Auf „du“ mit Wladimir

Merkels Abschiedsbesuch in Moskau: Die Flügeltüren wurden von zwei Gardisten geöffnet, sie machten eine gedehnte Blickwendung zu ihrem Chef, der in den Empfangsraum schritt und Dr. M. einen Blumenstrauß übergab. Danach nahmen die Delegationen auf goldenen Sitzmöbeln an einem goldenen Tischchen Platz. Ob es wirklich alles reines Gold ist? 583 ist  ein typischer Goldgehalt in Russland. Der Goldanteil liegt somit bei 58,3 %, der Rest ist zumeist Kupfer aus sibirischen Bergwerken, die von politischen Gefangenen bevölkert wurden, wodurch die rötliche Färbung entsteht. Die Einrichtung des Kreml ist eigentlich kein reiner Barock, kein wirklicher Klassizismus, sondern man könnte es wohlmeinend als russisches Chippendale einordnen. Aber immerhin ist es etwas gediegener, als die Möblierung des Kanzleramts.

Putin war wie ein Bestatter gekleidet, Dr. M. trug den obligaten Mao-Anzug der Kulturrevolutionäre. Am Rande des Geburtstages einer Berliner Politikerin und Publizistin lernte ich mal eine Modeberaterin kennen, die dank Vermittlung eines inzwischen verstorbenen Haarkünstlers bis in die intimen Gemächer der Kanzlerin vorgedrungen war. Ihr Versuch Dr. M. mal was anderes als den Zweiteiler zu empfehlen, war gescheitert.

Was sehr merkwürdig aufstößt, ist die geringe persönliche Distanz. Ich hatte mich zeitlebens bemüht, mit Geschäftspartnern beim „Sie“ zu bleiben, weil man nie weiß, ob man sich immer einig sein wird. Das „Du“ ist für unschuldige Visiten bei befreundeten Landwirten, Schafs-, Enten- und Hundezüchtern sowie einer Reihe von Schulfreunden und sonstigen Freunden reserviert.

Früher gab es Hofzeremonielle, wo genau festgelegt war, wer in welcher Reihenfolge am Tisch der Großen saß, und wer überhaupt nicht. Zeremonienmeister überwachten alles und das hatte seinen Sinn. So wurde der Schriftsteller Jakob Michael Reinhold Lenz im November 1776 aus dem Herzogtum Weimar ausgewiesen, weil er es gewagt hatte unberechtigt auf einem Maskenball des Herzogs zu erscheinen. Aber so wie im folgenden Video sieht es eben aus, wenn Emporkömmlinge sich treffen. Dr. M wirkt sprachlich zurückgeblieben, hölzern und verdruckst.

Ob es wirklich so sinnig war an den letzten Krieg zu erinnern und devot Meldung über den Besuch am Grab des unbekannten Soldaten zu machen? Im Lichte der jüngsten Ereignisse eher nicht. Man kann annehmen, daß dadurch der hohe Mut des Zaren noch hochkalorische Nahrung erhielt. Es ist an solchen sieggewohnten Höfen die Intuition und das Verständnis des Genius Loci gefragt. Nach 57 Sekunden ging auch noch das Telefon von Dr. M. durch, was Putin sichtlich amüsierte und den verheerenden Eindruck ihrer Visite steigerte. Meines Erachtens ist ein selbstbewußtes und sicheres Auftreten gefragt, das Insistieren auf die NGOs sollte man sich in Peking, Katar, Delhi oder Moskau sparen, weil es außer Verärgerung und Kriegsgefahr nichts bewirkt.

Heute hat Paul Widmer, ein schweizer Diplomatielehrer zum Duzen in der Diplomatie Stellung bezogen: „Professionelles Vertrauen basiert auf Respekt, den der Gesprächspartner aufgrund seiner Glaubwürdigkeit genießt. Das hat nichts mit kumpelhaften Umgangsformen zu tun. Umarmungen, Duzen und vertrauliches Schulterklopfen haben sich in der Diplomatie in den letzten Jahren wie ein Erkennungszeichen für eine elitäre Club-Zugehörigkeit ausgebreitet. Meiner Meinung nach hält man sich immer noch am besten an den Rat, den Shakespeare im „Hamlet“ angehenden Diplomaten erteilt: Sei umgänglich, aber keineswegs kumpelhaft.“

Tempi passati. Nun ist der Duzkumpel von Frau Wichtig in den Augen ihrer medialen Panegyriker zur Belastung ihrer Vita geworden.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Das egoistische Zeitalter kennt keine Ehre; denn die Ehre braucht andere Leute, die sie doch voraussetzt, der Egoist setzt nur sich.“ (Geh. Rath v. Goethe, 28. Aug. 1810)