Die Schluchten des Balkans

Es gibt europäische Staaten, die in den letzten zweihundert Jahre keinem Nachbarstaat etwas zu Leide getan haben: Dänemark, Schweden, Norwegen, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Irland, Island, Luxemburg, die Schweiz, Spanien und einige Kleinstaaten. Balkanstaaten wird man in dieser Aufzählung vergeblich suchen.

Vor genau hundert Jahren tobte auf dem Balkan schon das dritte Jahr der Krieg. Der Erste Weltkrieg hatte im Südosten Europas eigentlich schon 1912 begonnen. Zunächst kämpften Montenegro, Bulgarien, Griechenland und Serbien im Ersten Balkankrieg gegen das Osmanische Reich. Am Ende das Jahres 1912 lag die Türkei am Boden und der Krieg um die Aufteilung der Beute zwischen den Siegern begann im Juni 1913. Bulgarien kämpfte im zweiten Balkankrieg gegen Rumänien, Serbien und Griechenland. Auch die Türkei griff gegen Bulgarien in die Kampfhandlungen ein. Zum Schluß des Krieges, als Bulgarien besiegt war, beschossen sich die verbündeten Griechen und Serben. Im Ersten Weltkrieg folgte der dritte Akt. Die Türkei und Serbien waren schon 1914 in den Krieg eingetreten, Bulgarien folgte 1915, Rumänien und Griechenland 1916. Nun kämpften Bulgarien und die Türkei vereint gegen Serbien, Rumänien und Griechenland.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs versuchte Griechenland Ankara zu erobern. Das scheiterte und eine gute Million Griechen wurden aus der Türkei vertrieben. Im Gegenzug wurden die Türken aus Griechenland deportiert. Serbien besetzte nach Kriegsende Montenegro. Dabei kam es zu unvorstellbaren Gräueltaten. Einem königstreuen Montenegriner wurden erst die Knochen gebrochen, dann wurde er bei lebendigem Leibe gehäutet. Serbien versuchte mehrmals Albanien mit brutaler Gewalt zu besetzen, was von Italien verhindert wurde. Nach der Bildung des Königreiches der Südslawen, bestehend aus dem vormaligen Serbien, Montenegro, der Vojvodina, dem Sandschak, dem Kosovo, Bosnien, der Herzegowina, Kroatien und Slowenien kam es schnell zu inneren Spannungen.

Im Zweiten Weltkrieg gingen die Völker des Balkans auch deshalb wiederum getrennte Wege. Kroatien, Bosnien, Rumänien, Bulgarien und das Kosovo unterstützten die Achsenmächte, Griechenland und Serbien kämpften auf der Seite der Alliierten. In Griechenland kam es nach dem Weltkrieg zu einem jahrelangen blutigen Bürgerkrieg.  Die Serben töteten 1945 hunderttausend Kroaten und Bosnier aus Rache.

Eine Karte der Siedlungsgebiete der Völker von 1876 zeigt ein sehr buntes Mosaik von ethnischen und religiösen Wohngebieten. Diese Multikultiparadies ist mehrfach total durchgeputzt worden. Ausrottungen und Völkerwanderungen haben deutliche Spuren hinterlassen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der ganze Balkan sozialistisch. Besonders in Albanien und Rumänien nahm der rote Staatsterrorismus bizarre Züge an. Nach dem Tod des jugoslawischen Marschalls Tito begannen die Diadochenkämpfe um seine Nachfolge und der Zerfall des südslawischen Reiches. Serbien akzeptierte den wechselnden Vorsitz der Republiken in der Staatsführung nicht und Slowenien und Kroatien traten aus dem jugoslawischen Staatsverband aus. Daraus entwickelten sich Kriege, weitere militärische Auseinandersetzungen gab es mit den Moslems in Bosnien und im Kosovo. Es kam wieder zu unvorstellbaren Gräueln. Ist das Morden von halben Kindern die Prequali für den Beitritt in die EU?

Derzeit sind die Republik Mazedonien und Griechenland wegen eines Namensstreits miteinander verfeindet. In Mazedonien belauern sich Mazedonier und die Minderheit der Albaner. Im Kosovo verbreitet die serbische Minderheit Angst und Schrecken. Bosnien-Herzegowina ist in nationale Gebiete zerlegt und das ist gut so. Die bosniakisch-kroatische und die serbische Teilregierung blockieren sich gegenseitig. In Montenegro tobt der Kulturkampf, ob man kyrillisch oder lateinisch schreiben soll. Selbst Kroatien und Slowenien hatten bis vor kurzem Grenzstreitigkeiten.

