Dr. Marx wartet auf Dr. Merkel

Tschuldigung, daß ich Karl Marx aufs Tapet bringe. Ich mache das nicht wegen seinem 200. Geburtstag, sondern aus aktuellem Anlaß. In meiner Jugend wurde man während der Oberschule und während des Studiums immer wieder zum Lesen der „Werke der Klassiker“ Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin angehalten, ja manchmal auch gezwungen. Stalins Schriften waren nur noch unter der Hand zu bekommen und die Mao-Bibel wurde meiner Freundin in ihrer Ostberliner Wohnwabe schon entwendet, bevor sie die erste Seite gelesen hatte. Wo alle klauen, kommt keinem was weg, hieß es damals. Im „Lehrgang zum Wissenschaftlichen Kommunismus“ – notwendige Begleiterscheinung eines jeden Studiums – wurde auch ein Aspekt beleuchtet, der heute angesichts der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen und die Masseneinwanderung von Hirtenvölkern aus sogenannten „Dreckslöchern“ zunehmend interessant wird. Die Arbeitsamkeit.

„Die große geschichtliche Seite des Kapitals ist diese Mehrarbeit (…) zu schaffen, und seine historische Bestimmung ist erfüllt, sobald einerseits die Bedürfnisse soweit entwickelt sind, dass die Mehrarbeit über das Notwendige hinaus selbst allgemeines Bedürfnis ist, aus den individuellen Bedürfnissen selbst hervorgeht, – andererseits die allgemeine Arbeitsamkeit durch die strenge Disziplin des Kapitals, wodurch die sich folgenden Geschlechter durchgegangen sind, entwickelt ist als allgemeine Besitz des neuen Geschlechts, – endlich durch die Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit, die das Kapital in seiner unbeschränkten Bereicherungssucht und den Bedingungen, worin es sie allein realisieren kann, beständig voranpeitscht, soweit gediehen ist, dass der Besitz und die Erhaltung des allgemeinen Reichtums einerseits nur eine geringere Arbeitszeit für die ganze Gesellschaft erfordert und die arbeitende Gesellschaft sich wissenschaftlich zu dem Prozess ihrer fortschreitenden Reproduktion, ihrer Reproduktion in stets größerer Fülle verhält.“

Aha. Der „Klassiker“ hielt die Gewohnheit zu Arbeiten als einen allgemeinen Besitz des neuen Geschlechts, als eine Voraussetzung für die Erreichung des Ziels nach den Bedürfnissen zu leben. Friedrich Ebert trieb es 1918 auf die Spitze: „Arbeit ist die Religion des Sozialismus“.

In meiner Kindheit und Jugend war diese allgemeine Arbeitsamkeit noch Realität. Das steckte so in den Genen. Selbst wenn der eigentliche Arbeitstag um war, die tägliche Stromsperre mit der sogenannten “Schummerstunde“ zu Ende, klapperten die Stricknadeln, Sachen wurden über hölzernen Stopfpilzen wieder in Ordnung gebracht und das Essen für den kommenden Tag wurde vorbereitet. Die Männer „organisierten“ Futter vom Ende der Welt und fütterten die Kaninchen und Hinkel hinter dem Haus (auch in der Stadt) und gingen mit den Hühnern ins Bett, um bereits um 5 Uhr wieder durchzustarten. Es gab keine Sozialhilfe und kein Arbeitslosengeld, wer bummelte kam wegen Asozialität ins Zuchthaus. Ich erinnere mich an keinen einzigen Fall in der Umgebung, wo das zum Zuge kam. Wegen Republiksflucht und dem Brühen zu dünnen Kaffees verschwanden die Leutchen, aber nie wegen Faulheit. Ein Studium dauerte nach der Hochschulreform nur noch vier Jahre, davon ging noch ein Vierteljahr Militärlager ab. Die Deutschen waren damals noch fleißig.

Inzwischen hat sich das sehr gelockert. Es gibt wieder wie in der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik den verbummelten Studenten. Meine Großmutter hatte so einen Untermieter, einen Herrn von Zitzewitz, der die Tage auf dem Fechtboden und in seiner Kneipe verbrachte. Dort saß er gewöhnlich auf einem Stuhl, welcher auf seinem Stammtisch positioniert war. Hochmut kommt vor dem Fall. Seine Sippe wurde in der Russenzeit enteignet. Es vergingen zahlreiche Semester, ohne daß es bei Zitzewitz zu akademischen Fortschritten kam. So wie bei vielen heutigen Studikern, die zwischen 30 und 35 eine erste Bewerbung für einen Job abgeben. Andere Jungwissenschaftler, die etwas schneller sind, werden nach dem Diplom in irgendeinem Orchideenfach jahrelang von Maßnahme zu Projekt und von Projekt zu Maßnahme vermittelt, um dann mit 40 die erste feste Anstellung zu ergattern. Zahlreiche Lebenskünstler existieren auf Kosten des fleißigen Steuerzahlers von Fördergeldern. Von allgemeiner Arbeitsamkeit kann nicht mehr die Rede sein. Die Einen leben als Schnorrer egomanisch und ohne Schamgefühl von den Anderen, die in der täglichen Tretmühle für den Appel und das Ei schuften.

Und nun kommt das Sahnehäubchen obendrauf. Die Einwanderung von Sippen, die frisch von der Weide oder aus dem unterbeschäftigten Dienstleistungssektor kommen. Arbeit in Arabien kann mitunter recht streng beaufsichtigt werden und anstrengend sein. In der Mitte der Baustelle sitzt ein älterer Kaftanträger, offensichtlich der Rais, auf einem Stuhl und hält die Zeichnung in der Hand. Um ihn herum sind den lieben langen Tag zehn Gastarbeiter auf Achse und flechten Bewehrung. Das ist die Ausnahme. Die Regel ist extreme Unterbeschäftigung derer, die schon längere Zeit dort wohnen. Vor fast sämtlichen Autowerkstätten sitzen die Monteure herum und warten bis ein Auto kaputt geht. Manchmal den lieben langen Tag umsonst. Am Toten Meer stehen an den Parkplätzen und Imbissen geschmückte Kamele herum, um Ausländer herumzutragen. Wenn man einen Kunden pro Tag an den Haken bekommt ist alles gut gelaufen. Jalla-jalla. Dasselbe auf den Basaren. Einige Händler haben nur ein einziges altersschwaches Huhn in ihrem bekoteten Käfig, das ganze Angebot. Das Beitragsbild zeigt den Geflügelstand eines etwas arrivierten Händlers aus El Khalil. Die Effizienz europäischen Arbeitens ist vielen Orientalen völlig fremd.

Karl Marx würde verzweifeln. Seine Idee vom Reich der Freiheit ist wegen zunehmender Masseneinwanderung, Ahnungslosigkeit, Faulheit und Egoismus am Ende. Der ganze Kapitalismus war für die Katz. In Merkels Sozialismus wird der Besitz der Väter vergeikelt.

Es gibt so eine Wanderanekdote, die sich mal auf diesen und mal auf jenen anwenden läßt. Karl Marx sitzt mit einer Kalaschnikoff in der Hölle. Der Teufel fragt ihn, was ihn dazu berechtigt eine Waffe zu führen. Er antwortet: „Ich warte auf Dr. Merkel.“

 

Literatur: K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Dietz, S. 231.