Zeitgeistnutten um 1900

Etwa 300 C-Promis hatten kürzlich als „Kulturschaffende“ eine Resolution gegen Bundesminister Seehofer verfaßt und in Umlauf gebracht. Die Bekanntesten, oder besser die einzigen, die ich kannte, sind Ronja von Rönne und Hugo Egon Balder. Erstere wurde durch ihre Landphobie bekannt; wenn sie den S-Bahnring von Berlin überschreitet, bekommt sie Pickel. Zweiterer durch die nicht sehr tiefgängige Tittenshow Tutti Frutti.

Nun wurde diesen weitgehend unbekannten Künstlern von der Öffentlichkeit vorgeworfen, den nationalsozialistischen Begriff „Kulturschaffende“ für ihre Initiative benutzt zu haben, der wohl 1934 das erste Mal auftauchte.

Das Verklumpen von Künstlern zu Propagandawerken reicht jedoch etwas weiter in die Geschichte zurück. Ich habe mal zwei Beispiele herausgesucht. Zwei Exempel, die der primitiven Berliner Kunstmafia besonders peinlich sein dürften, weil sie aus heutiger Sicht alles andere als PC sind.

Weniger durch metaphysische Landschaften, als durch eine Streitschrift wurde ein Worpsweder Maler bekannt, nämlich Carl Vinnen. 1894 war Vinnen der Antreiber bei der Gründung der „Künstlervereinigung Worpswede“ gewesen. Als Landschafter war er durchaus respektabel. 1899 beispielsweise kaufte der Bremer Kunstverein sein großformatiges, fast drei mal zwei Meter großes Moor-Gemälde „Ruhe an einem Vorfrühlingstage“, das in der Kunsthalle Bremen hängt. 1911 wurde das Einvernehmen zwischen dem Bremer Kunsthallen-Direktor Pauli und dem Maler Vinnen allerdings jäh gestört. Pauli hatte eine Skizze von van Gogh für 30.000 Mark erworben, was den zährenden Neid Vinnens und anderer lokaler Größen der Pinselzunft hervorrief.

Nach einem ersten Kräftemessen zwischen Vinnen und Pauli in der Bremer Lokalpresse erschien Mitte April 1911 im Jenaer Verlag Eugen Dietrich der „Protest deutscher Künstler“. Er stand unter dem lateinischen Motto: „Quousque tandem!“, welches Cicero, seinen Reden gegen den Aufwiegler Catilina voranstellte: „Wie lange noch …?“. Bei Vinnen wurde das „quousque tandem“ zur Aufforderung, sich gegen die Übermacht französischer Kunst zu verteidigen:

„Angesichts der großen Invasion französischer Kunst, die sich seit einigen Jahren bei uns vollzieht, scheint es mir ein Gebot der Notwendigkeit zu sein, dass deutsche Künstler ihre warnende Stimme erheben.“ Deutschland werde „mit großen Massen französischer Bilder überschwemmt. Es sind durchschnittlich die Überreste, die uns gegönnt werden, nämlich das, was das Heimatland und die großen amerikanischen Börsen übriggelassen haben. Dass ab und zu noch Perlen darunter sind, soll nicht bestritten werden, aber die Menge ist doch derartig, dass es für die Überlegenheit der französischen Kunst keine genügende Beweise liefert…wie z.B. der Fall unseres neuen van Gogh zeigt, der 30.000 Mark kostete, dass im allgemeinen eine derartige Preistreibung französischer Bilder stattgefunden hat, dass hier eine Überwertung vorzuliegen scheint, die das deutsche Volk nicht auf die Dauer mitmachen sollte. (…) In den gewaltigen Kämpfen um die neue Richtung ist ein Kunstliteratentum entstanden, das aus den treuen Bundesgenossen der Künstler allmählich eine selbständige Macht geworden ist, die instinktiv mit dem Künstler um die Seele des Volkes ringt. Gleichberechtigt mit den Schaffenden dekretieren sie die Richtungen, bannen oder sprechen heilig, und wirken, bei bester Überzeugung, ganz ungemein gefährlich auf die heranwachsende Künstlerjugend. (…) Auf den Schwingen der Kunstliteratur kommt diese Bilderflut ins Land, und hier berauscht sich an ihr wieder die Literatur aufs neue; diese Begeisterung in der Presse verhilft den Händlern zu exorbitanten Preisen nun wieder, um die Bilder an deutsche Sammler loszuwerden.“