Keiner kann auf dem Balkan keinen leiden. Nur Angela Merkel liebt alle. Vor wenigen Tagen weilte unsere Bundeskanzlerin in Albanien und Serbien und verhieß den verfeindeten Gebirgsstämmen die Mitgliedschaft in der EU. Als würde Griechenland das Klima in Europa nicht bereits genug vergiften.

Sicher, Albanien hat sich gemessen an den bedrückenden Zuständen vor 30 Jahren erstaunlich gut entwickelt. Vermutlich, weil es noch nicht von der EU-Bürokratie erstickt wurde. Und weil es sich zumindest zum Teil selbst helfen mußte. Auch ohne EU-Mitgliedschaft sind erhebliche Infrastrukturhilfen in die Republik der stolzen Skipetaren geflossen.   Auch Serbien, Mazedonien  und Bosnien-Herzegowina erhalten laufend umfangreiche EU-Zahlungen. Serbien hat nach Angaben des AA von 2007 bis 2013 insgesamt 1,4 Mrd. € von der EU bekommen, Deutschland hat seit 2000 über 1,6 Mrd. € gezahlt. Albanien hat von der EU 2007 bis 2013 594 Mio. € erhalten. Die Vereinigten Staaten erkaufen das Stillhalten der blutrünstigen Eliten des Balkans ebenfalls mit Geld.

Alle genannten Balkanstaaten, die orthodoxen noch mehr als die moslemischen und katholischen, haben eine nicht unerhebliche Subventionsmentalität entwickelt. Der fragile Frieden auf dem Balkan wurde von der EU mit Geld gekauft, so wie sich Griechenland für seine NATO-Mitgliedschaft fürstlich, ja geradezu unverschämt entlohnen läßt. Angela Merkel hat zum Frieden auf dem Balkan gemahnt und das Beispiel der deutsch-französischen Freundschaft bemüht, die sich nach zwei Weltkriegen entwickelt hatte.

Damals am Anfang der fünfziger Jahre stand alles unter einem guten Stern: Frankreich brauchte an Deutschland für den Frieden und die Freundschaft keine Milliarden zu berappen.  Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer drohte nicht mit dem Scheitern der Verhandlungen.  Es waren keine nächtlichen Mammutkonferenzen erforderlich und Dr. Adenauer beschäftigte keinen frechen kahlrasierten Spieleprofessor als Finanzminister um Europa zu narren. Es wurde auch nicht verlangt, daß Frankreich die Kriegsschäden aus der napoleonischen Besatzung bezahlen soll. Die Zeitungen druckten keine Karikaturen von Charles de Gaulle in SS-Uniform. Deutschland und Frankreich ein nachahmenswertes Beispiel?

Tugend will ermuntert sein, Bosheit kommt von ganz allein, reimte Wilhelm Busch. Schlechte Praktiken verbreiten sich auch international in Windeseile. Der Bruch des Maastricht-Vertrages ausgerechnet durch Deutschland und Frankreich im Jahr 2003 war der entscheidende Sündenfall, der die bevorstehende Vertreibung aus dem europäischen Paradies einleitete. Die damaligen Finanzminister Lafontaine und Strauss-Kahn pflückten den verhängnisvollen Apfel vom Baum der  Verschuldung. Was die Großen vorturnten, machen die Kleinen nach. Griechenland ahmte seither das deutsch-französische Beispiel nach und häufte exzessiv auf, was die anderen verschämt machten: Schulden. An die Maastricht-Kriterien halten sich nur noch Finnland, Estland, Luxemburg und die Slowakei.

Der inzwischen erfolgte Bruch des Maastricht-Vertrages durch alle anderen Europäer muß konsequent aufgearbeitet werden, bevor die nächsten beitretenden Balkanstaaten den Bürgern und Steuerzahlern auf die Nerven fallen.

In den Augen der Beitrittskandidaten drehen sich die Euro-Münzen. In eine insgesamt überschuldete Gemeinschaft einzutreten macht jedoch keinen richtigen Spaß mehr. Griechenland lernt das gerade. Die Eurozone sollte umgehend aufgelöst werden und die EU als Zollunion neu gestartet. Mit realistischer Bescheidenheit. Die Aufnahme weiterer südosteuropäischer Länder in eine wankende EU dagegen ist eine chaotische Flucht politischer Versager in die unzugänglichen Schluchten des Balkans.