Der Bundesrat braucht Mut zur Wahrheit

Die Kanzlerin fragte bei der SPD nach, was sie denn nun will: Rot-rot-grün oder doch lieber eine Groko. Nun ist die Bildung einer handlungsfähigen Regierung allerdings nicht nur von den Ergebnissen der Bundestagswahl abhängig, sondern auch von den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat. Denn der kann fast alles blockieren oder verzögern.

Nehmen wir nur mal die Abschiebungs- oder Einwanderungsregeln. Die lassen sich in der Regel nur von Bundestag und Bundestag im Konsenz ändern. Oder Änderungen der Steuern, die auch die Länder betreffen. Das sind die meisten und ertragreichsten.

Rechtlich gibt es Zustimmungsgesetze und Einspruchsgesetze. Zustimmungsgesetze sind solche, wo die Länder finanziell oder verwaltungstechnisch direkt betroffen sind, Einspruchsgesetze sind alle anderen. Wikipedia schreibt über Zustimmungsgesetze und Einspruchsgesetze:

Bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen sieht das Grundgesetz für den Bundesrat drei Entscheidungsmöglichkeiten vor:
•    Er stimmt dem Gesetz zu.
•    Er verlangt die Einberufung des Vermittlungsausschusses.
•    Er stimmt dem Gesetz nicht zu.
Kommt im Vermittlungsausschuss keine Einigung zustande („unechtes Ergebnis“) und stimmt der Bundesrat diesem unechten Ergebnis nicht zu oder entscheidet sich der Bundesrat ohne Vermittlungsausschuss zu einem „Nein“, so ist das Gesetz dann gescheitert, wenn weitere Anrufungen des Vermittlungsausschusses (durch die Bundesregierung oder den Deutschen Bundestag) zum selben Ergebnis, also zur Nichtzustimmung im Bundesrat, führen.

Bei Gesetzen, die zu ihrem Inkrafttreten nicht die Zustimmung des Bundesrates benötigen, hat der Bundesrat weniger Einfluss, da sein Votum vom Bundestag überstimmt werden kann. Ist er mit dem Gesetz nicht einverstanden, kann er zunächst den Vermittlungsausschuss einberufen und versuchen, hier eine Einigung mit dem Bundestag zu erzielen. Schlägt der Vermittlungsausschuss Änderungen vor, müssen diese zunächst vom Bundestag beschlossen werden, bevor der Bundesrat abschließend entscheidet, ob er gegen das nunmehr geänderte Gesetz Einspruch einlegt oder nicht. Macht der Vermittlungsausschuss keine Änderungsvorschläge oder kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet der Bundesrat ohne erneute Beteiligung des Bundestages über einen Einspruch gegen den noch unveränderten Gesetzesbeschluss.

Ein Einspruch des Bundesrates kann vom Deutschen Bundestag überstimmt werden. Beschließt der Bundesrat den Einspruch mit absoluter Mehrheit (insgesamt hat der Bundesrat 69 Stimmen, absolute Mehrheit = 35 Stimmen, Zweidrittelmehrheit = 46), kann der Einspruch nur mit der absoluten Mehrheit im Bundestag (Mehrheit der Mitglieder = Kanzlermehrheit) abgewiesen werden. Legt der Bundesrat den Einspruch mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit ein, müssen für die Zurückweisung des Einspruchs im Bundestag zwei Drittel der abgegebenen Stimmen zusammenkommen, mindestens jedoch die Stimmen der Hälfte aller Mitglieder. Weist der Bundestag den Einspruch nicht zurück, ist das Gesetz gescheitert.

