Es geht alles auch umständlich

Das Dach meiner Scheune war schon seit längerer Zeit in sehr schlechtem Zustand. Mehrere Dachbinder waren durchgebrochen, Balkenköpfe weggefault und alles wurde nur durch Notverbände gehalten. Es mußte dringend was getan werden. Und ohne Konstruktionsholz gings nicht.

Heutzutage geht man einfach zum Holzhandel und kauft ein paar Sparren, Dachlatten und Bretter. Das Dach war allerdings 1986 mitten im Sozialismus kaputt. Es gab zwar einen Holzhandelsbetrieb, aber in dem gab es natürlich kein Holz. Und wenn doch, dann nur mit Vitamin B.

Also ging ich zur Gemeinde und beantragte die Selbstwerbung von Bauholz. Selbstwerbung, das war ein Relikt aus einer Zeit, wo man noch einen landwirtschaftlichen Betrieb, ein Fuhrwerk mit Pferden und in der Scheune ein Gatter hatte, wo man sich also noch selbst helfen konnte. Das war in den 80er Jahren jedoch alles Geschichte.

Ich bekam von der Bürgermeisterin ein gestempeltes Schreiben mit der Erlaubnis zum Holzeinschlag und mit diesem Schreiben gings zum Rat des Kreises. Auch hier waren ein Stempel und eine Unterschrift zu ergattern. Dann war der nächste Weg zum Forstamt nach Buchfart. Der Förster Schuster verweigerte glatt die Unterschrift. Er war nur bereit zu unterzeichnen, wenn ich ihm einen Stempel und eine Unterschrift vom Sägewerk vorzeigen würde. Überall im Walde würde selbstgeworbenes Holz rumliegen, und es würde liegenbleiben, da die Sägewerke keine Kapazität hätten. Deshalb dieser Weg zuerst zum Sägewerk, dann zu ihm.

Einige Tage später nahm ich mein Fahrrad, denn Autos gab es nur nach etwa 15jähriger Voranmeldung. Ich machte mich auf den Weg zu den Sägewerken. Insgesamt gab es im Kreis Weimar-Land davon vier. Zuerst fuhr ich nach Blankenhain. Das Gatter des ersten Sägewerks war gerade defekt und keine Ersatzteile in Sicht, im zweiten Sägewerk sah mich der Betriebsleiter Jüttner an, als wenn ich eine Zumutung wäre und sagte mir, er hätte eine Warteliste fast für ein Jahr. Ich fuhr unverrichteter Dinge nach Tannroda. Hier gab es auch zwei Sägewerke. Im ersten hatte ich wiederum keinen Erfolg, und ich stand nun zu guter Letzt vor dem Sägewerk der ZBO Weimar-Land. Letzte Eisenbahn. Als Ermunterung zum Nachfragen stand vor dem Betriebsgebäude ein Schild: „Einsägen von Bauholz – Nachfrage zwecklos“. Aha, dachte ich, hier hat es sicher Zweck mal nachzufragen. Das Schild bedeutet, daß der Chef nicht nein sagen kann. Ich ging rein und fand den Abteilungsleiter der Holzproduktion. Es handelte sich um einen älteren Herrn namens Werner Weißleder, der mit einem grauen Kittel am Schreibtisch saß. Ich trug mein Bewerb vor, und er runzelte sorgenvoll die Stirn. Das Gatter wäre von 1928 und er hätte keine Leute, und es ginge überhaupt nur am Wochenende und außerdem wäre die Warteliste 25 Bewerber lang und es wäre deshalb nicht möglich. Ich fragte ihn, ob es nicht machbar wäre, wenn ich in der ZBO Weimar-Land arbeiten würde. Er sah mich kurz an, grinste schwach und sagte: „Gib her den Zettel“. So kam ich zur Unterschrift und zum Stempel, aber ich hatte gleich auch einen neuen Job. Wenige Tage später hatte ich einen neuen Arbeitsvertrag, sehr zum Ärger meiner bisherigen Arbeitsstelle. Der alte Chef hatte halt Pech. Er war ein Bettler, denn er hatte kein Gatter aus der Vorkriegszeit.

