Privatheit, Tradition und Lieferketten

Sechzehn Jahre bin ich Bürgermeister gewesen und 50 % meiner Tätigkeit war die gekonnte Erstickung von Streitigkeiten unter Einwohnern und Nachbarn. Ich hatte viel Glück, es wurde alles sehr diskret geregelt und es gab nicht eine gerichtliche Sache. Bei meinen Aufenthalten in Italien und Ungarn habe ich gelernt, daß Privatheit dort anders als in Deutschland sehr strong definiert wird. In beiden Ländern gilt es als unitalienisch oder unungarisch über den Zaun zu schauen und anderen Grundeignern Vorschriften zu machen. Das wissen einige Zugereiste – insbesondere aus West- und Süddeutschland – nicht und haben sich mit ihren Nachbarn heillos zerstritten. Die Facebookforen sind voll von Gejammer und Anschuldigungen.

Ich hatte Gábor, meinen linken Nachbarn mal für fünf Minuten in meinen Garten eingeladen und ihm erklärt, welche Bäume ich an der Grundstücksgrenze wegnehmen wollte und welche pflanzen. Er sah mich verständnislos an: „Azt csinálhatsz a kertedben, amit csak akarsz.“ (Dies und das kannst du machen in deinem Garten, soviel was du willst). Auf nochmaliges Insitieren: „Nekem jo.“ (Für mich ist gut). Was man in den eigenen vier Grenzsteinen macht ist „rendben“ (in Ordnung). Mein rechter Nachbar István hat sich sicher gefreut, als ich einen überhängenden Baum mit seiner Hilfe rückgebaut habe, aber er hätte das nie verlangt.

In Italien und Ungarn gibt es auch kaum ein öffentliches Wegenetz in der Feldflur. Wirklich nur Hauptwege. Alles andere ist privat. Man wundert sich, wenn man auf dem Feldweg von drei Hundis angesprungen und gezwickt wird, aber man ist ja auf Privatgelände. Karl Marx hatte im Abschnitt „Formen die der kapitalistischen Produktion vorausgehen“ der „Grundrisse“  die Genese dieser kulturellen Unterschiede germanischen und romanischen Eigentums sehr gut dargestellt. Was die Geschichte der Antike betrifft, war er deutlich bewanderter, als die ganze rote und grüne Riege der Jetztzeit zusammen.

Ein Sprung vom Kleinen ins Große zum Lieferkettengesetz. Nach dieser Einführung in kulturelle Unterschiede ergibt sich für mich die Frage, ob sich chinesische Firmen mit einem Parteisekretär in der Führungsebene die Schnüffelei deutscher Käufer in ihren Strukturen erwünschen. Auch Indien entwickelte in den letzten Jahren genug Selbstbewußtsein, wer einen Eindruck davon gewinnen will sehe sich die letzte Parade zum Nationalfeiertag an. Sehr lehrreich! Die Moslemstaaten und -firmen werden sich von – in ihren Augen – ungläubigen Hunden auch nicht wirklich in die Karten gucken lassen. Selbst Südkorea scheidet als Lieferant von Vorleistungsgütern dann weitgehend aus. Japanische Firmen sind zwar sehr PC, aber ob sie mehr als bedruckte Zettel rausgeben ist für mich mit Fragezeichen behaftet. Die Staaten, die das Lieferkettengesetz wirklich mit Eifer befolgen, werden ausgelistet, das ist meine Prognose. Und dann verschwindet das Monstrum sang- und klanglos, nachdem der Schaden groß ist.

Ich erinnere an die DIN ISO 9001 (Qualitätsmanagement). Sie wurde in den 90ern mit großem Tamtam eingeführt, alle Firmen die staatliche Aufträge wollten, legten dicke Ordner an, um die Vorgaben zu erfüllen. Etwa zwei Jahre lang wurde in Ausschreibungen nach diesen Unterlagen gefragt. Dann sank die Zahl der Bieter, weil immer weniger den Quatsch mitmachten. Nach dieser Zeit wurde nur noch höchst selten danach gefragt. Das Bürokratiemonster schlief ein. Das Lieferkettengesetz ist allerdings gefährlicher, weil ein ausländischer Hemdennäher oder Bergbauersmann mit finanzieller Eskortierung durch NGOs gegen Firmen in Deutschland klagen kann.

Nun zappeln die Lieferketten schon genau zwei Jahre vor sich hin. Also meiner Meinung nach ist das nicht nur wie behauptet Kórona und Putin, sondern ausländische Lieferanten fragen sich, was 2023 mit Inkrafttreten des Gesetzes über sie hereinbrechen wird. Die Berliner Politiker denken, daß der Verkauf deutscher Produkte im Auslande vergnügungssteuerpflichtig sei und daß die Schwitzbuden und Werkstätten auf eine übergriffige und anspruchsvolle deutsche Käuferschaft warten. Ist alles eine Frage des Preises. Ich habe Verwandte, die im asiatischen Außenhandel mit seinen Schikanen und erratischen Verhandlungspraktiken tätig waren, bis sie sich was Ruhigeres gesucht haben.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst:

Armut schafft Demut,
Demut schafft Fleiß,
Fleiß schafft Reichtum,
Reichtum schafft Übermut,
Übermut schafft Krieg,
Krieg schafft Armut.

 

Chin. Landschaft bei Shanghai, Archiv des Verf.