Putin auf Selenskyis Spuren

In den orthodoxen Gesellschaften spielen Staatsgläubigkeit und Rechthaberei eine nicht geringe Rolle, Das ist traditionell so, Das hat auch Auswirkungen auf das Verhalten orthodoxer Staaten untereinander.

Zwischen der Ukraine und Rußland hat es seit dem Sprachengesetz der Ukraine von 2012 heftig geknirscht. Das Russische wurde quasi verboten, auch andere Minderheitensprachen wurden zurückgedrängt. Nun ist aufgefallen, daß Rußland in der gleichen Münze heimzahlt. In den derzeit von Rußland annektierten Gebieten wird neuerdings die Sprache der ukrainischen Minderheit unterdrückt.

Das widerspricht der traditionelllen moskowitischen Verfahrensweise seit 1905. Seither wurden die Sprachen der untertanen Randvölker nicht offen bekämpft. Ich wurde zwar von der fünften bis zur zwölften Klasse und darüber hinaus mit Russisch traktiert, der eigentliche Unterricht fand aber in Deutsch statt. So wurde auch mit den anderen unterworfenen Völkern verfahren, einschließlich der in der Sowjetunion.

Von 1863 bis 1905 wurde in der Ukraine abweichend vorgegangen. Die polnische Teilung war auch nach hundert Jahren wegen Verschlechterung des rechtlichen Status der Landbevölkerung und dem Ukas über die Ansiedlungsrayons noch nicht richtig verdaut worden, 1863 verbot im Zusammenhang mit dem polnischen Januaraufstand, der auch auf die Ukraine übergriff, der russische Innenminister Walujew mit dem sogenannten „Walujew-Zirkular“ die ukrainische Sprache („den kleinrussischen Dialekt“) für wissenschaftliche und religiöse Publikationen sowie Schulbücher zu verwenden. Eine kaiserliche Kommission, die „ukrainophile Propaganda“ untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass die Verwendung der ukrainischen Sprache staatsgefährdende Auswirkungen habe. Dies führte dazu, dass der Geltungsbereich des Walujew-Zirkulars ausgedehnt wurde und Alexander II. am 30. Mai 1876 den Emser Erlass unterzeichnete. Er verbot im Russischen Kaiserreich Druck, Import und Verbreitung literarischen Schrifttums in ukrainischer Sprache in allen Formen, auch im Theater, und stellte Zuwiderhandlungen unter Strafe.

Entsprechende Schriften konnten nur noch im Ausland erscheinen. Dies geschah vor allem im benachbarten, damals österreichischen Galizien, wo zum Teil Ukrainisch gesprochen wurde.

Lockerungen, um die ukrainische Sprache im Russischen Reich zu verwenden, regte zunächst die Russische Akademie der Wissenschaften an. Sie bewertete Ukrainisch nicht als einen Dialekt, sondern als eigenständige Sprache. Darauf veröffentlichte Zar Nikolaus II. auf Vorschlag von Sergei Witte das Oktobermanifest vom 17. Oktober 1905. Damit wurde der Emser Erlass faktisch hinfällig. Bereits im Dezember 1905 erschienen die ersten beiden Zeitungen in ukrainischer Sprache

Nun werden also nach der gegenseitigen Leugnung der Muttersprachen neue Seiten aufgezogen. Ein Friedensschluß wird vermutlich auf so einer Basis der gegenseitigen Nadelstiche nicht zustandekommen, allenfalls ein Waffenstillstand wie in Korea. Die Volksgruppen werden dann vermutlich umgesiedelt, wie das bei der Teilung von Indien und Pakistan praktiziert wurde.

Drei Millionen Russen sind bisher aus der Ukraine nach Rußland geflüchtet, weitere vier Millionen in das von Rußland annektierte Gebiet. Wie viele Ukrainer das von Rußland annektierte Gebiet bereits verlassen haben, entzieht sich meiner Kenntnis. Auf Basis der Wahlergebnisse von 1990 bis 2014 kann man annehmen, daß etwa ein Viertel der Bevölkerung im annektierten Gebiet ukrainisch war. Die Absonderung von Russen und Ukrainern dürfte auch auf Grund der Aushebungen aktuell weit fortgeschritten sein.

Es ist alles nicht so einfach, wie es sich theoretisch gestaltet. Es gibt seit Jahrzehnten viele Mischehen, zahlreiche Leute wissen nicht ob sie Ukrainer oder Russen sind und der Krieg ist ihnen lästig. Ähnliche Probleme gab es in den Jugoslawienkriegen, die aber doch mit der Trennung der meisten Völker endeten.

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „O süße Stimme! Viel willkommener Ton der Muttersprache in einem fremden Lande!“ (Geh. Rath. v. Goethe 1787)