Die Geschichte der nordafrikanischen Seefahrt

Gerade berichten die sogenannten Qualitätsmedien über das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer. Zu den Ursachen und zur Geschichte des Desasters, also zur Geschichte der nordafrikanischen Häfen hört man zu wenig.

Eine effiziente Afrika-Politik der EU muß das Mittelmeer stabilisieren. Die EU-Granden und die Medien taten das Gegenteil. Sie destabilisierten Staaten die am Strand des Mittelmeers in der ersten Reihe sitzen: Tunesien, Libyen, Ägypten und Syrien und machten das Mittelmeer zu einem Krisengebiet. Viele Waffen, die jetzt bei ISIS auftauchen, sind im Libyen-Feldzug abhanden gekommen. Wenigstens Tunesien und Ägypten sind nach den revolutionären Turbulenzen jetzt wieder in der Hand berechenbarer Regierungen, Libyen und Syrien leider nicht. Algerien und Marokko waren glücklicherweise garnicht erst in den verheerenden Strudel des arabischen Frühlings geraten.

Der ganze Mittelmeeraum litt bis etwa 1835 unter Piraterie und Verschleppung von europäischen Küstenbewohnern nach Nordafrika. Die ganze süditalienische Küste weist alle paar Kilometer einen sogenannten Türkenturm auf. Das waren Wachttürme, die die Bevölkerung vor herannahenden Korsaren warnten. Selbst aus Südfrankreich wurden noch im 19. Jahrhundert am hellichten Tag Menschen verschleppt.

Befestigte Küste auf Malta Foto: Wolfgang Prabel
Befestigte Küste auf Malta
Foto: Wolfgang Prabel

Seit dem 17. Jahrhundert bildeten Algier, Tunis und Tripolis weitgehend unabhängige Staaten, die von Seeräuberei, Menschenjagd, Versklavung, Auslösungen und Tributen lebten. Im frühen 19. Jahrhundert stieß noch Marokko zu diesem Trio.

1785 wurden auch US-Bürger versklavt und Thomas Jefferson und John Adams fuhren nach London, um mit dem Abgesandten von Tripolis, Sidi Haji Abdrahaman, über Lösegeld zu verhandeln. Im Juli 1785 nahm der Dey von Algier zwei US-amerikanische Handelsschiffe und deren Mannschaften als Geiseln und verlangte für deren Freilassung 60.000 US-Dollar. Die US-Regierung schloss aus Verzweiflung den Friedens- und Freundschaftsvertrag von Algier. In den folgenden 15 Jahren wurden jährlich bis zu einer Million Dollar pro Jahr für die Sicherheit US-amerikanischer Schiffe bzw. für Geiselbefreiungen gezahlt. Lösegeld- und Tributzahlungen an die Seeräuberstaaten beliefen sich im Jahr 1800 auf 20 Prozent der jährlichen Staatseinkünfte der USA.

Ein Hauptstützpunkt der Piraterie war wie bereits erwähnt Tripolitanien im heutigen Libyen. Die Vereinigten Staaten führten dort 1801-1805 einen sehr verlustreichen Seekrieg mit wechselhaftem Glück. 1801 verlangte der Pascha von Tripolis 225.000 Dollar als Tribut von der US-Regierung. Präsident Jefferson verweigerte die Zahlung. Daher erklärte der Pascha im Mai 1801 den USA den Krieg, indem er den Fahnenmast vor dem US-amerikanischen Konsulat fällte. Marokko, Algier und Tunis schlossen sich dem Krieg an.