Aber mit dem Aufreißen des Sägewerks war es nicht getan. Es ging nun wieder zum Förster und auch der unterschrieb und stempelte jetzt. Vor dem Werben von Bauholz mußte man allerdings erstmal einen zweitägigen Arbeitseinsatz beim Pflanzen von Buchen absolvieren. Am Vorabend hatte ich mich mit meinem Nachbarn ordentlich betrunken und grün im Gesicht erschienen wir im Wald. Es half nichts, so schlecht wie uns war, mußten wir den ganzen Tag pflanzen.

Förster Schuster organisierte es, daß ein Waldarbeiter 5 Meter lange Fichtenabschnitte herstellte und an einen Weg legte. Schuster ist mittlerweile Rentner und seine Kunden und Kollegen haben ihm im Wald aus Dankbarkeit ein Denkmal errichtet.

Die Stämme mußten nun raus aus dem Wald. Dafür brauchte man gleichzeitig einen Schlepper mit Hänger und einen Kran. Ich mußte den Traktoristen Alfred Riedel und einen Kranfahrer mit Spitznamen Hungekettchen überzeugen auf den Punkt zu kommen. Nach etwa zwei Monaten gutem Zureden hatte ich es geschafft. Beide fuhren für mich in der gleichen Stunde in den Wald. Man muß bedenken: Kranwagen waren ein äußerst knappes Gut. Es war ein Wagen aus den 50er Jahren, der die dritte Generalreparatur hinter sich hatte und den Tag auf irgendeiner Baustelle fehlte.

Riedel brachte die Stämme gleich zum Sägewerk nach Tannroda und kippte ab. Dort mußte ich am kommenden Samstag mit meinem Nachbarn Matthias anrücken und beim Sägen helfen. Am Abend lag die fertige Arbeit aus Balken und Brettern auf dem Betriebshof.

Nun war wieder ein Traktor mit Hänger zu erbetteln, um die Fuhre nach Hause zu bekommen. Nach ein paar Tagen hatte ich einen Traktoristen überzeugt, der wegen der Ähnlichkeit mit dem roten Ober auf der Altenburger Skatkarte den Spitznamen „Rotober“ trug. Es war gerade Mittagspause als wir beim Sägewerk ankamen und der Staplerfahrer mit dem Spitznamen „Drackfresse“ mußte überzeugt werden seine Pause zu unterbrechen, um das Holz aufzuladen. Das ging nicht ohne gesalzene Kommentare, siehe sein Nickname.

Ach ja, der Stapler. Es gab im Betrieb eine Ingenieurin, die damit prahlte, daß ihr Mann Testfahrer sei. Ich dachte an Erlkönige des Wartburgs, die von ihm über die Autobahn gejagd wurden. Einmal war ich wieder mal beim Sägewerk und der Stapler mußte repariert werden. Ein junger Mann von der Reparaturfirma kam und brachte die altehrwürdige Maschine wieder zum Laufen. Zum Schluß machte er eine Probefahrt. Wie sich anhand seines Namens herausstellte, war das die Testfahrt und er demzufolge der Testfahrer.

Nicht unerwähnt lassen will ich den guten Willen des Betriebsleiters der ZBO Dieter Merkel, der mittlerweile in den ewigen Jagdgründen vermutlich aus Gewohnheit immer noch auf der Jagd nach Baumaterial ist. Es war üblich, daß solche Sonderfahrten in den Wald und durchs Kreisgebiet in der Arbeitszeit und mit den Maschinen des Betriebs liefen. Nicht zu vergessen die vielen Tage wo ich mit meinem Holz beschäftigt war, statt mit irgendeiner Arbeit. Gott vergelts dem Chef.

Nach insgesamt vier bis fünf Monaten rumrennen und gut zureden hatte ich mein Konstruktionsholz endlich zu Hause. Das Richten und Eindecken des Scheuendachs dauerte mit Hilfe von zwei Nachbarn von Freitag nachmittag bis Sonntag mittags. Uns war wieder schlecht vom Alkohol. Einer meiner Helfer düngte mehrmals die Beete. Aber ohne Sprit war das Elend einfach nicht zu ertragen.

Komischerweise gibt es in Deutschland immer noch Leute, die den Sozialismus gut finden. Die wären im Narrhaus gut aufgehoben, bevölkern jedoch Gewerkschaften, Stiftungen, Redaktionen, Parteien und Parlamente. Einfach interessant, wieviele Verwirrte es gibt!