Füchse im Brüsseler Hühnerstall

In der Grundfrage, ob eine europäische Regierung installiert werden soll oder die Einzelstaaten wieder mehr Entscheidungsfreiheit bekommen sollen raucht es. Die Kommissare und der EU-Parlamentspräsident Schulz lechzen nach mehr unbeschränkter Macht, die meisten nationalen Regierungen, die nur noch die Kompetenzen von Provinzverwaltungen haben, wollen mehr Selbstbestimmung zurück. Britannien hat sich  wegen dieser Frage aus der EU verabschiedet.

Aber es gibt viel mehr Konfliktfelder. Gerade ist eine neue Front eröffnet worden. Die diktatorische EU wollte einheitliche Standards für die Behandlung von Asylbewerbern hinsichtlich der Arbeitsaufnahme durchsetzen. Österreich streikt und will die Arbeitserlaubnis für Asylanten prinzipiell verhindern. Viele EU-Staaten mit hoher Arbeitslosigkeit werden sich anschließen. Insbesondere dem Vorschlag, Asylanten und Asylbewerbern spätestens sechs Monate nach Abgabe ihres Asylantrags eine Arbeitserlaubnis zu erteilen, erteilte der österreichische Innenminister Sobotka (ÖVP) eine naßkalte Absage: „Ich halte es für undenkbar, Asylbewerbern eine Arbeitserlaubnis zu erteilen. Das wäre ein Aufruf an die Menschen in den Krisenstaaten, nach Österreich zu kommen. Das würde der Arbeitsmarkt hierzulande nicht verkraften.“

Sobotka forderte: „Es sollte künftig in allen EU-Ländern gelten, dass Asylbewerber nicht arbeiten dürfen. Unterschiedliche Regelungen sind in dieser Frage nicht gut und sie senden ein falsches Signal an die Herkunftsländer der Flüchtlinge.“

Wieder steht Österreich an der Spitze des antideutschen Widerstands. Wien hat kompakte wirtschaftliche Verknüpfungen mit den Balkanstaaten und den ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten entwickelt. Auch politisch ist Wien wieder die Hauptstadt des Südostens. Im Prinzip ist das Habsburgerreich als lockerer Staatenbund wieder auferstanden. Und zwar mit denselben Intentionen wie zur Zeit von Maria Theresia und Fürst Metternich. Österreich hatte damals die Aufgabe den Völkern des Ostens und Südostens Schutz zu gewähren. Der verwunderte deutsche Beobachter registriert, mit welcher Freude und mit welchem Engagement man sich in Wien wieder an diese Arbeit macht.

Die Vorbehalte der Oststaaten gegen die Aufnahme moslemischer Asylbewerber sind bekannt. Bei der Verteilung der Wirtschaftsflüchtlinge und Asylbewerber in der EU breitet sich der Spaltpilz aus. In Ungarn wird eine Volksabstimmung zu dieser Frage vorbereitet. Die Slowakei hat klar signalisiert, daß sie aus der EU austritt, wenn die selbstherrlichen Brüsseler Kommissare das kleine Land terrorisieren. Österreich bereitet immer noch Abwehrmaßnahmen am Brenner vor und unterstützt Ungarn am Grenzzaun.

Die Freihandelsabkommen mit Kanada und den Vereinigten Staaten sind so gut wie tot. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Nichttarifäre Handelshindernisse werden weltweit hochgefahren. Vor allem unter dem Vorwand des Umweltschutzes und des Arbeitsschutzes wird der Außenhandel massiv behindert. Das VW-Debakel in den Staaten ist nur die Spitze vom Eisberg. Mit völlig abgefahrenen Grenzwerten sollte die deutsche Konkurrenz aus dem Feld geschlagen werden. Da fragen sich viele Leute, ob Außenhandel überhaupt noch sinnvoll machbar ist, mit und ohne Abkommen. Was nutzt die Reduzierung von Zolltarifen, wenn ansonsten mit allen Mitteln gegen ausländische Ware gekämpft wird?

Grüne Fundamentalisten skandalisieren ausgerechnet Verbraucherschutzmaßnahmen. In den Staaten wurden Hühnchen desinfiziert bevor sie in den Handel kommen. In Europa werden Salmonelleninfektionen als gottgegeben hingenommen. Sollte man nicht dem Verbraucher überlassen, ob er desinfizierte oder verseuchte Ware will, soweit er die Kosten für Salmonellenkrankheiten selbst trägt?

Die Entscheidung über den Verfahrensweg bei der Genehmigung der Handelsabkommen lag ausgerechnet bei dem schwer angeschlagenen und unbeliebten Kommissar Juncker. Er ist prinzipiell nicht mehr in der Lage irgendeine Entscheidung zu verteidigen, sei sie sinnvoll oder unsinnig. Er muß aus seiner Amtsstube herausgefegt werden. War es sinnvoll den Warenhandel und Dienstleistungen in einem Abkommen zu bündeln? Bank- und Finanzdienstleistungen sind zwar nach wie vor ein notwendiges Übel. Nach den Asset Back Securities (ABS) kann man diese Dienstleistungen in der Öffentlichkeit nicht mehr kommunizieren, weil mit Recht alle die Wut bekommen.

In Deutschland, Luxemburg, Frankreich und Österreich wird die Öffentlichkeit nun zufrieden gestellt. Eine breite Mehrheit und in Frankreich zumindest die Hälfte der Bevölkerung war in diesen Ländern im November 2014 gegen das Handelsabkommen. Doch diese Länder sind nicht ganz Europa. In fast allen Staaten der EU gab es eine breite Zustimmung zu TTIP.  In Litauen waren es 79 %, in Rumänien und Malta je 75 %, in den Niederlanden 74 %, in Polen 73 %, in Estland 72 %, in Dänemark und Irland je 71 %, in Kroatien 67 %, in Lettland 66 %, in Bulgarien 64 %, in Spanien 63 %, in Tschechien, der Slowakei, Finnland und Ungarn je 62 %, in Portugal 60 %, in Schweden 59 % und in Italien 58 %.

Wenn TTIP scheitert, so gegen die Mehrheit der Europäer. Viele Länder, besonders im Osten, haben auf billiges Flüssiggas aus Amerika gehofft, andere haben traditionell enge Beziehungen zum englischsprachigen Wirtschaftsraum wie Dänemark, Portugal, Irland oder die Niederlande.

Die Freihandelsgespräche mit Kanada und den USA haben genauso wie die ungeregelte Einwanderung gezeigt, daß Europa keine gemeinsamen Interessen und keine gemeinsamen Ziele hat. Die Briten, die mit weit über 60 % auch für TTIP und darüber hinaus gegen den ungesteuerten Zuzug aus dem Nahen Osten waren, haben den Absprung in die Freiheit geschafft. Die verbliebenen Mitglieder der EU werden sich über viele substanzielle Fragen wie die Kesselflicker streiten.

Seit gestern ist Boris Johnson Außenminister des Vereinigten Königreichs. Kommissionspräsident Juncker kann seinen Politkommissaren zwar verbieten mit Briten Gespräche zu führen. Dem Außenminister Ihrer Majestät kann er Besuche in Den Haag, Kopenhagen, Wien und Warszawa nicht verbieten. Jedes Mal wenn Johnson irgendwo einen harmlosen Besuch macht, werden in Berlin und Brüssel die Alarmglocken läuten. Die Premierministerin Theresa May sollte sich mit den Verhandlungen über den Austritt des Vereinigten Königreichs alle Zeit der Welt lassen. Sie kann den zerstrittenen Brüsseler Hühnerhaufen besser in Zeitlupe auseinandernehmen.