Von Wilster nach Grafenrheinfeld mit Freileitung oder Kabel

Von der Systempresse werden gerade Märchen über die sogenannte Stromautobahn von den Windparks in der Nordsee zu den Verbrauchern in Süddeutschland erzählt. Von Wilster bis Grafenrheinfeld sind es auf der Bundesautobahn BAB A 7  558 km. Zwischen diesen beiden Orten soll Elektroenergie übertragen werden. Die Trasse wird im Moment geplant. Das heißt, es werden Varianten untersucht und mit Behörden abgestimmt, es werden Planfeststellungsunterlagen erarbeitet, die in die Bürger- und Behördenbeteiligung gehen. Die Unterlagen werden nach Bearbeitung der Einwendungen von Bürgern, Gemeinden, Grundeigentümern, Behörden und Verbänden überarbeitet und planfestgestellt. So ist der Ablauf. Das hört sich einfach und logisch an.

Ist aber kompliziert. Die Trassenfindung wird nämlich vor Ort nach dem Sankt-Florians-Prinzip beurteilt. Immer soll die Trasse beim Nachbarn langgehen. Die Umweltverbände verlangen immer wieder neue Variantenuntersuchungen, die teilweise sinnlos sind und nur der Verzögerung und Verwirrungsstiftung dienen. Und über diesem Trassenkampf  schwebt die Grundsatzfrage: Soll eine Freileitung gebaut werden, oder soll die Strecke erdverkabelt werden.

Für die konventionelle Drehstrom-Freileitung sprechen die Baukosten und die Erfahrungen bei Bau und Betrieb. Außerdem ist sie unterwegs mit dem vorhandenen Leitungsnetz verknüpfbar. Für die Gleichstrom-Erdverkabelung sprechen landschaftsästhetische Belange und der Schutz der Vogelwelt. Schon jetzt ist klar, daß es erbitterten Streit zwischen den Befürwortern beider Lösungen geben wird.

Technisch-ökonomisch ist erst mal erforderlich, daß man sich für eine von beiden Lösungen konsequent entscheidet. Der abschnittsweise Wechsel zwischen Hochspannungsfreileitung für Drehstrom und Erdverkabelung für Gleichstrom ist sündhaft teuer, da jede Umformung des Stroms etwa 90 Mio. € an Investitionen kostet. Was Bundeslandwirtschaftsminister Friedrich fordert, ständig bei Landschaftsbild und anliegender Bebauung zu verkabeln und dann wieder in die Freileitung zu wechseln, das geht nur dann, wenn die Freileitung auch für Gleichstrom gebaut wird. Eine Gleichstrom-Freileitung kostet aber schon wieder das zwei- bis dreifache einer Drehstrom-Freileitung. Vor der bayrischen Kommunalwahl wird Bürgerinitiativen und den ahnungslosen Qualitätsmedien verantwortungslos zum Mund geredet.

Zu den technischen und ökologischen Einzelheiten gibt es übrigens zwei interessante Quellen im Netz: Die Dena hat eine Übersicht zu Stromübertragungstechnologien ins Netz gestellt. Und es gibt eine BMU-Studie „Ökologische Auswirkungen von 380-kV-Erdleitungen und HGÜ-Erdleitungen“.

Die Befürworter der Drehstrom-Freileitung argumentieren mit dem Kostenunterschied (1,0 bis 1,5 Mio pro Kilometer zu 10 Mio für die Gleichstrom-Kabellösung). Außerdem weisen sie auf geringere Betriebskosten hin. Sie behaupten, die Leitungsführung sei flexibler an das Gelände anpaßbar.

Die Freileitungsgegner behaupten wiederum, eine Verkabelungstrasse sei kürzer, über dem Kabel könne Landwirtschaft betrieben werden und die Trassenbreite sei geringer.  Und außerdem sei der Kostenunterschied kleiner. >Hier

Die Trassenbreite ist beim Kabel tatsächlich deutlich geringer.  Mit der landwirtschaftlichen Nutzung ist das so eine Sache. Über oder neben der Leitung muß dauerhaft eine Straße oder ein befestigter Weg unterhalten werden, der den Zugang zum Kabel gewährleistet, um an die Muffen und an die Kabel jederzeit heranzukommen. Wegen dieser Straße, die man auch schon als Baustraße benötigt, kommt die Trassierung über Schluchten und steile Berghänge nicht in Betracht. Man kann nur so trassieren, daß die Leitung an einer befahrbaren Straße liegt. Da ist bei ungefähr 10 % Längsgefälle Schluß, weil die Befahrbarkeit auch im Winter gewährleistet sein muß. Ob die Verkabelungstrasse unter diesen Bedingungen kürzer wird, ist eine gute Frage: im Gebirge wahrscheinlich nicht. Außerdem werden durch die Straße die Bewirtschaftungseinheiten (Felder) der Bauern doch zertrennt.

