Altersteilzeit mit 55 und Rente mit 70 – Wie geht das zusammen?

Es  war der Arbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering, der die Rente mit 70 ins Spiel brachte. Nun, wer mit 69 fit genug ist eine 29jährige zu bespringen (Michelle Müntefering, geboren 1980), der ist auch jung genug zum rumspringen bei der Arbeit, dachte er. 

Gleichzeitig zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit läuft ein Frühverrentungsprogramm im öffentlichen Dienst, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich. Das nennt sich Altersteilzeit.

In Deutschland wurden von 1999 bis 2012 644.000 Leute über Altersteilzeit in die Frührente entlassen. Von etwa 11 Millionen Einwohnern, die in diesen 14 Jahren das Rentenalter erreicht haben, sind das immerhin 6 %. Von den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die das Rentenalter erreicht haben, war das etwa die Hälfte. Für Österreich liegt für das Jahr 2009/2010 eine zugängliche Zahl vor. Es handelte es sich um  5.500 Frühverrentungen über Altersteilzeit.  Der Anteil an der Bevölkerung und an den Rentnern ist also etwa derselbe wie in Deutschland.

Fahren Sie mal in ein bekanntes Feriengebiet oder auf einem deutschen Radweg und ihnen begegnen auf Schritt und Tritt jugendliche, durchtrainierte und fitte Frührentner.  Die Restbevölkerung muß Urlaub nehmen um ihnen zu begegnen oder ein Wochenende nutzen.  Der Frührentner macht morgens mal eine Radtour auf einen 1.500er Berg, nachmittags reicht es noch für 40 Kilometer entlang eines Flusses und zurück. Er trägt Klamotten wie bei der Tour de France, aber Doping braucht er nicht. Die Theater, Opern und Museen wären noch weniger besucht ohne ausgeruhte Frührentner. Wenn man bei youtube unter Rentnerfreuden googelt findet man Rentner als Sextouristen in Thailand, Rentnerinnen als Sextouristinnen in Kenia und massenhaft Rentner unter Palmen in tropischen und subtropischen Paradiesen.

Die Dummen, die den Lebensunterhalt der Frühverrenteten bezahlen müssen, sollen bis 70 oder darüber hinaus arbeiten. So funktioniert in Deutschland und Österreich soziale Gerechtigkeit. Wirklich???

Die Dummen haben inzwischen auch entdeckt, daß was nicht stimmt. Immer mehr Leute, die bis 70 schuften sollen, schmeißen vorzeitig hin und verzichten lieber auf einen Teil der Rente, statt bis an den Rand des Rentenbezugs zu schaffen.  Die vielen Altersteilzeitler haben der Gesellschaft gezeigt, wo es wirklich langgeht, wie angenehm das Alter sein kann und daß das Leben nicht erst mit 66 anfängt.

Nach Zahlen der Rentenversicherung gehen Männer in Deutschland im Durchschnitt mit 63,8 Jahren in den Ruhestand, Frauen mit 63,3 Jahren. Das reale Renteneintrittsalter liegt niedriger, als das gesetzliche. Und was vor dem Renteneintritt alles passiert, darüber schweigt sich das Amt aus. Viele Leute sind vorher auf Alo oder auf Hartz, andere haben was gespart und halten sich mit geringfügigen Jobs, Kleingewerbe und Aufstockung über Wasser, bis der Renteneintritt erfolgt.

Gerade die Beamten und Staatsangestellten, die zwischen dem 50. Und 60. Lebensjahr vorzeitig aus dem Amt entlassen werden, könnten bis 70 arbeiten, da sie körperlich weniger auszustehen haben. Ein Fußbodenleger oder Dachdecker kann das nur bei einer Ausnahmekondition. Diejenigen, die es wegen körperlichen Verschleißerscheinungen nötig haben, bekommen die Altersteilzeit nicht . Den Staatsdienern wird sie hinterhergeworfen.  Wie paßt das zusammen?

Früher waren die Gewerkschaften dazu da, die Arbeitnehmer gegen Arbeitnehmer zu vertreten. Die Zahl der Arbeitnehmer in der gewerblich-technischen Wirtschaft ist zusammengeschnurrt, mit ihnen die Zahl der Gewerkschafter in diesem Bereich. Der DGB wird bald überwiegend öffentliche Angestellte und Beamte vertreten, wenn es so weitergeht.  Bereits jetzt sind fast 500.000 Beamte in der Gewerkschaft, dazu etwa 1,5 bis 2 Millionen Staatsangestellte. In anderen Ländern, z.B. Griechenland stellt der öffentliche Dienst über 70 % der Gewerkschafter. Da ist die Gewerkschaft nicht mehr dazu da, den Arbeitgebern den Lohn rauszuleiern, sondern um die öffentlichen Kassen regelrecht zu plündern.

Bei den öffentlichen Tarifverhandlungen ist das schöne, daß auf beiden Seiten des Verhandlungstisches Leute mit gleichen Interessen sitzen.  Die Verhandlungsdelegation der öffentlichen Arbeitgeber bekommt zum Schluß auch die Vorteile, die die Verhandlungsführer der Arbeitnehmer erstreiten. Darum enden Verhandlungen für den öffentlichen Dienst immer mit der bedingungslosen Kapitulation der Arbeitgeber.  Der öffentliche Dienst hat auf alles ein Monopol. Daß Krankenhäuser, Müllabfuhr, Kindergärten, Busse und Schulen bestreikt werden, davor haben die Lappen von Politikern panische Angst. Und darum gibt es im Öffentlichen Dienst Zusatzversorgungskassen, Weihnachts- und Urlaubsgeld und auch Altersteilzeit.

Die Rente mit 70 wird voraussichtlich nichts werden.  Die Arbeiter und Angestellten aus der Privatwirtschaft haben sich mehr als ein Jahrzehnt das dolce vita, das süße Leben der Staatsangestellten mit Altersteilzeit angesehen. Das wollen sie nun auch haben.  Mit Recht. Denn Wein saufen und Wasser predigen hat noch niemals funktioniert.