Aus dem Tagebuch eines Ehrgeizigen

Mike Mohring hat im Kreistag gerade eine Ehrengabe für 25 Jahre Mitgliedschaft erhalten. Obwohl er erst 47 ist, ist er der Methusalem in diesem Gremium: Seit 1994 von Anfang an dabei. Und vorher war er schon im Kreistag des Altkreises Apolda.

Über seine Kindheit laufen in Apolda böse Gerüchte um. Einmal soll er über seine Klassenlehrerin sehr verärgert gewesen sein, weil er nicht sechs Wochen in die Pionierrepublik „Wilhelm Pieck“ nach Berlin-Wuhlheide delegiert wurde. Dort gab es einen Pionierpalast, eine Pioniereisenbahn, Südfrüchte und Eis am Stiel. Schoko oder Vanille. Aber der mündlich überlieferten Kunde nach ohne Mike.

In der Wendezeit ging er ins Neue Forum und schuf sich dort die Basis in den Kreistag gewählt zu werden. Als es mit den Oppositionsgruppen immer schneller bergab ging, wechselte er 1993 kurz vor der nächsten Kommunalwahl in die CDU und wurde dank Bienenfleiß 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Das bedeutete aber nicht, daß er in der Kreispartei gut gelitten war. Die ganzen alten Granden – die Vopels, Trübner, Müller, Burghoff – wollten seinen weiteren Aufstieg bremsen. Einmal wurde meine Freundin in den Kreisvorstand eingeladen, um einen Bericht über raumplanerische Fragen zu erstatten. Der vorhergehende Tagesordnungspunkt war noch nicht abgearbeitet und sie wurde Zeugin, wie sich Mohring mit dem Vorstand eine Stunde lang über ein paar Briefmarken für die Junge Union stritt, wobei regelrecht die Fetzen flogen. Der damalige Kreisvorsitzende entschuldigte sich danach, weil er vermutete einen schlechten Eindruck von der Parteiarbeit vermittelt zu haben.

Einen ähnlichen Zwischenfall gab es bei einer Parteiwahl, die in Tannroda stattfand. Die Zahl der Mitglieder und der abgegebenen Stimmen stimmte nicht überein. Nach einer Stunde kam raus, daß Mohring einen jungen Mann eingeschleust hatte, der nicht Mitglied war, um die Zahl seiner JU-Anhänger aufzuhübschen. Wieder wurde er von den Vorständen zusammengefaltet. Ein anderes Mal – 1999 – wurde Mohring in Bad Berka zum Wahlkreiskandidaten für die Landtagswahl gewählt. Es hatte zwei Gegenstimmen gegeben und die wollte ein ganz Eifriger noch extrahieren. Ich war zufällig in der Zählkommission und konnte einen Skandal verhindern. Wie andere Leute wählen weiß man nicht, aber wie man selbst seine Stimme abgegeben hat, daran kann man sich schon erinnern. Die Episode zeigt den vorauseilenden Gehorsam, den Mohring von seinen Paladinen immer erwartete. Er umgibt sich stets mit einem kleinen Kreis von Jasagern, die exklusiven Zugang zu ihm haben, aber auch bis zur letzten Patrone für ihn kämpfen. Wenn man wissen will, wie Machtpolitik im ganz Kleinen funktioniert, ist man bei einem Lehrgang im Weimarer Land nicht schlecht beraten gewesen. Nibelungentreue, Liebesentzug, Eifersucht, das gefühlte Wühlen von unterirdischen Minderpolitikern, Huldigungen, Verrat, Schwüre, Shakespearreife Machtdramen.

Meine Freundin war in den Nullerjahren im Kreisvorstand und in der CDU-Fraktion. Die CDU war gerade in der Opposition und Mohring wurde als Fraktionschef oft unsachlich und emotional. Die Freundin versuchte immer ihm ein besseres Benehmen beizubringen. Teilerfolge hat sie auch erzielt. Aber als ich zehn Jahre später im Kreistag war, gab es immer noch laute Rededuelle, meist mit dem Politdoktor Wogawa von der Linken.  Wenn nach 1999 im Kreistag rumgeschrien wurde, war Mohring immer beteiligt. Vorher vermutlich auch, aber da habe ich keine Zeugen.

Einmal verursachte er in den engen Gassen der Kreismetropole einen Unfall. Mit seiner schnittigen Limousine war er forsch von hinten kommend mit einem Lkw kollidiert, der beim Abbiegen in eine Gasse die Gegenfahrbahn mitbenutzt hatte. Als die Polizei kam verlangte Mohring eine Alkoholkontrolle, eine Rauschgiftkontrolle und eine Kontrolle der Reifen des Lkw. Die Polizisten fragten danach den Lkw-Fahrer, was sie bei Mohring denn alles kontrollieren sollen. Mohring führte einen Prozeß, um einen Teil der Schuld loszuwerden, aber das mißlang im Wesentlichen. Der Lkw-Fahrer ist inzwischen ein eifriges AfD-Mitglied.

