Interwievs geben ist Selbstbeschmutzung

Das Grundsätzliche zuerst: Die Medien instrumentalisieren und steuern die Politiker, nicht umgekehrt. Der Mechanismus ist simpel: Die Politiker schauen morgens beim Frühstückskaffee ins Käseblatt, ob sie drinstehen, und was über sie berichtet wird. Wenn es mal freundlich ist, fühlen sie sich gebauchpinselt und machen weiter in die Richtung, die die Reporter vorgeben. Es ist wie die Konditionierung eines Pawlowschen Hundes.  Der russische Verhaltensforscher Pawlow hatte 1905 festgestellt, daß bei Zwingerhunden schon die Schritte des Besitzers Speichelfluß  auslösten, obwohl noch gar kein Futter in Sicht war. Der Politiker reagiert auf die Schritte eines Journalisten mit Schöntun, obwohl noch gar kein Sendebeitrag oder Zeitungsartikel fertig ist.

Im Kreistag Weimarer Land gibt es einen Politiker, der in seinen Wortbeiträgen der Presse in schon unanständiger Penetranz zum Mund redet und dabei flehende Blicke zur Pressebank sendet. So gut wie nie sind seine Einlassungen gedruckt worden. Ich denke, die Zeitungsschreiber verachten ihn insgeheim.

Nun gibt es auch immer wieder Politiker, die die Medien gegen ihre Feinde in Stellung bringen wollen. Aber das geht oft in die Hose und endet mit peinlicher Selbstbeschmutzung. Der Klassiker ist die Barschelaffäre. Für den schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf im Jahr 1987 ließ sich Ministerpräsident Uwe Barschel den schmierigen Journalisten Reiner Pfeiffer vom Axel Springer Verlag vermitteln. Dieser wurde als Medienreferent in der Staatskanzlei eingestellt, wo er für die „Medienbeobachtung“ zuständig war.

Pfeiffer begann mit einer umfangreichen Zersetzungstätigkeit im Stil der Staatssicherheit, wobei vor allem Björn Engholm und der Unabhängige Wählerverband im Focus von Pfeiffers Wühltätigkeit standen. Nach einer Weile ging Pfeiffer zu einem Notar und behauptete im Auftrag von Ministerpräsident Barschel gehandelt zu haben. Die Aussage landete – wie auch immer – unverzüglich beim SPIEGEL und wurde trotz der bekannten Unzuverlässigkeit Pfeiffers ungeprüft veröffentlicht. In der FAZ resumierte Frank Pergande am 7. September 2007 mit großem zeitlichen Abstand:

„Vor zwanzig Jahren begann der Politikskandal in Kiel, der ein Medienskandal war. Denn eigentlich müsste man von einer „Spiegel“-Affäre reden. […] Es hat keine „Barschel-Affäre“ gegeben, allenfalls eine „Pfeiffer-Affäre“. Die Affäre ist Barschel angehängt worden, und die Medien spielten dabei eine große Rolle. Wie immer Barschel gestorben ist, sein Tod hat auch gezeigt, wohin die Medienjagd führen kann.“

Nun war es aber die Schuld Barschels einen zweifelhaften Journalisten in sein Team integriert zu haben. Aus Mediengläubigkeit und Medienabhängigkeit. Statt Medien zu „beobachten“, muß man sie angreifen. Das jüngste Beispiel von „Medienmißbrauch“ stammt aus Thüringen. Es ist allgemein bekannt, daß der Landessprecher Björn Höcke von seinem Amtsvorgänger Matthias Wohlfarth wenig geschätzt wird. Es sind vor allem offene Rechnungen aus dem Jahr 2014, als Wohlfarth Opfer einer Medienkampagne des zwangsfinanzierten Staatsradios wurde.

Wohlfarth hatte dem zwangsweise vom Volk finanzierten DLF-Redakteuer Henry Bernhard im März 2014 die Tür aufgemacht und ein Interwiev gegeben. Bernhard über Wohlfarth:

„Mit Leuten wie Matthias Wohlfarth, die mit christlich-fundamentalistischer Rhetorik und völkischen Ideen auf Stimmenfang gehen, ist die AfD auf dem Weg nicht die neue FDP, sondern die Tea Party Deutschlands zu werden.“

Abgesehen, daß diese Wertung hinsichtlich der Tea Party eher ein Kompliment war. Es folgte eine Medienwelle in der Wohlfarth auch innerparteilich unterging. Er wirft Höcke vor, die damalige Situation genutzt zu haben, um an die Spitze der Thüringer AfD zu gelangen.

