Der deutsch-türkische Kriegskalender

Thomas Spahn berichtete bereits über den aktuellen Bürgerkrieg in Kurdistan, der ermuntert von der deutschen Administration gerade vor unseren Augen stattfindet. Und die Mainstreammedien berichteten über die Reise des Kurdenführers Demirtas nach Moskau.

Als kleiner Blog wollen wir den Blick dagegen auf zwei kleine Konflikte werfen, die von der Lügenpresse „übersehen“ oder fehlinterpretiert werden, zum Stand der aktuellen russisch-türkischen Verstimmungen jedoch das Verständnis fördern können.

Da ist zum einen der Krimkonflikt, der von den Leitmedien immer als ukrainisch-russischer dargestellt wird. Dabei war die Zahl der auf der Krim lebenden Ukrainer recht überschaubar, nämlich deutlich weniger als ein Viertel, die als Kolonisten seit 1860 zugewandert waren. Bis weit in die Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Krim Siedlungsgebiet der Krimtartaren. Nach dem Krimkrieg (1853-1856) zwischen Rußland einerseits und der Koalition der Türkei, Englands, Frankreichs und Sardiniens wurde die von Tartaren bewohnte Krim russisches Kolonisationsgebiet. 1885 waren dort von etwa einer Million Einwohnern nur noch gut 100.000 Tataren.

Im Zweiten Weltkrieg wurden die Tartaren deportiert, wobei etwa die Hälfte umkam. Nach 1990 sind etwa 240.000 Tartaren wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Nach der Annexion durch Russland erheben die Krimtataren Anklagen. Morde, Willkürjustiz, Einschüchterungen und Einreiseverbote gegen zwei der einflußreichsten krimtatarischen Stammesführer. Moscheen, Schulen und Wohnungen würden durchsucht, das Selbstvertretungsorgan der Krimtataren wurde systematisch handlungsunfähig gemacht. Der Unterricht in krimtatarischer Sprache wurde eingeschränkt und Geschäfte und Grundstücke wurden enteignet, so die Tartaren. Der Krimkonflikt ist also eher ein türkisch-russischer, als ein ukrainisch-russischer.

Im November wurde die Stromversorgung der Krim, die bisher über Cherson aus der Ukraine erfolgte, unterbrochen. DIE WELT hatte am 22.11.2015 darüber berichtet: „In der Nacht auf Sonntag versank die von Russland annektierte Halbinsel Krim in Dunkelheit. Kurz nach Mitternacht hatten offenbar radikale ukrainische Aktivisten Strommasten auf dem Festland in der Region Cherson in die Luft gesprengt.“ Das in der Regel gut informierte Nachrichtenportal Al Jazeera berichtete allerdings etwas anderes. Krimtartarische Freiheitskämpfer zusammen mit ukrainischen Nationalisten hätten die Leitungen gesprengt.

Ist es Zufall, daß am 24. November 2015, also genau zwei Tage später eine russische Suchoi 24 von der Türkei vom Himmel geholt wurde? Die Spekulation wer den Luftraum verletzt hat oder nicht ist uninteressant. Aufhorchen läßt der unmittelbare zeitliche Zusammenhang.

Und dann gibt es neben dem Krimkonflikt zwischen der Türkei und Rußland noch den Krieg um Berg-Karabach. Das ist eine armenisch besiedelte Gegend, die in der Stalinzeit Aserbaidshan angegliedert wurde und sich 1991 für unabhängig erklärte. Armenien ist sicherheitspolitisch von Rußland abhängig und Armenien stand logischerweise nach der Krimbesetzung hinter Rußland. Russische Truppen haben Stützpunkte in Armenien.  Aserbaidshan mit seiner überwiegend turksprachigen Bevölkerung ist dagegen ein enger Verbündeter Ankaras. Der Bergkarabachkonflikt ist also in das Mosaik russisch-türkischer Stellvertreterkriege nahtlos einzuordnen.

Als Begleitmusik zu einem Treffen des aserbaidshanischen und des armenischen Präsidenten in Bern kam es zu aserbaidshanischen Panzerangriffen auf armenische Stellungen in Bergkarabach. Nun darf der Leser noch raten, wann das Treffen stattgefunden hat: am 19. November 2015.

Alle drei Provokationen zwischen dem 19. und dem 24. November gingen von der Türkei aus: Die Angriffe auf Bergkarabach, die Sprengung der Stromleitungen und der Abschuß des Kampfjets.

Da muß sich der erstaunte Beobachter fragen, woher die Türkei plötzlich den Mumm hernimmt, an allen Fronten das militärisch deutlich stärkere Rußland zu reizen? Da hilft wiederum ein Blick in den Kalender. Am 15.11.2015 fand der peinliche G-20-Gipfel in der Türkei statt, auf dem die Führer der Welt Erdogan huldigten. Bereits am 18.10.2015 war Bundeskanzler Frau Dr. Merkel auf Bettelvisite in der Türkei gewesen und hatte dem Türkensultan alle Wünsche von den Augen abgelesen, vom EU-Beitritt bis zur visafreien Einreise nach Europa.

In der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober, als Frau Dr. Merkel bei Anne Will vor einem Millionenpublikum die interessante Idee preisgab, die Türkei zum europäischen Grenzwächter zu machen, ist Erdogan vor Lachen vermutlich nicht in den Schlaf gekommen. Hat Frau Dr. Merkel wenigstens geahnt, daß sie Erdogan den Wahlsieg schenkt und welche Konflikte an einer weltpolitischen Bruchstelle sie schürt? Welche Rolle hat der schlafmützige deutsche Außenminister gespielt? War er überhaupt im Bilde?

Erdogan hat die Blankochecks der Bundeskanzlerin offensichtlich als Gelegenheit registriert, alle offenen Konflikte mit Rußland mit deutscher und europäischer Rückendeckung verschärfen. Als Mann der Tat hat er nicht lange gefackelt.