist mit ungewöhnlichem Ernste auf das richtete, was mir fragwürdig schien, rief ich: »Ich weiß nicht, was ich tun soll, Herr, leite du mich!« und dabei hörte ich auf, in der Bibel zu blättern, beim 91. Psalm, und indem mein Auge auf den zweiten Vers fiel, las ich bis zum siebenten, den aber nicht, und schob dafür den zehnten ein, folgendermaßen: Der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Denn er errettet mich vom Strick des Jägers und von der schädlichen Pestilenz. Er wird dich mit seinen Fittigen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, daß du nicht erschrecken müssest vor dem Grauen des Nachts, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pestilenz, die im Finstern schleichet, vor der Seuche, die im Mittag verderbet. Ob tausend fallen zu deiner Seite, und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es doch dich nicht treffen. Ja, du wirst mit deinen Augen deine Lust sehen, und schauen, wie es den Gottlosen vergolten wird. Denn der Herr ist deine Zuversicht, der Höchste ist deine Zuflucht. Es wird dir kein Übels begegnen, und keine Plage wird zu deiner Hütte sich nahen. —

Ich brauche dem Leser kaum zu sagen, daß ich mich von diesem Augenblicke an entschloß, in der Stadt zu bleiben und mich ganz der Güte und dem Schutz des Allmächtigen zu überlassen, ohne irgendeine andere Zuflucht zu suchen. Da meine Tage in seinen Händen waren, war er imstande, mich in einer Zeit der Seuche wie in guten Zeiten zu erhalten. Wenn es ihm nicht richtig schien, mich zu bewahren, war ich doch in seinen Händen, und es war seine Sache, mit mir nach seinem Gutdünken zu verfahren.

Mit diesem Entschluß ging ich zu Bett, und der nächste Tag bestärkte mich weiter darin, denn die Frau, der ich mein Haus und alle meine Angelegenheiten hatte übergeben wollen, fiel in Krankheit. Und ich selbst erhielt einen Wink von derselben Seite, denn auch ich befand mich am folgenden Tage recht wenig wohl. Hätte ich also auch fortgehen wollen, so wäre ich dazu nicht imstande gewesen. Mein Unwohlsein dauerte drei oder vier Tage, und damit war mein endgültiger Entschluß zum Bleiben gefaßt. Ich nahm daher Abschied von meinem Bruder, der sich nach Dorking begab, in Surrey, und dann weiterhin nach Buckinghamshire oder Bedfordshire, nach einer Zufluchtsstätte, die er für seine Familie entdeckt hatte.

Es war eine sehr böse Zeit, um krank zu sein, denn von jedem, der klagte, hieß es, er habe die Pest, und obwohl sich bei mir keinerlei Symptome dieser Seuche zeigten, war ich doch nicht ohne Angst, da ich starke Schmerzen im Kopf und Magen verspürte, daß ich wirklich angesteckt worden wäre. Doch nach etwa drei Tagen begann es mir besser zu gehen, in der dritten Nacht schlief ich gut, schwitzte etwas und erwachte recht erfrischt. Die Furcht vor der Ansteckung verließ mich mit der Krankheit, und ich ging wie gewöhnlich meinen Geschäften nach.

Alle Gedanken an Flucht waren mir aber vergangen, und da mein Bruder nun auch fort war, gab es über diesen Gegenstand keine Überlegungen mehr, weder mit ihm noch mit mir selbst.

(…)

Man versuchte wohl das Drucken solcher Bücher, die die Leute nur in Verwirrung setzten, zu verbieten, und jene, die sie in Umlauf brachten, zu bestrafen, aber zu rechten Maßregeln kam es doch nicht, da die Regierung, soviel ich weiß, das Volk nicht weiter aufbringen wollte, das so schon am Ende seiner Vernunft war.

Auch mit jenen Geistlichen kann ich mich nicht einverstanden erklären, die durch ihre Predigten das Gemüt ihrer Zuhörer noch mehr niederdrückten, statt es zu erheben. Manche taten es zweifellos, um den Mut der Leute zu stärken und sie zur Buße anzuhalten. Aber diesen Zweck erreichten sie doch kaum, jedenfalls nicht verglichen mit dem Schaden, den sie anrichteten.