Nun hat Wohlfahrth schon wieder einen Journalisten in sein „Haus Bethlehem“ in Seitenroda reingelassen. Dieses Mal Martin Debes vom Funke-Konzern aus Essen. In der irrigen Annahme, die Lokalpresse gegen Höcke instrumentalisieren zu können.
Auch Debes läßt genauso wie Bernhard vom Deutschlandradio keinen Unterschied zwischen der christlichen Fundamentierung Wohlfahrts und der romantischen Konzeption Höckes gelten:

„Denn die Machtkämpfe, die gerade  auf nationaler Ebene ausgefochten werden, haben oft wenig mit Ideologie zu tun – und viel mit persönlichen Ambitionen. So feindlich sich die Lager auch gegenüber stehen mögen: Die geistigen  Ursprünge sind zumeist dieselben. Es fügt sich, dass das kleine Dorf Seitenroda, in dem Wohlfarths Pfarrhof steht, seit jeher völkisch Gesinnte inspirierte. In den 1920er-Jahren verbrachte Muck Lamberty mit seiner „Neuen Schar“ die Winter auf der Leuchtenburg, die sich über dem Ort erhebt.“

Diese Unterstellung ist nun freilich grob böswillig und falsch, weil Lamberty sich wirklich in allen Belangen von Wohlfarth unterscheidet. Weder die Tanzsucht, noch der Jugendwahn, auch nicht die Vielweiberei und das Neuheidentum Lambertys haben etwas mit Wohlfarths Christentum gemein. Auch die unbekleideten Schwulentänze vor der Burg im Mondschein der zwanziger Jahre und die linksradikalen Seminare des Leuchtenburgkreises finden sicher nicht die Akzeptanz von Wohlfarth.

Ich hatte Wohlfarth 2015 etwas tiefgehender dazu befragt:

Frage: Seitenroda war ja früher ein Hotspot der völkischen Bewegung. Hier residierte 1920 Muck Lamberty mit der Neuen Schar, 1925 wurde ein Freiland- und Freigeldworkshop der völkischen Jugendbewegung veranstaltet. Fritz Borinski und sein Leuchtenburgkreis agierten um 1930 von hier aus. Die Sonnenwende wurde von der Dorfjugend noch in den achtziger Jahren mit dem nächtlichen Sprung über das Feuer begangen. Haben Sie eine Beziehung dazu?

Matthias Wohlfarth: Neuheidnische und romantisch – sektiererisch – utopistische Bewegungen vertragen sich nicht mit christlichem Denken. Mit religiösen Sozialisten oder Paul Tillich kann man in Bezug auf ihre Zeit schon Verständnis aufbringen. Die schlimme ersatzreligiöse und gleichzeitig sozialdarwinistische Ideologie des Spätkaiserreichs, der Weimarer Republik und des Dritten Reiches war eine Fehlentwicklung, die unter anderem durch den Verlust echt christlicher Identität  – auch in den Kirchen – möglich wurde.
Im jetzigen „Haus Bethlehem“ wohnte vor mir ein Pfarrer im Ruhestand. Er gehörte zu den sechs von insgesamt 900 thüringer Pfarrern, die den vom deutsch-christlichen Bischof inszenierten Beamteneid auf Adolf Hitler verweigerten. Man findet also nicht nur „völkische“ Spuren in Seitenroda. (…) Die „völkischen Christen“ waren eine Minderheit, die aber zusammen mit den angepassten oder schweigenden Kirchenmitgliedern das Unheil ermöglicht haben. Die „Sünden der Väter“ und die Gegenwart  stehen immer in Beziehung zueinander. Ich habe auch deshalb die AfD mit aufgebaut, weil ich die Hurerei von Christen und Kirche mit dem Zeitgeist früher und heute beweine.“

Es ist also die übliche bösartige Verleumdung, die Debes hier betreibt. Christentum gleich Hakenkreuz. In der wirklichen Geschichte war es umgekehrt: In der NSDAP trafen sich vor allem Neuheiden, schwule Männerbündler, Vollkornschmatzer, Tierschützer, Künstler, Germanenschwärmer und nach 1933  Millionen von geldgierigen Opportunisten. Wo die Nationalsozialisten gerade wenig Zustimmung fanden: In allen katholischen Gegenden Deutschlands, wo man noch Kreuz hatte.