Der Tiefbaupraktiker weiß, daß es Leitungskreuzungen, Kreuzungen mit Straßen, Eisenbahnen, Wegen und Gewässern gibt. Mit Freileitungen ist man da relativ flexibel, mit Kabeln nicht so. Jede Kreuzung erfordert bei Kabeln Dükerungen oder Bohrungen bzw. Umverlegungen von anderen Medien. Größere Medienleitungen sind teuer anzupassen, bzw. der Trassenverlauf ist auf vorhandene Leitungen und Kabel abzustimmen. Das können Erdgasleitungen, Produktenleitungen oder Fernwasserleitungen sein. Den Aufwand für kleine Leitungen und Kabel will ich nicht übertreiben.  Aber viele Hunde sind auch des Bären Tod. In der Lüneburger Heide kommt man vielleicht auf 1 bis 3 Kreuzungen pro Kilometer, in dicht besiedelten Bereichen können es schnell 10 bis 20 werden.

Der Bauaufwand für eine Verkabelung ist hinsichtlich der baubedingten Störungen des Naturhaushalts nicht unbeträchtlich. Der Laie unterschätzt, wie die Baustelle einer Dükerung oder einer Leitungskreuzung aussieht, wenn das Wetter gerade schlecht ist. Die Freileitungstrasse erfordert baubedingt wesentlich geringere Eingriffe. Überhaupt ist die Freileitung deshalb billiger, weil zu ihrer Errichtung deutlich weniger Energie verbraucht wird, Bauprozesse sind nun einmal sehr energieintensiv.  Baukosten sind grob gerechnet zur Hälfte Energiekosten. Wenn die Grünen und die Umweltverbände (außer den Vogelschützern natürlich, die profunde Argumente haben) es mit der Energieersparnis und dem Naturschutz ernst meinen würden, so würden sie für die Freileitung votieren. Man kann jedoch darauf wetten, daß sie den Bürgerinitiativen assistieren, so wie sie früher den Pädos geholfen haben. Das ist inzwischen wie ein Reflex, es passiert ohne zu überlegen. Auf solche Besonderheiten, daß Feuchtgebiete durch eine größere Stromkabeltrasse gefährdet werden, möchte ich hier nicht näher eingehen. Die Naturschützer werden Umgehungsvarianten fordern, was auch der Gesetzeslage entspricht und Trassenverlängerungen mit sich bringt.

Wenn wir mal die Baukosten zugrunde legen, die in der WELT veröffentlicht worden sind, so ergeben sich für die Drehstrom-Freileitungsvariante Baukosten von ca. 1 Mrd. € und für die Gleichstrom-Kabelvariante etwa 6 Mrd. €. Wobei die Verkabelung eine Experimentalbauweise ist, für die es keine genauen Erfahrungen gibt. Bisher wurden solche Hochspannungs-Gleichstrom-Kabel (HGÜ-Kabel) als Seekabel gebaut. In Berlin gibt es ein Pilotprojekt an Land, welches zu klein ist, um alle Fragen zu beantworten.  Die Kosten von 1 Mrd. € für die Freileitung werden durch Auflagen in der Planfeststellung und endlose Verzögerungen durch Einsprüche um ein mehrfaches überschritten werden, und an die 6 Mrd. für die Kabellösung glaube ich auch nicht. Man braucht nur an BER, Stuttgart 21 und die Elbphilharmonie zu denken.

In meinem Blog wird immer überschläglich geklärt, was es den Bürger kostet. Wenn wir mal annehmen, daß  5 Mrd. € Mehraufwand für die Verkabelung entstehen, so sind das pro Bürger 62 € oder für eine vierköpfige Familie 250 €.

Da der Windstrom in Grafenrheinfeld nicht zwischengespeichert werden kann, und im süddeutschen Netz nicht bedarfsgerecht zur Verfügung steht, ist die Leitung das Geld nicht wert. Denn erstens wird die Leitung zu etwa 80 % für Flatterstrom gebaut, der nicht gespeichert und darum nicht bedarfsgerecht eingespeist werden kann. Zum Unsinn des Windstroms >Hier. Zweitens muß jede deutsche Familie für sich selbst entscheiden, ob sie 250 € für die Verkabelung spendieren will oder kann…