Ein Unfug hat immer einen anderen im Gefolge. Diese Furcht und Angst der Leute brachte sie auf tausend törichte, abgeschmackte und schlimme Dinge, wozu sie von den wirklich bösen Elementen noch ermutigt wurden. Sie rannten zu Wahrsagern, Hexenmeistern und Astrologen, um ihr Schicksal zu erfahren oder, wie man gewöhnlich es nennt, um sich ihr Schicksal sagen und sich die Nativität stellen zu lassen und zu ähnlichem Unsinn, und diese Narretei brachte in der Stadt im Augenblick einen Schwarm vorgeblicher Magier hervor, die sich der Schwarzen Kunst und weiß Gott, was sonst noch alles, rühmten und behaupteten, mit dem Teufel besser zu stehen, als es wohl wirklich der Fall war. Dieses Geschäft wurde so offen und allgemein betrieben, daß man an den Türen Anzeigen lesen konnte: Hier wohnt ein Wahrsager; hier wohnt ein Astrologe; hier wird die Nativität ausgerechnet. Der Bronzekopf Bruder Bacons, das gewöhnliche Zeichen solcher Art Leute, war fast überall in jeder Straße zu sehen, oder auch das Zeichen der Mutter Shipton oder der Kopf Merlins und mehr dergleichen.

(…)

Beschluß beraten und herausgegeben vom Lordmayor und Ratskollegium der Stadt London in Betreff der Ansteckung durch die Pest, 1665.

Amtsbefugnisse der Visitatoren

Daß diese Visitatoren durch die Ratsmänner in geschworne Pflicht genommen werden, von Zeit zu Zeit zu untersuchen und auszuforschen, welche Häuser in jedem Kirchspiel verseucht, welche Personen und an welchen Übeln sie erkrankt seien, und zwar nach bestem Wissen und Gewissen, und daß sie in zweifelhaften Fällen sich zwangsweise Eintritt verschaffen, bis die Art der Erkrankung festgestellt ist; daß sie ferner, wenn eine Person an der Seuche erkrankt sollte befunden werden, dem Konstabler befehlen, das Haus abzusperren, und falls solcher als nachlässig befunden werden sollte, dies sofort dem Pflegschaftsrichter zur Anzeige bringen.

Belustigungen

Sollen alle Belustigungen wie Bärenhetzen, Kartenspiele, das Singen von Moritaten u. dgl., die einen Auflauf von Menschen verursachen, aufs strengste verboten sein, und sollen die Übertreter von jedem Ratsherrn in seinem Bezirk schwer bestraft werden.

Über Festessen

Sollen alle öffentlichen Festessen, besonders jene der städtischen Innungen, in Gast- und Bierhäusern und allen sonstigen Orten für öffentliche Zusammenkünfte, bis auf weiteres verboten sein, und soll das hierdurch ersparte Geld zum Wohle der von der Seuche betroffenen Armen verwendet werden.

Schenken

Soll das unmäßige Zechen in Gasthäusern, Bierhäusern, Kaffeehäusern und Kellern aufs Ernstlichste getadelt werden, als das allgemeine Laster unserer Zeit und bestes Mittel, die Seuche zu verbreiten. Und soll es keiner Person oder Gesellschaft erlaubt sein, ein Gasthaus, Bierhaus oder Kaffeehaus zu betreten oder darin nach neun Uhr abends zu verweilen, gemäß dem alten Gesetz und Gebrauch dieser Stadt, bei gesetzlicher Strafe.

