Doktoren, die nicht operieren dürfen

In den 70ern arbeitete ich als Assistent am Wissenschaftsbereich Meß- und Versuchswesen der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar. Im Versuchskeller werkelten auch etwa zehn Techniker. Sie hatten ein klares Bild vom Hochschulbetrieb: „Diplomieren, promovieren, dirilieren“.

Kein Mensch glaubte damals, daß Wissenschaft nur systematisches Erkennen wäre. In abgelegenen technischen Nischen wohl schon, aber ganze Wissenschaftsbereiche webten an des Kaisers neuen Kleidern und betrieben sytematisches Verkennen. Eine neutrale Sicht auf die Dinge war verpönt, Parteilichkeit angesagt. Schon Diplomarbeiten begannen mit einem Zitat vom letzten Plenum, noch sicherer war die Einbeziehung der Weisheiten der KPdSU in die Sachlage.

Ich Einfaltspinsel nahm an, daß das im Westen anders wäre. Aber schon 1990 wurde ich eines besseren belehrt. Ich war im Bauwesen unterwegs und erwischte noch den Rest der Postmoderne (Dreieckszeit), ab Mitte der 90er begann das Diktat des Bauhauses (Viereckszeit). Geschmacksdiktatur, von Pluralismus keine Spur.  In den 50ern studierten die Genossen die Prawda, um sich der aktuellen Linie anzuschmiegen, um 2000 lasen die Architekten „Detail“ mit den verbindlichen Direktiven. Wer sich nicht fügte, brauchte bei Wettbewerben garnicht anzutreten. Ich unterhielt mich 1992 mit einem Ästhetikprofessor von der Bauhaus-Uni (den ich noch aus seiner Dissidentenzeit kannte, als er Schreibverbot hatte) über meine Enttäuschung, er zuckte mülde lächelnd die Achseln.

Nun ist mal eine sehr kostenrelevante undichte Stelle zwischen Staat und Wissenschaft öffentlich geworden: Der Emailverkehr zwischen dem Bundesinnenministerium und Gefälligkeitsgutachtern aus dem Gesundheitsbereich, die Kórona wunschgemäß gefährlich darzustellen hatten. „Maßnahmen präventiver und repressiver Natur“ waren zu fundieren. Das Zum-Mund-schreiben ist leider der herrschende Normalzustand und keine Ausnahme, Ehrlichkeit lohnt sich im System Merkel nicht, genauso wenig wie sie bei Hitler oder Stalin honoriert wurde. Es gibt mehr system- und epochenübergreifende Mißstände, als man denkt.

Es ist ein Grundübel, daß die Wissenschft vom Staat bezahlt wird, das macht sie erpreßbar und zur willigen Hure. In den Zeiten, als die Studenten ihre Professoren noch selber löhnen mußten (das ist länger her, als wir denken), war auch nicht alles Gold, was glänzt. Auch damals ernährte sich das Eichhörnchen des Erkenntnisgewinns mühsam, denn die Landesherren und religiöse Eiferer steckten ihren Saurüssel überall rein. In den letzten Jahren ist das Ansehen der Unis derart heruntergewirtschaftet worden, daß ich auch nicht weiß, was draus werden wird. Wenn jemand an der Humboldt studiert hat, geht man in der Provinz erst mal davon aus, daß es ein Komplettidiot ist.

2009 habe ich persönlich die Notbremse gezogen und benutze meinen akademischen Grad nicht mehr. Sich mit Dr. Merkel, Dr. Giffey & Co. auf eine Stufe zu stellen ist nicht hilfreich.

 

Grüße an den V-Schutz: In Thüringen hat man schon immer die Doktoren unterschieden, die operieren durften, und diejenigen, die nicht.