Vor 30 Jahren: Egon Krenz – keine Lizenz

Am 18.10.1989 tagte das Politbüro in Ostberlin. Der Erste Sekretär Honecker wurde aus dem Gremium ausgeschlossen. Das Hamburger Abendblatt hatte zum 20. Jahrestag, dem 17.10.2009, über seine Absetzung folgendes recherchiert:

Wie immer begrüßt er die 23 anwesenden Mitglieder des innersten Machtzirkels der DDR per Handschlag, bevor er am Kopfende des langen Sitzungstisches Platz nimmt und seinem Büroleiter Edwin Schwerdtner zunickt, der die Tagesordnung vorliest. Ob es weitere Vorschläge zur Tagesordnung gebe, fragt der SED-Chef routinemäßig in die Runde. Da hebt Willi Stoph, der Vorsitzende des Ministerrates und ein enger Honecker-Vertrauter, die Hand. „Ja bitte, Willi“, sagt Honecker und glaubt im nächsten Moment, seinen Ohren nicht zu trauen. „Ich schlage als ersten Punkt die Entbindung des Genossen Erich Honecker von seiner Funktion als Generalsekretär und die Wahl von Egon Krenz zu seinem Nachfolger vor.“

Einen Moment herrscht Stille, die meisten Politbüro-Mitglieder blicken betreten auf den Tisch und meiden den Blickkontakt zum Chef. Was nun folgt, ist für den SED-Chef ein Albtraum. Nach und nach rechnen alle Spitzengenossen mit dem Generalsekretär ab, werfen ihm Fehler, Versagen und falsche Entscheidungen vor und verlangen seine Absetzung. Sie machen ihn und seine Politik dafür verantwortlich, dass die DDR am Abgrund steht. Aus ihrer Sicht ist allein Honecker daran schuld, dass erst am Vorabend 150 000 Menschen in Leipzig auf die Straße gegangen sind und inzwischen unverblümt den Rücktritt der Führung fordern. Dass der ehrgeizige Krenz gegen ihn opponiert, überrascht Honecker nicht. Auch die Kritik des mächtigen Berliner Parteichefs Günter Schabowski steckt Honecker noch mit unbewegtem Gesicht ein, als aber auch sein Jagdgenosse Günter Mittag an dem Scherbengericht teilnimmt und sogar der bis zur Selbstverleugnung loyale Propaganda-Chef Herger in den Chor einfällt, hat er Mühe, die Fassung zu bewahren. „Eine solche Entscheidung war schon längst fällig“, sagt Mittag, den Honecker bis zu dieser Minute beinahe für einen Freund gehalten hat. Aber es kommt noch schlimmer: Nach ungefähr anderthalb Stunden meldet sich Stasi-Chef Erich Mielke zu Wort und setzt Honecker mit der Drohung unter Druck, dass er Dokumente im Safe habe, die sein makelloses Bild als antifaschistischer Widerstandskämpfer beschädigen könnten. Erregt versucht sich der SED-Chef zu verteidigen, brüllt Mielke an, er solle „sein Maul nicht so weit aufreißen“ und aufhören, „meinen antifaschistischen Kampf“ in den Dreck zu ziehen.

An der Reaktion seiner Genossen, von denen ihm keiner beisteht, erkennt Honecker, dass die Würfel gefallen sind. Er weiß zwar noch nicht, dass Krenz Vorsorge getroffen hat und dass vor der Tür bewaffnete Stasi-Leute warten, die bereit sind, Honecker notfalls zu verhaften.

Einen Tag später wurde die Absetzung Honeckers nach einer Tagung des Zentralkomitees, bei der er selbst seinen Rücktritt erklärte, veröffentlicht. Der Wahlfälscher vom Frühjahr, der langjährige FDJ-Führer, der sogenannte „Berufsjugendliche“ Egon Krenz wurde als Thronfolger präsentiert. Die Reaktion der ostdeutschen Völker erfolgte recht schnell und treffend: Auf der nächsten Demo in Leipzig wurde gerufen: „Egon Krenz – keine Lizenz“. Am 4.11. tauchte in Ostberlin folgendes Konterfei des neuen Parteichefs auf:

Interessant auch, daß der Polizistenmörder Erich Mielke Parteichef Honecker mit der Nazikeule drohte. Das war in den Kreisen der Partei seit 45 immer schon Folklore.