Im Oktober 1803 gelang es den Tripolitanern die USS Philadelphia zu erbeuten, nachdem die Fregatte im Hafen von Tripolis auf Grund gelaufen war. Die Amerikaner versuchten vergeblich, das Schiff flottzumachen, während sie unter dem Beschuss der Küstenartillerie standen. Das Schiff, Kapitän William Bainbridge und sämtliche Besatzungsmitglieder wurden an Land gebracht und als Geiseln genommen. Am 16. Februar 1804 gelang es einem kleinen Kontingent US-amerikanischer Seeleute unter der Führung von Leutnant Stephen Decatur Jr., mit der USS Intrepid in den Hafen von Tripolis einzudringen und die Philadelphia zu verbrennen, womit ihr Einsatz durch den Feind verhindert wurde. Admiral Preble griff Tripolis am 14. Juli 1804 erneut an. Unter anderem versuchte die Intrepid voll beladen mit Sprengstoff den Hafen von Tripolis zu erreichen, um dort die feindliche Flotte zu zerstören. Aus ungeklärten Ursachen explodierte das Schiff aber schon vorher, der Kapitän und die Mannschaft wurden getötet. Der Wendepunkt des Krieges war die Schlacht von Derna im April und Mai 1805, die durch einen Angriff auf dem Landweg eingeleitet wurde, an dem US-Marineinfanterie sowie arabische, griechische und berberische Hilfstruppen teilnahmen. Danach kam es zum Waffenstillstand und zu einer erneuten Lösegeldzahlung für die Mannschaft der USS Philadelphia.

Bereits 1815 mußten die USA erneut in den Seekrieg ziehen, dieses Mal gegen den Dey von Algier, Omar Ben Mohammed. Admiral Decatur konnte einen Vertragsabschluß und die relativ billige Auslösung christlicher Sklaven erreichen. Nach seine Abreise widerrief der Dey den Vertrag und im Jahr darauf mußte eine britisch-holländische Flotte unter Lord Exmouth Algier bombardieren, um dem Dey die Erkenntnis abzutrotzen, daß der im Vorjahr abgeschlossene Vertrag doch nicht so schlecht gewesen war.

Kampf einer maltesischen galere mit einem algerischen Chebek Archiv des Verfassers
Kampf einer maltesischen Galere mit einem algerischen Chebek
Archiv des Verfassers

Vor 1830 spielte auch die Piraterie durch griechische „Freiheitskämpfer“ eine Rolle. Diese überfielen keinesfalls nur türkische Schiffe. Etwa um 1835 war die Versklavung von Europäern und Amerikanern eingedämmt und Frieden rund um das Mittelmeer eingekehrt. Nach 1835 wurde Libyen nämlich von der Türkei verwaltet und die algerischen und tunesischen Seeräuberhäfen waren nach 1830 von Frankreich besetzt worden. Die griechischen Piratenführer wurden wie in Hellas nicht anders zu erwarten nach der Unabhängigkeit des Landes Admirale. Der damit erreichte Frieden im Mittelmeer hat bis zum Libyen-Feldzug im Jahr 2011 gehalten.

Es ist abzusehen, daß sich in Libyen die Piraterie wieder ausbreitet. Die Kontrolle der Häfen lassen die neuen Machthaber schleifen. Täglich legen überladene Seelenverkäufer nach Europa ab. Gerade scheint wieder ein alter nicht seetüchtiger Pott gekentert zu sein.

Vor allem Frankreich ist in der Pflicht den von Ex-Präsident Sarkozy angerichteten Schaden umgehend zu beseitigen. Es muß die libyschen Häfen besetzen und dafür sorgen, daß kurz- oder mittelfristig eine tragfähige Auffüllung des Machtvakuums in diesem Raum erfolgt. Vor allem müssen die überalterten Seelenverkäufer zerstört werden, die immer wieder zu Schiffsunglücken führen. Libyen braucht mittelfristig eine Regierung, die den Namen verdient, den Wohlstand der Araber, Berber und Tuareg fördert und den Menschenhandel im Mittelmeer unterbindet.

Es kann nicht sein, daß Deutschland, welches sich am Libyen-Feldzug nicht beteiligt hat, Asylbewerber aufnimmt, die von Libyen aus die italienischen Küsten erreichen. Auch in der Politik muß bei den Kosten das Verursacherprinzip gelten.