Der schlimmste Parteikrieg ging los, als Mohring Bundestagsabgeordneter werden wollte. Das war 1998. Der Bundeskanzler wollte im Wahlkreis – zu dem damals auch Sondershausen gehörte – die frisch von den Grünen übergetretene Sondershäuserin Vera Lengsfeld durchsetzen, weil er sich davon versprach ein positives Signal in die Bürgerrechtsbewegung auszusenden und noch ein paar Stimmen aus dieser Richtung zu ergattern. Mohring trat bei der Kandidatenkür in den Räumen der Brauerei Apolda gegen Lengsfeld an und verlor die Abstimmung. Aus Treue zu Helmut Kohl hatten sich einige der Vorstände für Lengsfeld ausgesprochen. Sie wurden in den Folgejahren von Mohring einer nach dem anderen aus dem Amt gedrängt, weggeputzt und abserviert. Rache ist süß. Lengsfeld hatte nach ihrer Wahl die Mittelstandsvereinigung im Landkreis gegründet, um einige Anhänger zu mobilisieren. Auch die Mittelständler wurden von Mohring geächtet und kamen auf die schwarze Liste. Von denen ist nur noch einer im Kreistag, das bin ich, aber nicht auf CDU-Ticket, sondern für die AfD. Man muß es mal kommunizieren wie es ist: Höcke hat sich noch nie mit mir angelegt, mit Mohring hat es laufend wegen – in meinen Augen – Kinkerlitzchen gebritzelt.

1998 war Mohring bei der Kandidatur für den Bundestag noch gescheitert, 1999 gelang der Einzug in den Landtag. Hier muß man einges zur Landes-CDU einfügen. Sie war in den 90ern von Ministerpräsident Vogel dominiert. Im sommers glühendheißen Kabínettssaal über den Dächern von Erfurt herrschte der wortgewaltige Vogel wie ein Vater über seine Kinder. Jedenfalls was die CDU betraf. Sein Stellvertreter Fickel schlief zuweilen ein, aber der war ja von der F.D.P. Vogel war gebranntes Kind. In Rheinland-Pfalz war er schon einmal entthront worden und deshalb achtete er daruf, daß keine Konkurrenz aufkam. Das hatte zur Folge, daß seine Nachfolge zwar geregelt war, Dieter Althaus war jedoch kein Charismatiker. Einmal sah ich ihn zwischen Frau Schipanski und Frau Dietzel stehen und er wirkte dazwischen wie ein Schuljunge. Schipanski hatte ausgeprägte Präsenz, auch Dietzel ist ein Persönchen, Althaus nicht. Ein anderes Mal war Althaus zu einer Weihnachtsfeier der Kreis-CDU auf die Decke Pitter in Apolda eingeladen worden. Alle standen in Grüppchen herum, Ministerpräsident Althaus war eine halbe Stunde mutterseelenalleine, bis ein ekliger Soziallobbyist was von ihm wollte und ihn eine Stunde lang intensivst beleiert hat. Auch als Althaus wegen dem Skiunfall und einer verlorenen Landtagswahl zurücktreten mußte war das Feld wieder nicht bestellt.

Mohring war seit 2004 auf Vorschlag von Althaus CDU-General im Land gewesen und dachte 2009 eine Chance zu haben Ministerpräsident zu werden. Aber er hatte sich als Generalsekretär auch Feinde gemacht. Die demmelten alle auf Frau Lieberknecht ein, Mohring den Posten wegzuschnappen. Sie bekam binnen zweier Stunden zahlreiche Emails aus dem ganzen Freistaat. Es kam daraufhin zum Pakt zwischen den mächtigen Frauen in der Fraktion und Lieberknecht wurde nach zähen Koalitionsverhandlungen, die in meiner Heimatgemeinde Mechelroda im „Goldenen Einhorn“ bei den weithin hochberühmten Klößen der Wirtin geführt worden sind, MP.

2014 wechselte die SPD die Front und die Frage Lieberknecht zu beerben, stellte sich für Mohring nicht. Über den ganzen Zeitraum von Vogel über Althaus, Lieberknecht bis zu Ramelow kamen in der Thüringen-CDU keine präsentablen Persönlichkeiten zum Zug, weil die CDU für vernünftige Leute zu sehr nach dem Haus der Sieben Zwerge roch. „Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen“, „wer hat mit meinem Löffelchen gegessen“. Landtagspräsident Carius schmiß im Januar 2019 hin. Damit  war der letzte hallewege beliebte und bekannte CDU-Politiker dann mal weg.

Die letzten Tage hat sich gezeigt, daß Mohring – wie vorher auch schon Lieberknecht und Althaus – eine Notlösung ist. Jahrelang hatte er sich ein Image als zahmer Merkelkritiker aufgebaut – insbesondere durch zwei Veranstaltungen mit Prof. Patzelt – um im Wahlkampf alles über den Haufen zu werfen und plötzlich den Landesvater zu spielen. Ein Image muß immer langfristig verfolgt und aufgebaut werden, da kann man nicht mal plötzlich ausbrechen. Auch die Woche nach der Wahl zeigt, daß er weder taktisch noch strategisch denkt. Aus einer Regierungsposition raus kungeln, das kann er gut, wie man 2009 bis 2018 im Kreistag verfolgen konnte. In diese Position erst mal zu kommen, das liegt ihm nicht. Da steht er sich immer wieder selbst im Weg.