Das Eisbärproblem in Großbetrieben

Vor wenigen Tagen rätselten Mario Lochner und Sinan Krieger, warum die bedeutendsten Unternehmen der Welt nach einigen Jahren floppen. Vielleicht werden die monströsen Saurier zu perfektionistisch, zu langsam, mutmaßte Sinan, kleinere Firmen würden stärker ins Risiko gehen und liefen den Monstern den Rang ab. Oder die Großen des Reichs würden von der Politik gestoppt, wenn sie zu mächtig werden. Durchaus möglich, zum Beispiel wurde Faßebook von Heiko M. fast zu Tode reguliert.

  Ach ja, das war der, der noch auf die Fensterbank hochkam.

Lochner und Krieger haben vermutlich noch nie in einem volkseigenen Kombinat (der Unterschied zu Jack Dorsey sein Twitter war und ist mikroskopisch klein) gearbeitet, darum ist ihnen der wichtigste Grund entgangen: Schlamperei, Verschwendung, Gedankenlosigkeit, Überheblichkeit und Großmannssucht.

Eine WELT-Angestellte durfte kürzlich in die WDR-Firmenzentrale hereinspazieren. Was sie da an Ineffizienz erlebte, insbesondere im Sekretariatsbereich, schilderte sie in einem Eintrag. Der Chef war stolz in zehn Jahren 500 Stellen geschrumpft zu haben, allerdings ohne Entlassungen. Er hat immer gewartet, bis jemand stirbt. Denn der Übergang in die Rente bringt wegen üppigen Pensionen kaum Enlastung. Die Sekretärinnen drucken die Emails aus, stecken die Zettel in Mappen und reichen diese den Chefs dar. Naja, hat immerhin den Vorteil, daß nicht wie bei vdL alles wegkommt, was auf das Funktelefon oder den PC gesendet wird.

So ein Großbetrieb, egal ob unter der Kuratel des Kreml oder der EU-Kommission, hat zahlreiche Beauftragte und ihre Stäbe. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Tag, nachdem der oberste Generalsekretät gestorben war. Es war der 11.11.1982 und die Brigaden betranken sich auf Arbeit. Alle zwanzig Minuten kamen zwei stocknüchterne Beauftragte (von der Gewerkschaft und von der Sicherheit) und störten die Feiern. Außerdem wollten sie, daß wegen dem Todesfall die Verkleidung abgelegt würde. Aber die Leute waren schon zu betrunken, um Folge zu leisten. Kaum waren die Störer aus dem Zimmer, kreisten wieder die Schapsflaschen und es wurden unflätige Lieder gebrüllt und staatsfeindliche Anekdoten. Dann wurde unter allgemeinem Jubel solange auf den Tisch gehauen, bis die Gläser runterfielen.

Zu den Witzen gehörte der vom Eisbäramt, welcher die Situation 1:1 beschrieb: Der Scheich in der Wüste will unbedingt einen Eisbär haben.

Der Großwezir weist ihn darauf hin, daß das überdurchschnittliche Kosten verursachen würde, aber der Scheich will nune mal. Nach einer Woche wird das Tier geliefert, es muß ein gekühlter Stall gebaut werden, auf Dauer wird ein Stallwärter angestellt. Nach drei Wochen will der in Urlaub und ein Hilfsstallwärter ist erforderlich, Auch stellt sich heraus, daß der Eisbär anderes Futter braucht als die Kamele. Ein Futtermeister und ein Hilfsfuttermeister sind die Folge. Der Wezir stellte eine Buchhalterin an, um die Kosten zu erfassen. Es folgen ein Gewerkschafter, ein Sicherheitsbeauftragter, ein Dompteur, ein Qualitätsmanager, ein Feuerwehrmann, ein Veterinär, ein Tierschutzbeauftragter und zum Schluß wird ein Direktor für das Eisbäramt berufen. Der wird eines Tages zum Scheich bestellt. „Ich habe gehört, daß der Eisbär gestorben ist, da muß ich euch alle entlassen!“ Der Direktor: „Was? Der Eisbär ist tot? Hmm, das macht nichts, wir beschäftigen uns auch mit uns selber!“

Wo Geld knapp ist, wird gründlicher überlegt wie man damit umgeht. Wenn die Kapitalkosten steigen wird notgedrungen rationalisiert und gestrafft. Bei Meta und Amazon ist das erst der Fall, nachdem sich die Kurse halbiert haben und allgemeiner Zweifel am Geschäftsmodell, an Alexa und am Metaverse aufgekommen ist.

Ich habe zehn Jahre als Geschäftsführer, Prokurist und Gesellschafter im Firmenimperium meiner Freundin gedient, wo es auch mehrmals knapp am Abgrund vorbeiging. Das Problem war, daß die Förderprogramme, aus denen unsere Auftraggeber schöpften (egal ob Baukonzerne oder Bauämter), ständig geändert wurden und man immer an den neuesten Innovationen der Bürokratie dranbleiben mußte. Keine Zeit in Gewohnheiten zu erstarren, laufendes Studium von Amtsblättern, Personalien in den Ämtern und Gesetzentwürfen. Wenig Zeit für fachliche Studien, zu wenig Sinn, sich auf ein spezielles Thema einzulassen. Die Praktiken der Auftragsvergabe standen dagegen, was mich immer gefrustet hat. Es war flexibles Rumturnen in einem irrationalen Irrenhaus, widerspruchslose Wunscherfüllung wie bei o.g. Scheich. Zahlreiche Große aus unserer Branche, insbesondere Spezialisten, gingen den Weg allen Fleisches, wir als ein prinzipienarmes Sammelsurium von Kleinbetrieben überlebten alle Änderungen der Marschroute, jeden Regierungswechsel. Geld war immer knapp, für Spinnereien war kein Raum.

Leider haben Märchenrobert und Gedächtnisolaf diese Perspektive nie erlebt, Christian Lindner war immerhin mal dabei, als ein Betrieb an die Wand gefahren wurde. Mehr als nichts.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Was ist Größe, Clavigo? Sich in Rang und Ansehn über andere zu erheben? Glaub‘ es nicht!“ (Geh. Rath v. Goethe)