Kommunismus und Konfuzianismus

In der WELT fand heute ein Disput zwischen Kishore Mahbubani, einem aus Singapur stammenden Ex-Botschafter und geostrategischen Denker Asiens und dem WELT-Herausgeber Stefan Aust über China statt. Es geht um das Thema traditioneller Ausrichtung von Politik. In China ist es der Einfluß des Konfuzianismus auf die Denkweise der dortigen Führung.

Wer dem Anstand und der Sitte entsprechend lebt – also der Etikette, den Riten und der Sitte nach – und sich für die Ahnen aufopfert, verändert sich allein dadurch zum Guten. Das löst einen Dominoeffekt aus, der auf die Mitmenschen und schließlich den gesamten Kosmos wirkt, was die eigentliche Urordnung wiederherstellt. So heißt es in dem Konfuzius zugeschriebenen Da Xue:

  • Verhalte ich mich korrekt, ist die Familie in Harmonie.
  • Wenn die Familien in Harmonie sind, ist es auch das Dorf.
  • Sind die Dörfer in Harmonie, ist es auch die Provinz.
  • Sind die Provinzen in Harmonie, dann ist es auch das Reich.
  • Sind die Reiche in Harmonie, dann ist es auch der Kosmos.

Deswegen soll der Mensch in seinem Tun auch stets das Gemeinwesen und das Staatsinteresse im Auge haben. Die sozialen Pflichten sind:

  • Loyalität (, zhōng – „Untertanentreue“)
  • Kindliche Pietät (, xiào – „Folgsamkeit und Respekt gegenüber Eltern und Ahnen“)
  • Wahrung von Anstand und Sitte ( / , )

Die Herrschaftspraxis in China folgt seit dem Sturz der Viererbande eher diesen traditionellen Prinzipien, als dem Marxschen Werk. Auch was die Wirtschaft betrifft folgt man uralten Praktiken der Plan- und Staatswirtschaft. Wer sich einlesen möchte:

Die ersten fünzig Jahre d. Song-Dynastie in China. Beitrag zu einer Analyse d. sozialökonomischen Formation während der ersten fünfzig Jahre d. chinesischen Song-Dynastrie (960-ca. 1010). Von Günter Lewin. Berlin, Akademie Verlag, 1973.

Man findet eine detaillierte Beschreibung einer zentral geplanten Volkswirtschaft, die im zehnten Jahrhundert nach marxschen Prinzipien organisiert war. Ohne das Kapital oder das Kommunistische Manifest gelesen zu haben, praktizierten die Kaiser und ihre Mandarine etwas, was später als „politische Ökonomie“, also als moderne Errungenschaft der Klassiker gepriesen wurde.

Mao wird nachgesagt in Unkenntnis des „Kapitals“ regiert zu haben, sich nicht tiefgründig mit Marx, Engels und Lenin beschäftigt zu haben. Wozu auch? Die zentrale Planwirtschaft in ihrer Präzision ist eine chinesische Erfindung, die über die Goldene Horde nach Rußland verschleppt wurde, und durch Jalta nach Osteuropa, wo sie nicht den traditionellen Nährboden fand und grandios scheiterte. In China errichtete Mao nach einem Jahrhundert ökonomischer und politischer Wirren die traditionelle Planwirtschaft neu, allerdings ohne eine eingeübte Bürokratie. Es kam zu skurrilen Unfällen, wie dem „Großen Sprung“.

Deng vervollkommnete nach 1978 das traditionelle Modell, indem er Landwirten und Gewerbetreibenden einen überschaubaren Freiraum zurückgab, andererseits das technische Lernen vom Westen zuließ. Ich denke man kann sich trefflich darüber streiten, ob China ein kommunistisches Land ist. Der Marxismus wurde meiner Meinung nach lediglich benutzt, um einem uralten chinesischen Regime einen modernen und emazipatorischen Anstrich zu geben. Er ist in China ein roter Zuckerguß über dem Konfuzianismus, so wie er in Rußland rotlackierter Zarismus war.

Wir sehen im folgenden Text eine esoterische und eine exoterische Seite von Aust, eine gedankliche Inkonsequenz, wenn er von einer Mischung von Kommunismus und Konfuzius ausgeht:

Kishore Mahbubani: So sehen wir heute die natürliche Rückkehr von China, Indien und dem Rest von Asien an die Weltspitze. Das Problem des Westens ist: Er sieht China nur durch seine eigene Brille. Er dachte, wenn sich China wirtschaftlich öffnet, wird es sich politisch öffnen und eine liberale Demokratie werden. Dann werden China und Amerika für immer glücklich zusammenleben. Das ist ein Märchen, aber eines, das von ernst zu nehmenden Leuten im Westen geglaubt wurde. (…) Wie konnte ein Land wie die USA, das nur 250 Jahre alt ist, glauben, es könne die 4000 Jahre alte Zivilisation Chinas verändern?

Stefan Aust: In unseren früheren Lebzeiten gingen wir davon aus, dass sich die Wirtschaft am besten in einem kapitalistischen und demokratischen Rechtsstaat entwickelt. Doch China hat es an die Spitze gebracht mit einem Ein-Partei-System, das Kommunismus und Konfuzius mischt. (…) Wir haben das in Deutschland zu sehr aus unserer eigenen Perspektive gesehen: Wenn wir nach West-Berlin fuhren und dann auf die andere Seite der Mauer gingen, sahen wir, dass dort alles schlechter funktionierte als in der Bundesrepublik. Daraus schlossen wir, dass der Kommunismus zum Scheitern verurteilt sei.

Man kann sich über die plakative, in diesem Text geradezu naive Gegenüberstellung von Kapitalismus und Kommunismus nur verwundern. Die entscheidenden Grautöne fehlen. Aust ist der Marsch in die europäische Planwirtschaft und der Niedergang des demokratischen Rechtsstaats während der Merkeldiktatur offenbar entgangen. Ökosozialismus hat mit Kapitalismus nichts zu tun, sondern mehr mit grünem staastgläubigen, autoritären und stellschraubengeilen Konfuzianismus.  Der grüne Sozialismus wird in Europa so grandios scheitern, wie die Planwirtschaft in Osteuropa, weil er im Gegensatz zu China hier nicht verwurzelt ist.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „„Von Natur aus sind die Menschen fast gleich; erst die Gewohnheiten entfernen sie voneinander.“ (Konfuzius)