In Polen wird nicht nur gestohlen

Manchmal kann man von fremden Völkern etwas lernen. In diesem Fall Transparenz. Ausgerechnet in Warschau.

Ich hatte ein paar Freunde in der polnischen Hauptstadt besucht und war auf einem Bummel durch die Stadt. Zufällig kam ich an der Politechnika Warszawska vorbei, einer Hochschule für Ingenieurwissenschaften. Es war speziell das Gebäude wo Bauingenieure ausgebildet werden. Ich ging in den Haupteingang um mal wieder Hochschulluft zu schnuppern. Mir begegnete schon nach wenigen Stufen der Eingangstreppe ein Professor. Ich dachte, daß er nach meiner Befugnis fragt und mich wieder rauswirft. Aber er erkundigte sich höflich nach meinem Wunsch.  Ich sagte ihm, daß ich mal sehen wolle, ob es den polnischen Ingenieurstudenten gut geht. Er wechselte das Gespräch in die deutsche Sprache und bat mich die erste Etage zu besuchen, wo die studentischen Arbeiten ausgestellt seien. Er war so interessiert, diese Ausstellung zu präsentieren, daß er mitkam und mich eine ganze Weile bei den Exponaten begleitete. Er platzte bald vor Stolz.

Die Arbeiten waren sehr gut aufgemacht, teilweise in Vitrinen, teilweise als Computergrafiken aufgehängt. Die Schule macht offensichtlich einen guten Job und die Studenten sind motiviert. Der Professor erzählte, daß auch Ergebnisse von Konkursen dabei wären. Nanu? Ich habe am Abend im Wörterbuch nachgeschaut, Konkurse sind in Polen Wettbewerbe. Jeder, der sich die Exponate anschaut, kann sofort erkennen, welches die besten Studenten sind, denn es standen auch immer die Namen der Urheber dran.

Was gibt es  da besonderes? Ist doch selbstverständlich!

Niestety nie – leider nicht. In Deutschland geht es ganz anders zu. Bei uns ist der Regelfall, daß die Beststudenten von den Professoren in eigenen Büros angestellt und vermarktet werden. Es gibt nur wenige deutsche Hochschullehrer, die nicht neben der beamteten Anstellung im Bildungswesen noch einen freiberuflichen Job machen. Oder umgekehrt, für die die Lehre der Nebenerwerb ist und das eigene Büro die Hauptsache. Je nach Auftragslage kann man Personal vom eigenen Büro in die Uni oder Hochschule verschieben oder wieder zurück. In dieser Interessenlage  ist es natürlich Strategie, das Wissen über die studentische Leistungsfähigkeit zu monopolisieren und Qualifikationen zu verschleiern. Solche Dauerausstellungen von Studentenarbeiten sind selten.

Bei der Eröffnung einer Schule in Thüringen erzählte mir der Entwurfsarchitekt vor einigen Jahren ganz stolz, daß er einen Partner hat, der Professor an der Bauhaus-Uni in Weimar ist und ihm immer die besten Studenten zuspielt. Dadurch würde er bei Wettbewerben exzellente Präsentationen zustande bringen.

Für deutsche Professoren haben verschiedene Bundesländer und Universitäten ein umfangreiches Nebentätigkeitsrecht entwickelt. Es gibt genehmigungspflichtige und nicht genehmigungspflichtige Tätigkeiten. Die Grenzen sind naturgemäß schwammig. In der Vorschrift einer hessischen Uni heißt es beispielsweise: Voraussetzung für die Genehmigung von Nebentätigkeiten ist, daß die Entgelte und geldwerten Vorteile aus genehmigungspflichtigen Nebentätigkeiten im Kalenderjahr 30 v.H. der Jahresdienstbezüge bei Vollzeitbeschäftigung nicht überschreiten sollen und bei höheren Entgelten aufgrund einer besonderen Prüfung der Versagungsgründe aktenkundig festgestellt wird, dass durch die Nebentätigkeit dienstliche Interessen nicht beeinträchtigt werden. Bei solchen Prüfungen gilt der alte akademische Grundsatz: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Unsere Freunde in Polen machen vieles anders – noch. Sie sind vom deutschen Universitäts-Muschepupu noch nicht verdorben und frönen einer marktwirtschaftlichen Grundstimmung, in der Transparenz herrscht. Aber wie lange noch? Wenn verschiedene Systeme miteinander in Berührung kommen, gibt es eine  Tendenz zur Angleichung, zumindest wenn die Vertreter der Konvergenztheorie recht hätten. Und eine Angleichung führt immer zum untersten Niveau. Also zur deutschen Praxis. Tugend will ermuntert sein, Bosheit kommt von ganz allein, reimte Wilhelm Busch. Der Bologna-Prozess soll die europäischen Hochschulen ja ausdrücklich einender näher bringen. Und dann gibt es als Motor der Völkerverständigung noch die Viadrina in Frankfurt an der Oder. Auch in Polen sind Nebentätigkeiten von Professoren inzwischen nicht mehr unbekannt. 2007 lag die monatliche Durchschnittsvergütung eines deutschen Professors bei 4.546 €, die des polnischen Kollegen betrug 1.758 €. Da hat der Pole eher Bedarf aufzustocken.

Alles war vorbildlich in Warschau, nicht mal das Auto ist mir gestohlen worden, obwohl Kollegen aus der polnischen Provinz darauf regelrecht gewettet hatten. Die Polen haben für ihre Metropole etwa dieselbe Sympathie wie wir Deutschen für Berlin. Oder noch etwas weniger. Ich hatte als Freund der Vorsicht meinen alten Opel gegenüber dem Verteidigungsministerium abgestellt, wo immer zwei Wachen am Eingang standen. Die Bewachung war gut und hat nichts gekostet…