(…)

Es war jetzt Anfang August, und die Seuche nahm in unserer Gegend eine schreckliche Ausdehnung an. Dr. Heath, der hörte, daß ich häufig ausging, ermahnte mich aufs Ernstlichste, mich mit meinem ganzen Haushalt einzuschließen, kein Fenster zu öffnen, die Laden vorzulegen und die Vorhänge herabzulassen. Zuerst aber, erklärte er mir, müßte ich, während Fenster und Türen offenstanden, die Zimmer mit Harz, Pech, Schwefel und Schießpulver gut ausräuchern. Eine Weile folgten wir auch seinem Rat, da ich mir aber keine Vorräte zugelegt hatte, war es unmöglich, gänzlich zu Hause zu bleiben. Doch versuchte ich, diesem Mangel, so gut es noch gehen wollte, abzuhelfen. Backen und Brauen konnte ich zu Hause, so ging ich aus und kaufte zwei Sack Mehl, und einige Wochen lang bereiteten wir unser Brot im eigenen Backofen. Auch Malz hatte ich erstanden, und braute nun so viel Bier, als meine Fässer halten konnten, was für fünf oder sechs Wochen reichen mochte. So versorgte ich mich auch mit gesalzener Butter und Cheshire-Käse, aber Fleisch hatte ich nicht, und die Seuche wütete so entsetzlich unter den Schlächtern auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo sie ihre Läden hatten, daß es nicht ratsam war, sich hinzuwagen.

(—)

Was nun meinen kleinen Hausstand anbetrifft, so hatte ich mir, wie gesagt, Vorräte von Brot, Butter, Käse und Bier zugelegt und folgte nun dem Rate meines Freundes, zu Hause zu bleiben. Lieber wollte ich mich ein paar Monate ohne Fleischnahrung behelfen, als sie mit Gefahr meines Lebens bezahlen zu müssen.

(…)

Aber die Gnade Gottes war größer, als wir vernünftigerweise hätten hoffen dürfen. Die Bösartigkeit der Seuche war erloschen, das Ansteckungsgift hatte sich erschöpft, und zudem stand der Winter vor der Tür. Als bei klarer Luft einige scharfe Fröste einsetzten, trat bei den meisten Kranken Heilung ein, und die Gesundheit fing an, in die Stadt zurückzukehren. Zwar gab es noch im Dezember einige Rückfälle, und die Listen stiegen wieder bis auf hundert Tote an, aber dies war nur vorübergehend, und in kurzem war alles wieder im alten Gleise. Es war erstaunlich zu beobachten, mit welcher Schnelle sich die Stadt von neuem bevölkerte. Ein Fremder hätte sich nicht vorstellen können, daß Zehntausende zugrunde gegangen waren. Auch die Wohnungen schienen alle wieder bezogen. Leere Häuser waren eine Seltenheit, und an Mietern für sie war kein Mangel.

(…)

Ich wäre sehr froh, wenn ich den Bericht dieses schrecklichen Jahres mit einigen Beispielen der Dankbarkeit gegen Gott, unsern Erhalter, abschließen könnte, der uns vom Verderben erlöste. Die Umstände dieser Erlösung von dem furchtbaren Feinde hätten die ganze Nation dazu veranlassen müssen. Nur die Hand Gottes und seine Allmacht konnten sie vollbringen. Die Ansteckung spottete aller Gegenmittel, der Tod wütete bis in die letzten Winkel, noch einige Wochen, und in der Stadt wäre keine lebende Seele zurückgeblieben. Überall bemächtigte sich die Verzweiflung der Menschen, Angst verdrängte den letzten Rest von Mut, und auf allen Gesichtern zeigte sich nur noch die äußerste Hoffnungslosigkeit. Und da, als man wohl sagen konnte: Umsonst ist alle menschliche Hilfe, gefiel es Gott, die Wut der Seuche einzudämmen und ihre Bösartigkeit zu lähmen.

Soweit Daniel Defoe. Anzumerken ist, daß sich 2020/21 nicht das Volk an Wahrsagern und Hexenmeistern orientiert, sondern die Regierung. Auch ist auffällig, daß es unserer allerchristlichsten Kóronadiktatorin vollkommen an Gottvertrauen ermangelt.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: Wir sehen, daß schon 1665 mißliebige Publikationen, die die Leute nach Einschätzung der Regierung nur in Verwirrung setzen, unterdrückt werden sollten.