Früher (da meine ich das alte Jahrtausend) gab es klare Mehrheiten im Bundesrat, weil auf der einen Seite die SPD mit der FDP oder die CDU/CSU mit der FDP einen kompakten Blog bildeten. Auch als die Grünen fest auf die SPD abonniert waren, gab es noch diese Übersichtlichkeit und Mehrheiten. Aber heute koaliert jeder mit jedem. Naja außer natürlich mit der AfD. Noch…

Der Bundesrat hat schon seit langem keine Mehrheit von CDU/CSU oder SPD mehr. Hier die aktuelle Zusammensetzung als Link. Selbst die im Bundestag allmächtige Groko konnte sich bisher nur auf Bayern, Mecklenburg, das Saarland und Sachsen stützen. Das sind 16 von 69 Bundesratsstimmen. 35 Stimmen braucht man für eine Zustimmung dieses Verfassungsorgans. Das heißt, daß die Bundesregierung sich die Zustimmung des Bundesrats von Fall zu Fall von den Kleinparteien, insbesondere von den Grünen erbetteln mußte. Denn das Verhängnis dieser Kammer ist: Bei den Koalitionsverhandlungen in den Bundesländern wird in der Regel vereinbart, daß Bundesgesetzen nur zugestimmt wird, wenn alle Koalitionspartner einverstanden sind. Bei Dreierkoalitionen ist das fast nie der Fall. Beispiel Rheinland-Pfalz: Die FDP sagt Hüh und die Grünen hott. Das gleiche in Schleswig-Holstein.

Durch seine Zusammensetzung ist der Bundesrat deshalb eine Stimmenthaltungs- und Verhinderungskammer. Am einfachsten ist es für die Groko sicher noch die Zustimmung Nordrhein-Westfalens zu erlangen, wo die CDU mit der FDP regiert. Das sind 6 Stimmen. Und die Groko käme auf 22 von 35 erforderlichen Stimmen.

Aber dann gehen die Schwierigkeiten mit Linken und Grünen los: Die Linken regieren in Berlin, Brandenburg und Thüringen. Diese Länder haben zusammen 12 Stimmen. Selbst wenn die Linken zustimmen wöllten, könnten sie es außer in Brandenburg nicht. Denn in Thüringen und Berlin sitzen auch die Grünen mit im Regierungsboot.

Regelrecht allmächtig als Verhinderungspartei ist also die 7-Prozentpartei der Grünen: Sie regieren in Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Zusammen haben diese Länder die Bundesratsmehrheit: 43 von 69 Stimmen. Die Grünen können jedes Gesetz mühelos blockieren. Gerade fliegen sie in Niedersachsen aus der Regierung, aber es bleiben ihnen dann immer noch 37 Quälstimmen. Wenn sie 2019 auch in Thüringen ausgesondert werden, entsteht für die Bundesregierung etwas Luft.

Gegen die SPD kann man in Berlin auch nicht regieren. Sie stellt in 11 Ländern Regierungsmitglieder, die 45 Stimmen im Bundesrat repräsentieren. Deshalb wäre eine CDU/CSU-FDP-Regierung von vornherein ein zahnloser Tiger. Wenn Christian Lindner in der Zeitung, in der seine Frau stellvertretende Chefredakteurin ist, vollmundig verkündigt, daß seine FDP in eine Regierung nur eintritt, wenn die Einwanderungsregeln geändert werden: Das kann er bei der Zusammensetzung des Bundesrats voll vergessen. Das ist Wählerverladung pur.

Die CDU/CSU regiert nur in acht Ländern, die 41 Stimmen haben. Auch sie kann die Gegenseite, zum Beispiel RRG im Bundesrat blockieren.

Jeder kann derzeit jeden ausbremsen und behindern. Aber niemand bringt eine Mehrheit zustande, die die Bundesregierung (wie auch immer zusammengesetzt) stützen kann. Aus diesem Dilemma gäbe es natürlich einen Ausweg. Wenn die CDU/CSU und die AfD nach der Pensionierung der Problemkanzlerin Merkel eine Zusammenarbeit vereinbaren würden, gäbe es auch wieder klare Mehrheiten im Bundesrat.

In Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Bayern und Niedersachsen gibt es bereits aktuell in den Landtagen Mehrheiten jenseits von RRG. Das bringt 40 Bundesratsstimmen. Das Bundesratsdilemma kann aufgelöst werden. Dazu braucht es allerdings Mut zur Wahrheit.