Und dann gehen die gezielten Ungenauigkeiten über das Jahr 2014 bei Debes weiter:

„Eine Vorzeigeunternehmerin trat aus dem Vorstand zurück und bezeichnete die Landespartei als unwählbar. Ein früherer SPD-Landrat verließ die Partei und nahm seinen halben Kreisverband gleich mit. Wohlfarth,  sagte er, sei ein „völkisch-christlicher Fundamentalist“, der baldmöglichst „in der Versenkung“ verschwinden müsse. Auch die Hälfte der Kreisverbände forderte seine  Demission.“

Der ehemalige SPD-Landrat war Sieghardt Rydzewski. Sicher empfand er mit Recht, daß im Landesvorstand der AfD 2014 noch Unprofessionalität herrschte. Andererseits hatte er aus seiner Amtszeit als Landrat den hinsichtlich des wirtschaftlichen Erfolgs mehr als geheimnisumwobenen Altenburger Regionalflughafen am Bein. Viele Mitglieder der AfD fürchteten, daß daraus eine haßerfüllte Medienkampagne gegen die AfD konstruiert werden könne und waren froh, als er austrat. Die „Vorzeigeunternehmerin“ Merz war nicht wirklich politikfähig. Sie dachte der Landesvorstand sei ein Unternehmensvorstand, wo man in allen Belangen mit eigenen Ideen durchmarschieren kann. Das geht in Parteien nicht ohne weiteres. Bei einem Wahlkampfauftritt von Lucke auf dem Bahnhofsvorplatz in Erfurt war sie als Vorrednerin vorgesehen und schwänzte ihren Auftritt ohne Ankündigung. Höcke sprang aus dem Stand heraus ein und machte – unvorbereitet wie er war – eine passable Figur. So entstehen manchmal aus der Situation heraus politische Karrieren.

Debes schreibt weiter:

„Derweil berichtet über Wohlfarth selbst die hiesige Presse (also die Zeitung, bei der Debes seine Anstellung hat) nur noch dann, wenn er sich an Höcke abarbeitet. „Sei gegrüßt, Björn!“, schrieb er zuletzt in einem Offenen Brief. „Die politischen Gegner wollen eine NPD light aus der AfD machen und Deine zu oft als NPD light wahrgenommenen Auftritte sind ein Glücksfall für sie.“ Die Distanzierung klingt so, wie man sie von Petry kennt. Das Problem ist  nicht so sehr die Ideologie, die Höcke vertritt. Das Problem ist, wie und wann er sie vertritt  – und daß er damit den direkten Weg zur Macht versperrt. (…) In seiner Ohnmacht erinnert er ein wenig an den früheren AfD-Bundesvize Hans-Olaf Henkel. Der hatte, nachdem er von  der Partei, die er einst gründete, wieder ausgespuckt worden war, erstaunt mitgeteilt: „Ich  habe geholfen, ein Monster zu schaffen.“ Doch der Unterschied ist: Wohlfarth ist noch in der AfD. Er glaubt an sie. Und er würde wohl, wenn  man ihn ließe, gerne wieder das Monster reiten.“

Wohlfarth hat versucht, die Lügenpresse gegen Höcke zu instrumentalisieren. Das funktioniert nicht. Er wurde in dem Artikel von Martin Debes mehr beschmutzt als sein innerparteilicher Gegner Höcke. Debes schreibt genüßlich:

„Wohlfarth beherrscht den Höcke-Sound, inklusive der nachträglichen Relativierungsübungen. Doch im Unterschied zu seinem einstigen Weggefährten ist er längst politisch erledigt.“

Aus der „Medienarbeit“ von Wohlfarth und allen anderen kann man einen Schluß ziehen: Arschkriecherei gegenüber Journalisten hilft nicht. Man muß sie sich auf Armlänge auf Abstand halten, sie immer wieder angreifen und sich dadurch Respekt verschaffen.

Einer meiner Lieblingsautoren, der Weimarer Geheimrat von Goethe, hatte eine recht gesunde Anschauung des Pressewesens: „Wenn man einige Monate die Zeitungen nicht gelesen hat, und man liest sie alsdann zusammen, so zeigt sich erst, wieviel Zeit man mit diesen Papieren verdirbt.“