Das Rohstoffroulette

Rußland hat nicht nur große Gasvorkommen, sondern auch Öl, Kohle, Palladium, Nickel, Platin und Kobalt. Bei Palladium beträgt der Weltmarktanteil 40 %, bei Nickel 12 %, und bei Platin 10 %. Darüber hinaus spielt Rußland in der Düngemittelwirtschaft und bei der Produktion von Alu und Stahl eine große Rolle.

Derzeit weilte der russische Außenminister in Indien und verhandelte über russische Rohstofflieferungen für den indischen Tiger. Und zwar zu Preisen, die deutlich unter den im Handel mit Europa erzielten liegen. Das ist nicht so ein großes Problem, weil die russischen Rohstoffgiganten 2021 märchenhafte Gewinne machten.

Der Stahlkocher Novolipetsk hatte ein Gewinn-zu-Umsatz-Verhältnis von 31 %, Severstal von 35 %, der Minenkonzern Evraz von 22,4 % und eine Dividendenrendite von über 20 %. Der Bergbaubetrieb MMC Norilsk glänzte mit 36,5 % Gewinn vom Umsatz und einer Dividende von 5.24 %. Von Gazprom liegt noch keine Bilanz auf dem Tisch. Es sind keine Hungerleider, die die Preise für Indien senken. Mit China gibt es schon seit 2016 eine vertragliche Regelung über den Bau der Erdgasleitung „Kraft Sibiriens“, wobei auch der Chinese von günstigen Preisen profitiert. MMC und andere russische Bergbaukonzerne haben auch Aktivitäten in Afrika, insbesondere was die für die Wasserstoffwirtschaft wichtige Platingruppe der Edelmetalle betrifft. Das alles dürfte im Kanzleramt und im Bundeswirtschaftministerium auch bekannt sein.

Worauf ich hinaus will: Die asiatischen Handelspartner von Rußland werden dank günstiger Rohstoffeinkäufe noch stärkere Konkurrenten auf dem Weltmarkt, insbesondere betrifft das die deutsche Chemieindustrie und Metallurgie sehr negativ.

Wenn man sich anschaut, wie sich die internationalen Chemiekonzerne seit März 2020 entwickelt haben, dann tragen die deutschen die rote Laterne. BASF ist zwar international aufgestellt, aber der Hauptstandort ist immer noch das teure Ludwigshafen. Und bei den internationalen Engagements spielten ausgerechnet die russischen eine große Rolle. BASF und Bayer hatten seit der Kóronakrise im Februar 2020 Kursgewinne von etwa 35 %, die amerikanische und holländische Konkurrenz hat die letzten zwei Jahre ganz anders nutzen können. Dow Chemical, Eastman und Huntsman haben den Kurs nahezu verdreifacht, Lyondellbasell ebenfalls und der Kurs von Akzo Nobel hat immerhin 70 % zugelegt. Der irische Linde-Konzern hat seinen Wert gut verdoppelt, die indische Reliance verdreifacht. Darin spiegeln sich die Zukunftsaussichten, die von den Energie- und Rohstoffpreisen abhängen.

Die folgende Tabelle ist keineswegs eine Anlageempfehlung. Der Autor der Tabelle hat ganze zwei Titel davon und weiß warum: Weil Chemie in der kommenden Stagflation volatil und verletzlich sein wird. Die Tabelle zeigt uns nur, wie die deutsche Industrie im internationalen Vergleich daherkommt.

Div= Dividendenrendite, KGV = Kurs-Gewinn-Verhältnis, GUV = Marge, Gewinn-Umsatz-Verhältnis

Div 19 Div 20 Div 21 Eigenkap KGV 19 KGV 20 KGV 21 GUV 20 GUV 21
BASF 4,89 5,1 48% 22,6 10,3 7
Bayer 3,84 4,15 26% 17,5 46,2 0,2
Lanxess 1,59 1,59 33% 25,8 6,1 17,6 14,3 3,5
Covestro 2,9 2,58 49% 13,7 20,3 6,5 4,3 10,2
Evonik 4,23 4,31 60% 15,4 25,1 17,8 4 5
Air Liquide 2,14 2,05 1,89 46% 26,7 26 28,2 11,9 11,1
Linde 1,64 1,46 1,22 54% 50,8 56 47,2 9,1 12,5
Lyondellbasell 4,39 4,58 4,81 32% 9,9 21,6 5,5 5,1 12,1
Akzo Nobel 2,1 2,22 2,05 39% 37,5 26,7 21,5 7,4 8,6
DSM 2,07 1,7 58% 27,4 48,7 20,6 6,2 18,2
Solvay 2,54 2,71 35% 90,5 11,2 8,3
PCC Rokita 6,97 7,08 48% 10,4 8,8 4,4 6,3 18,9
Reliance Ind 0,43 0,47 0,28 53% 21,2 17,4 27,3 6,6 10,7
Braskem 0 32 2,94 9% 3,3 12,8
Indorama 2,58 3,5 1,89 25% 11,8 46 125 0,1 0,1
Mitsui Chem 3,74 4,88 2,86 39% 6,9 10,5 11,7 2,8 4,8
Shin Etsu 1,96 2,13 2,02 80 11 10,9 17,7 7,9 5,9
Nitto Denko 3,1 4,15 2,11 74 13,7 16 20 6,4 9,2
Tokuyama 1,91 3,35 2,51 51 5,3 7,3 8 6,3 8,1
Tosoh 3,25 4,55 2,83 63 7,2 7,2 10,7 7,1 8,6
PPG 1,98 2,1 2,26 29% 25,6 32,4 28,7 7,7 8,7
Eastman Chem. 3,18 2,66 2,34 37% 14,5 28,6 19,3 5,6 8,3
Huntsman 2,69 2,59 2,08 47% 9,9 100 7,4 1 12,5
Dow 3,84 5,05 4,94 29% 33,9 6,8 3,1 11,5

Die Deutschen sind 2020 besonders brutal ins Kóronaloch gestoßen worden, und nun drücken die Energiepreise heftig. Wir sehen bei den Amerikanern (die letzten 4 Tabellenzeilen) eine bessere Bilanzhistorie und eine bessere Marge. Dasselbe trifft auch auf die Japaner zu (von Mitsui bis Tosoh) und auf die Niederländer (von Lyondellbasell bis DSM). Auch PCC Rokita (PL) und Reliance (Indien) sehen deutlich schöner aus.

Meine Einschätzung: Die Deutschen sind von Dr. M. sehr lange mit „Maßnahmen“ und Klimafirlefanz gequält worden, und nun kommen die Sanktionen oben drauf. Ob die Ampel letztlich die Karre aus dem Dreck zieht, ist noch offen. Aus der SPD werden höchst unterschiedliche Signale gefunkt, Märchenrobert macht sinnfreies Schaulaufen in der Wüste und die FDP ist auf Tauchstation. Es sieht aber danach aus, als wolle das Kanzleramt die Kontakte zu Moskau nicht ganz kappen. Ansonsten droht mittelfristig eine Umleitung der Rohstoffströme nach Asien und zwar zu Discountpreisen. Und mittelbar eine Zerstörung der europäischen Industrie. Obige Tablitza zeigt den fragilen Zwischenstand schon recht deutlich.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Wer Wind und Strom zu seinen Zwecken benutzt, muß darauf gefaßt sein, daß ihm auch einmal etwas begegnet, was nicht in seiner Absicht lag.“ (Johann Jakob Mohr, 1824 – 1886)

 

Beitragsbild aus: Doctor Syntax’s three tours: in search of the picturesque consolation and a wife”” by William Combe, ill. Rowlandson, Archiv des Verf.