„Worin liegt der große Nachteil dieser Einführung fremder Kunst, sobald die Spekulation sich ihrer bemächtigt? Nun, vor allem in der Überschätzung fremden Wesens, das unserer eigenen, ursprünglichen Veranlagung nicht adäquat ist. Die Errungenschaften seit Monet sind der Oberfläche der Dinge gewidmet. Die Epidermis der Welt der Erscheinungen, wenn ich dies etwas kühne Bild hier brauchen darf. Aber die Eigenart unsers Volkes liegt letzten Endes auf anderm Gebiete. Vertiefung, Phantasie, Empfindung des Gemütes, man versteht mich vielleicht besser, wenn ich Namen nenne, Rethel, Menzel, Leibl, Boecklin, Marées – das scheint mir unsere Eigenart zu sein. Und wo fremde Einflüsse nicht nur verbessern, sondern von Grund aus umgestalten wollen, da liegt eine große Gefahr für unser Volkstum vor.“

„Wenn wir nun aber sehen, wie zum Beispiel neuerdings in Deutschland für flüchtige Studien van Goghs, selbst für solche, in denen ein Künstler die drei Dimensionen vermisst, Zeichnung, Farbe und Stimmung, 30- 40.000 Mark anstandslos bezahlt werden, wie nicht genug alte Atelierreste von Monet, Sisley, Pissarro und so weiter auf den deutschen Markt gebracht werden können, so muss man sagen, dass hier eine Überwertung vorzuliegen scheint, die das deutsche Volk nicht auf Dauer mitmachen sollte.“

Vinnens Streitschrift gipfelte in der Folgerung:

„Zur Höhe wird ein Volk nur gebracht durch Künstler seines Fleisches und Blutes.“

Vinnens Protest wurde von 123 Künstlern unterstützt, darunter von den späteren Kriegsfreiwilligen Max Beckmann und Hans Ende, vom späteren Vorsitzenden des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ Fritz Mackensen, von der Stalinistensympatisantin Käthe Kollwitz, vom zukünftigen Emigranten Thomas Theodor Heine, vom Brücke-Kommunarden Schmidt-Rottluf und vom Symbolisten Franz von Stuck.

In Frankreich gab es spigelbildlich dieselbe Phobie gegen ausländische Kunst. Insbesondere der Münchner Kunsthändler Thannhäuser stand im französischen Fadenkreuz.

Eine weitere Gelegenheit sich zu organisieren, war die Secession.

Der Goltzverlag aus München brachte im Ersten Weltkrieg die „Kriegsbilderbogen“ heraus, welche zurückhaltend ausgedrückt einseitig und desorientierend waren, weil sie die Risiken einer Niederlage ausblendeten. Diese Künstlerflugblätter, begründet und herausgegeben von Paul Cassirer und Alfred Gold offenbaren das who is who der Deutschen Secession: Insgesamt erschienen die Nummern 1-64/65 und ein Sonderheft mit Kriegsbildern von Max Oppenheimer. Zu den fleißigen Illustratoren gehörten Hans Baluschek, Ernst Barlach, J. Bato, Max Beckmann, P. Behrens, Walter Bondy, Büttner, Ludwig Danziger, Friedrich Feigl, V. Ferenczy, August Gaul, W. Geiger, Greve-Lindau, Großmann, Otto Hamel, Franz Heckendorf, Hettner, Dora Hitz, Heinrich und Ulrich Hübner, Otto Hundt, W. Jaeckel, Heinrich Kaiser, A. Kampf, Georg Kolbe, Alexander Kolde, Käthe Kollwitz, Max Liebermann, M. May, Hans Meid, J. Arpad Murmann, Oskar Nerlinger, Max Oppenheimer, Oesterle, Carl Olof Petersen, F. Rhein, Waldemar Rösler, Kurt Schäfer, Slevogt, O. Starke, Helmuth Stockmann, Erich Thum, F. Tischler, A. u. W. Trübner, Max Unold, Wilhelm Wagner, Karl Walser, E. R. Weiß, Hedwig Weiß und andere.

Unter uns: Patriotismus gab es in allen Ländern und zu allen Zeiten. Das Niederträchtige und Verwerfliche vieler dieser Illustratoren lag nicht darin begründet, daß sie dem Reich den Sieg wünschten, sondern darin, daß sie nach dem Krieg plötzlich Pazifisten waren und so taten, als hätten sie mit der Kriegspropaganda nie etwas zu tun gehabt.

Ja, wirkliche Künstler sind aus sich heraus stark. Wolf Biermann und Albrecht Dürer brauchten keine Resolutionen und Vereine, sie sangen und malten einfach. Mit Erfolg. Die willfährigen Nutten des Zeitgeistes, die sich nur in der Zusammenrottung mit Ihresgleichen wohlfühlen, geraten dagegen fast regelmäßig in die Kritik späterer Geschichtsschreibung, wie die beiden Exempel aus der Zeit um 1900 zeigen.