Kohl hat den Telefonausbau nicht Brüssel überlassen

1990 stand Deutschland mit der Einführung der Telefonie vor einem deutlich größeren Kraftakt, als heute mit Maskenbeschaffung und Impfung. Eine Erinnerung an bessere Zeiten.

Die Ausgangssituation war skurril. Meine Freundin hatte ein Architekturbüro eröffnet, aber kein Telefon. Ihr ging es wie hundertatusenden neu gegründeten Betrieben, die erst mal improvisierten. Im ersten Vierteljahr hatte sie nur einen einzigen Kunden, der einen Bauantrag für ein Schaufenster beauftragte. Ansonsten vertrieb sie sich die Zeit mit Gartenarbeit und dem Verkauf von Blumen und Petersilie auf dem Wochenmarkt. Im Winter mietete sie sich in einer Holzbaracke der LPG ein. Der Knaller: Da übernahm sie auch gleich das Telefon der Genossen. Von da an gings bergauf.

Mein Nachbar war damals Fahrer bei einer Süßwarenfirma, die Läden in Thüringen und im Süden von Sachsen-Anhalt belieferte. Auch alle ohne Telefon. Zweimal in der Woche fuhren Kuriere die Läden an, um die Bestellungen abzuholen. Das mußte nachts erfolgen, weil tagsüber in vielen Städten kein Durchkommen war. Einmal nur durch Eisleben, Weimar oder Aschersleben dauerte jeweils eine Stunde. Nachts war man in 10 Minuten durch.

Was für die Wessis gewöhnungsbedürftig war: Es gab kein einheitliches Vorwahlsystem. Von jedem Ort zu jedem anderen gab es andere Vorwahlen. In jeder Telefonzelle hing ein Vorwahlverzeichnis rum, das dicker war, als das Neue Deutschland.

Im August 1990, nur einen Monat nach der Staatsgründung, arbeiteten bereits Bautrupps an einem sogenannten digitalen Overlay-Netz: Mit Richtfunk und Glasfaser wurden zunächst die acht wichtigsten Städte untereinander und dann über zwei Funkbrücken mit dem West-Netz verbunden. Das war die „Telefonautobahn“. Im Juli 1991 war dieses digitale Fernkabelnetz der Telekom fertig aufgebaut. Nun standen 30 000 Leitungen für den Ost-West-Verkehr zur Verfügung.

Das nutzte aber noch nichts, wenn der Gewünschte kein Telefon hatte. Anfang 1991 wollte der Geschäftsführer einer südhessischen Ingenieurgesellschaft unbedingt Kontakt zu mir aufnehmen. Er nahm seinen Audi und fuhr nach Thüringen. Nach etwa zwei Stunden Durchfragen in Mellingen hatte er mich wie die Stecknadel im Misthaufen gefunden. So waren die Pionierzeiten im wilden Osten.

Später entlastete und ersetzte das Overlay-Netz das marode Kupfer-Fernnetz der DDR. Es bildete mit rund 40 000 Kilometern Glasfaserkabel und den neuen Richtfunklinien die Grundlage für alle weiteren Infrastrukturmaßnahmen. Bereits im Sommer 1992 erfolgte die Ortsnetzvereinigung in Berlin. Das Problem doppelter Rufnummern wurde gelöst, indem rund 155 000 Telefonnummern geändert wurden. Die Einführung bundeseinheitlicher Ortsnetzkennzahlen 1992/1993 stellte dann den endgültigen Schritt zur Vereinigung des ost- und westdeutschen Telefonnetzes dar. Ein Jahr später gelang es der Telekom, die neuen Bundesländer flächendeckend mit ihrem eigenen digitalen Mobilfunknetz zu versorgen.

Ich erinnere mich an das relativ große und schwere Funktelefon, das im Auto eingebaut war. An sensiblen Orten mit vielen Dieben mußte man es herausnehmen und wie Hans im Glück seinen Goldklumpen rumschleppen. Die Netzabdeckung war garnicht so schlecht.

Zur größten Herausforderung der Telekom beim Aufbau Ost wurde jedoch der Ausbau von circa 1 500 Ortsnetzen. Mehr als zehn Millionen Kilometer Kupferkabel verlegte das Unternehmen bis Ende 1997, über eine Million Kunden erhielten bereits modernste Glasfaserkabelanschlüsse. Zwischen 1991 und 1994 konnte die Telekom in Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen zusätzlich 800 000 private und 5 000 öffentliche Telefonanschlüsse einrichten. Dabei stand die Geschäftskundenversorgung im Vordergrund. Bis 1997 waren etwa 8 Mio. Telefonanschlüsse errichtet.

Bei der Verlegung des Telekomkabels im Ort wurden fast alle kreuzenden Abwasserleitungen beschädigt, aber das trübte die  Freude über das eigene Telefon kaum.

Man muß bedenken, daß die Herstellung eines Telefonnetztes fast aus dem Nichts etwas aufwändiger ist, als das Bestellen einer Maske oder das Setzen einer Impfung. Nicht auszudenken, wenn Jens Spahn damals Postminister gewesen wäre. In der entscheidenden Phase war es Christian Schwarz-Schilling, den ich persönlich erlebt habe, und der nicht nur einen fitten Eindruck machte, sondern auch was zustande gebracht hat.

Der Telefonausbau wurde Anfang der 90er Jahre nicht wie die derzeitige Impfstoffbeschaffung Brüssel überlassen. Kohl hatte die besseren Minister und die besseren Berater. Allerdings war er nicht fehlerfrei: Drei fette Probleme hat er uns hinterlassen: Berlin, den Euro und Merkel.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: Für Leute, die nicht abgehört werden wollen, wurde die telefonlose Schnur erfunden.