Wie man Importware „neutralisiert“

Heute mal Interessantes aus der Welt der Geheimdienste. Die WELT berichtet heute darüber, daß deutsche Chips in russischen Panzern verbaut würden. Da wundern sich nur blutige Laien, die vom Außenhandel wirklich keine Ahnung haben.

1986 war ich bei einer Ingenieurfirma namens Ratioprojekt beschäftigt. Am Ortseingang von Erfurt hing damals ein Schild: „Erfurt läßt bit-ten“. Das dortige Kombinat Mikroelektronik unternahm die größten Anstrengungen von Bauelementelieferungen aus dem Ausland unabhängig zu werden und die Eigenbedarfsdeckung zu forcieren.

Der westliche CoCom-Technologieboykott hatte die Mitgliedsländer des RGW vom Markt für westliche Hochtechnologie eigentlich abgeschnitten und sie somit gezwungen, alle modernen Technologien innerhalb der eigenen Volkswirtschaften zu entwickeln. Obwohl die DDR uneigentlich das Embargo durch Einschaltung von Mittelsmännern umgehen konnte und dem Bereich Mikroelektronik ab Ende der siebziger Jahre überdurchschnittliche finanzielle, personelle und materielle Mittel zugeführt worden waren, gelang es der DDR-Volkswirtschaft mit dem Kombinat Mikroelektronik Erfurt letztlich nicht, den Entwicklungsrückstand gegenüber den weltweit führenden Halbleiterherstellern von durchschnittlich ein bis zwei Bauteilgenerationen aufzuholen.

In Sömmerda wurden 16-Bit-Computer mit einem russischen Nachbau des CPU Intel 8086 hergestellt. Man konnte damit Texte bearbeiten und einfache Rechenaufgaben bewältigen. Die Disketten wurden bei Ratioprojekt in Stahlschränken verwahrt und man mußte immer den Hern Töpfer suchen, der den Schlüssel hatte. Da ging es fast immer schneller den Rechenschieber zu nehmen, Taschenrechner gab es ja noch nicht zu vernünftigen Preisen. Sie wurden von geschäftstüchtigen arabischen, pakistanischen und bangladeschischen Studenten direkt über die Zonengrenze geschmuggelt und zu wirklichen Mondpreisen verkauft. Ein Exemplar, das hinter dem Stacheldraht 10 Deutschmark kostete, wurde zu knapp 400 Ostmark verscherbelt. Darum habe ich noch bis 1989 den Rechenschieber genommen. In der Hochschule für Architektur und Bauwesen gab es allerdings schon ein paar sowjetische Rechner Typ Feliks, die per Handkurbel bedient wurden. In der EDV-Abteilung standen ein paar riesige Ungetüme, mit denen man heizen konnte, und die per Lochstreifen gefüttert wurden.

Feliks: Für eine Multiplikation mußte man etwa 20 bis 30 Runden leiern.

Eines Tages wurden bei Ratioprojekt zwei Computer der Schneider Rundfunkwerke Türkheim AG angeliefert. Es waren welche aus der Amstrad CPC-Serie. Amstrad war eine britische Firma, die in Fernost bauen ließ. Schneider war nur der Vetriebler für den deutschsparchigen Raum. Die Rechner wurden als Komplettpaket geliefert: Enthalten waren der eigentliche Rechner mit integrierter Tastatur und Laufwerk für 3″-Disketten, ein FarbMonitor mit integriertem Netzteil, mehrere Verbindungskabel, ein Handbuch, eine Bootdiskette sowie eine Diskette mit Programmen. An das Set zum Drucken kann ich mich nicht mehr erinnern, es muß es aber auch gegeben haben. Eine Arbeitsgruppe wurde gegründet, die den Einsatz in der Elektroprojektierung, und zwar für CAD vorbereitete. Die ersten zwei Sitzungen wurden damit verplempert, um alle Maßnahmen der „Neutralisierung“ – so die Sprachregelung – zu erörtern. Die Firmenschilder mußten abgefeilt werden und die Benutzerhandbücher von vergatterten Sekretärinnen abgeschrieben werden, wobei alle Hinweise auf den Hersteller zu tilgen waren. Zwei zuverlässige Ingenieure ohne Westverwandschaft wurden als Anwender ausgesucht. Sie arbeiteten sich in die Materie relativ schnell ein, es lief auf den Maschinen eine Art AutoCAD. Leider gingen beide Computer binnen eines halben Jahres kaputt. Es gelang jedoch aus zwei defekten einen funktionsfähigen zusammenzubasteln.

Da ich wegen dem kaputten Dachstuhl meiner Scheune in einen Betrieb mit Sägewerk – die berühmt-berüchtigte ZBOWL – wechseln mußte, habe ich die weitere Story aus den Augen verloren. Meinem Gefühl nach wurden die Computer über irgend ein neutrales Drittland besorgt. In Frage kamen damals Syrien, Äthiopien, der Irak, aber auch afrikanische und arabische Händler.

Heute ist die Lieferung westlicher Technik nach Rußland wesentlich einfacher, weil viele Unternehmungen und Staaten mit Kasachstan, Azerbaidshan, weiteren Trümmerteilen der SU und China blühenden Handel treiben. Auch arabische Händler sind wieder mögliche Zwischenstationen. Die Welt ist vielfältiger und bunter als in den 80ern, Amerika viel machtloser.

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Krieg, Handel und Piraterie, dreieinig sind sie, nicht zu trennen.“ (Geh. Rath v. Goethe)