Wiener fordern Ende des Stubenarrestes

PB hatte vorausgesagt, daß die Leute im Frühjahr zunehmend die Geduld mit dem Stubenarrest verlieren. Das hat weniger politische als anthropologische Gründe. Es gibt eben Bedürfnisse und Gewohnheiten, die von den Traditionsleugnern des elitistischen Milieus nicht akzeptiert werden, und darum dreht sich der Konflikt. Insofern ist ein recht buntes Völkchen auf der Straße.

Bis vor wenigen Jahren waren es die Elitisten, welche die Körperlichkeit, die Musik, den Tanz als Hilfsmotoren ihrer Propaganda nutzten. Das beginnt sich gerade zu drehen. Die Pseudoeliten an der Macht haben inzwischen das Verhalten von vertrockneten Jungfern, Querdenker und Freiheitliche erobern das Land der Phantasie.

Machtausübung macht bequem und kulturell konservativ. Greta und Luisa sowie ihr Anhang erinnern an die ängstlichen Betschwestern der FDJ, die vor allem aus Angst vor Übertretungen und Tabus handelten und die Hammer- und Sicheldeckchen im Wahrheitstempel zurechtrückten.

Vor 50 Jahren war das so organisiert: An einer Ecke des Freibads lagen die Stonesfans, an der anderen die Beatlesanhänger. Dazwischen ein gedachter Graben tiefer Verachtung. Die „Reaktionäre“, zum Beispiel meine Freundin und ich, waren natürlich für die Stones. Und dann gab es noch die ganz Angepaßten, die Heino und Roy Black (West) oder Frank Schöbel und den Oktoberclub (Ost) toll fanden. Ich glaube, die gingen garnicht erst ins Bad, sondern machten lieber Hausaufgaben. Es gab damals Eifrige – ich nenne keine Namen – die immer das machten, was der Staat von Ihnen erwartete, die die Referate hielten und den ganzen Zirkus am Laufen. Für ein Linsengericht oder ein paar Silberlinge. Alles wiederholt sich.

Ich glaube, im Westen waren die Linken Stonesfans und die Rechten liefen den Beatles hinterher. Alles um 180 Grad verdreht. Darum werden Wessis und Ossis immer aneinander vorbei reden. Als ich 1990 zu Studienzwecken im Westen ankam, bemerkte ich bei Leuten, die vor 1950 geboren waren einen gesunden Skeptizismus. Die hatten schon mal ein System in den Arsch gehen sehen. Die Jüngeren waren überwiegend einfältig und staatsgläubig, die konnte man in ihrer Naivität an die Wand klatschen. Die hätten mit unerschütterlicher Gewißheit in Auschwitz wieder die Gashähne aufgedreht, wenn man sie dahin gestellt hätte. Bei den Älteren habe ich damals das Zuwarten gelernt: Verlangtes erst in der letzten Sekunde oder garnicht zu erledigen, die Jüngeren hatten wieder den vorauseilenden Gehorsam.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst. „Die Guten gehn im gleichen Schritt. Ohne von ihnen zu wissen, tanzen die anderen um sie die Tänze der Zeit.“ Franz Kafka (1883 – 1924)