Die Klagen der Jugend über die Alten

In den 70ern hieß es „Traue keinem über 30“. Das war ein schwacher Nachhall der deutschen Jugendbewegung (1890 – 1945), die alles Alte für pathologisch hielt. Eins der frühesten Machwerke aus der Baureihe FFF und WDR stammte vom Künstler Frank Wedekind (1864 – 1918). 1902 veröffentlichte er den „Tantenmörder“:

Ich hab‘ meine Tante geschlachtet,
Meine Tante war alt und schwach;
Ich hatte bei ihr übernachtet
Und grub in den Kissen-Kasten nach.

Da fand ich goldene Haufen,
Fand auch an Papieren gar viel
Und hörte die alte Tante schnaufen
Ohn‘ Mitleid und Zartgefühl.

Was nutzt es, dass sie sich noch härme-
Nacht war es rings um mich her-
Ich stieß ihr den Dolch in die Därme,
Die Tante schnaufte nicht mehr.

Das Geld war schwer zu tragen,
Viel schwerer die Tante noch.
Ich fasste sie bebend am Kragen
Und stieß sie ins tiefe Kellerloch.

Ich hab‘ meine Tante geschlachtet,
Meine Tante war alt und schwach;
Ihr aber, o Richter, ihr trachtet
Meiner blühenden Jugend-Jugend nach

Die Vorwürfe, daß die Alten der Jugend die Zukunft rauben, gediehen am Ende des 19. Jahrhunderts in einer Umgebung der Verstädterung prächtig. Auf dem Lande war es immer noch üblich, daß die Höfe übergeben wurden, wenn der Jungbauer um die 40 war. In der Stadt kam es zum jugendlichen Verwendungsstau, was skurrile Auswirkungen hatte und immer noch hat.

Im Oktober 1913 fand der sogenannte „Freideutsche Jugendtag“ auf dem Hohen Meißner bei Kassel statt. Bei dieser Gelegenheit trafen sich 2-3000 Aktivisten der auf über 60.000 Mitglieder angeschwollenen organisierten Jugendbewegung, um ihr gewachsenes Selbstbewußtsein zu demonstrieren und sich über ihre Ziele zu vergewissern. Der Ton wurde von Kulturkritikern angegeben, die antimodernistische, neuheidnische und spätromantische Konzepte vertraten. Das Grußwort des Lebensphilosophen Ludwig Klages an den Jugendtag ist entsprechend eine einzige Jeremiade gegen das industrielle Zeitalter:

„Wir täuschen uns nicht, als wir den ´Fortschritt´ leerer Machtgelüste verdächtig fanden, und wir sehen, daß Methode im Wahnwitz der Zerstörung steckt. Unter den Vorwänden von ´Nutzen´, ´wirtschaftlicher Entwicklung´, ´Kultur´ geht er in Wahrheit auf Vernichtung des Lebens aus. Er trifft es in allen seinen Erscheinungsformen, rodet Wälder, streicht die Tiergeschlechter, löscht die primitiven Völker aus, überklebt und verunstaltet mit dem Firnis des Industrialismus die Landschaft und entwürdigt, was er von Lebewesen noch übrig läßt gleich dem ´Schlachtvieh´ zur bloßen Ware, zum vogelfreien Objekt ´rationeller´Ausbeutung. In diesem Dienste aber steht die gesamte Technik und in deren Dienste wieder die weitaus größte Domäne der Wissenschaft.“

Überflüssig zu erwähnen, daß Klages Nationalsozialist und Antisemit war.

Muck Lamberty textete 1918: „… Wir sind uns über das Wesen der geistig Alten schon lange klar und hoffen unter den vielen lebendigen Deutschen der anderen Gemeinschaften, Freunde zu finden. – Es wird ein frisches Ringen sein mit den Altnaturen, die ihre Interessen und den Wert des Menschen erst in zweiter Linie stellen. (…) Schon schauen die echten Menschen nach neuen Männern aus, nach jungen heimatstarken Mannen, zu denen sie Vertrauen haben können. Und wir jungen Heimatsucher, Heimatgestalter, und -Erhalter müssen zur Stelle sein, um in dieser Stunde vorzuschnellen, anzutreten als eine Gemeinschaft von Führern aller aufsteigenden, verjüngenden Ideen der Heimatgenesung; einer aus dem Boden, unserer Art, aufsteigenden Kultur.“

1921 erschien das Buch über die Logokratie von Kurt Hiller: „Die Jugendbewegung, mit ihrer Entdeckung von Führertum und Gefolgschaft, mit ihrem Eros zum Helden – nicht zum Körperhelden allein -, mit ihrem starken Sinn für den Rang und für edle Haltung, mit ihrer Ehrfurcht vor dem Schöpferischen in Natur und Menschenwelt, mit ihrer Abscheu vor mechanisch-parlamentarischer, nivellierender Betriebsamkeit, vor der Kompromisswirtschaft und allem Sichdrücken um das Wesentliche, aller platten Verständigkeit, mit ihrer Liebe zum Unbedingten, mit ihrer Geradheit und Herbheit, ihrer Innerlichkeit, die nicht ohne Schönheit ist, mit ihrer Opferbereitschaft, mit ihrem unverkennbar heroischen Zug – diese Jugendbewegung quer durch die sozialen Klassen, wohl eine spezielle deutsche Erscheinung, ist typische Abkehr von der Demokratie, …ohne noch freilich noch eine klare Hinkehr zu anderem zu sein. Ihr steckt der neue Aristokratismus als Rythmus im Blut, kaum schon als System im Bewusstsein. Bemerkenswert immerhin, dass diese Jugend das wirtschafts- und gesellschaftsrevolutionäre und überhaupt jedes revolutionäre Prinzip mit dem Prinzip des Adels nicht nur als vereinbar, sondern geradezu als mit ihm verwandt fühlt, während ihr das revolutionäre und das demokratische Prinzip unsäglich weit auseinander zu liegen scheinen. Für alle Dinge kann Jugend sich begeistern, nur gerade für den Gedanken der Mehrheitsherrschaft nicht!.“

Die schrillen Töne von Langstreckenluisa und Rempelcarola stehen in einer langen antidemokratischen und teilweise nationalsozialistischen, teilweise linkselitistischen Tradition.

Im Hafen der Ehe würden sie im Kreise einer großen Kinderschar sicher auf andere Gedanken kommen. Luisa würde einen Einmann finden, wenn sie sich etwas nett zurechtmachen würde. Carola sollte vielleicht ins Kloster oder zur Heilsarmee gehen. Oder es findet sich noch ein somalischer oder paschtunischer Philanthrop, der trotz oder auch gerade wegen ihrer strengen Miene Gefallen an ihr findet und sie nach den praktischen Anweisungen Allahs zur Räson bringt.

Was den gegen die Omas hetzenden WDR betrifft: Da hilft nur Abschalten.