Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Heute morgen sah ich aus dem Fenster: Das kann doch nicht wahr sein! Ist das der Aprilscherz? Gestern hatte ich noch in den Wetterbericht reingesehen: Schnee? Nee!

Statt dessen wurden wir belehrt, daß der März zu warm und zu trocken war. Spinnen die Wetterfrösche? Fast kein Tag seit Januar ohne Regen und denen ist es immer noch nicht naß genug! Noch keine blühende Forsythie im April, statt dessen dick Schnee auf den Bäumen.

„Nachtigal, ick hör dir trapsen“, sagt man in solchen Fällen in Ostberlin. Schnee im April, das paßt nicht zum Klimawandel, den muß man als Meteorologe einfach ignorieren.

Christian Morgenstern hatte 1910 für solche Fälle das Spottgedicht: „Die unmögliche Tatsache“ veröffentlicht, allerdings nicht auf Wetterkapriolen, sondern auf den Straßenverkehr bezogen:

Palmström, etwas schon an Jahren,
wird an einer Straßenbeuge
und von einem Kraftfahrzeuge
überfahren.

»Wie war« (spricht er, sich erhebend
und entschlossen weiterlebend)
»möglich, wie dies Unglück, ja –:
daß es überhaupt geschah?

Ist die Staatskunst anzuklagen
in bezug auf Kraftfahrwagen?
Gab die Polizeivorschrift
hier dem Fahrer freie Trift?

Oder war vielmehr verboten,
hier Lebendige zu Toten
umzuwandeln, – kurz und schlicht:
Durfte hier der Kutscher nicht –?«

Eingehüllt in feuchte Tücher,
prüft er die Gesetzesbücher
und ist alsobald im klaren:
Wagen durften dort nicht fahren!

Und er kommt zu dem Ergebnis:
»Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil«, so schließt er messerscharf,
»nicht sein kann, was nicht sein darf.«