Giorgia Meloni und ihre Fratelli

Es wird derweilen viel über den Faschismus in Italien gemunkelt, aber er ist eine Modeerscheinung, genauso wie die Jugendbewegung in Germania, die sich vom Nationalsozialismus über den Maoismus zum Sexissimus-Rassissimus weiterentwickelt hat. Genauso hat sich der Faschismus in den letzten 70 Jahren immer wieder an den Zeitgeist angeschmiegt. Der Ausgangspunkt in Italien war der Futurismus, eine Mixtur aus dem Traum vom Neuen Menschen, Fliegerei und Gewaltsphantasien. Am 20. Februar 1909 wurde das Manifest des Futurismus im Pariser „Figaro“ veröffentlicht. Tommaso Marinetti war wortgewaltig und seine Fundamentierung des Futurismus eine Aneinanderreihung starker Bilder:

„Wir blieben all die Nächte auf, meine Freunde und ich, unter hängenden Moscheenlampen mit Kuppeln aus filigranem Messing, sternbesät, wie unsere Ideen, scheinend wie die gefangenen Strahlen von elektrischen Herzen. Für Stunden kehrten wir unsere atavistische Trägheit unter reiche orientalische Teppiche, diskutierend über die letzten Überzeugungen der Logik und schwärzend viele Bögen mit unserer Wahnsinnsschrift.“

Wir wünschen die Liebe zur Gefahr zu besingen, die Gewohnheit der Energie und Verwegenheit.

Kühnheit, Frechheit und Revolte werden grundlegende Elemente unserer Poetik.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat die Literatur eine schwermütige Unbeweglichkeit, Verzückung und Schlaf gepriesen. Wir wünschen die aggressive Aktion, ein schlafloses Fieber, des Rennpferds Schritt, die Todesspirale, die Ohrfeige und die Faust zu preisen.

Wir behaupten, dass der Welt Herrlichkeit durch eine neue Schönheit erreicht worden ist: die Schönheit der Geschwindigkeit. Ein rasendes Automobil, dessen Karosse mit großen Auspuffrohren verziert ist, wie Schlangen mit explosivem Atem –  ein röhrendes Auto, das auf Weinbeeren zu fahren scheint, ist schöner, als die Siegesgöttin von Samothrace.

Wir wünschen den Mann am Steuerrad zu besingen, der die Lanze seines Geistes gegen die Erde schleudert, entlang dem Zirkel ihres Orbits.

Der Dichter muß sich mit Inbrunst, Freigiebigkeit und Edelmut selbst aufopfern, um das enthusiastische Fieber der primären Elemente anzufachen.

Ausgenommen im Kampf, gibt es keine Schönheit mehr. Kein Werk ohne einen aggressiven Charakter kann ein Meisterwerk sein. Die Dichterei muß gefasst werden als eine gewaltsame Attacke auf unbekannte Kräfte, um sie zu verkleinern und niederzuschlagen in Gegenwart von Männern.

Wir stehen auf dem äußersten Vorgebirge der Jahrhunderte! … Warum sollten wir zurückschauen, wenn das was wir wollen, das Niederbrechen der geheimnisvollen Tore des Unmöglichen ist? Zeit und Raum starben gestern. Wir leben immer im Absoluten, weil wir die innere, allumfassende Geschwindigkeit erfunden haben.

Wir wollen den Krieg glorifizieren – die einzige Hygiene der Welt – Militarismus, Patriotismus, die zerstörerische Geste der Freiheitsbringer, herrliche Ideen, die es Wert sind dafür zu sterben, und Verachtung für die Frauen.

Wir werden die Museen zerstören, die Bibliotheken, die Akademien aller Art, werden Moralismus, Weiblichkeit, jede bequeme oder nützliche Feigheit bekämpfen.Wir werden über große Massen, die durch ihr Werk erregt sind singen, im Vergnügen und in der Ausschweifung; wir werden über die bunten polyphonen Wellen der Revolution in den modernen Hauptstädten singen; wir werden über das schwingende nächtliche Fieber der Arsenale und Werften singen, die hell erleuchtet sind von gewaltigen elektrischen Monden; von gefräßigen Bahnhöfen, die von dampfenden Schlangen verschlugen werden; von Fabriken die voll Wolken der gekrümmten Linien ihres Rauchs hängen; von Brücken, die die Flüsse wie gewaltige Gymnasten überspannen und in der Sonne aufflammen, mit dem Glanz von Messern; von abenteuernden Dampfern, die den Horizont wittern; von langbrüstigen Lokomotiven deren Räder auf den Schienen stampfen, wie die Hufen von riesigen Stahlpferden, deren Röhrenwerk im Zaum gehalten wird; und vom weichen Flug der Flugzeuge, deren Propeller mit dem Wind schwatzen wie Fahnen und anzufeuern scheinen wie eine enthusiastische Menge.

Aus Italien lancieren wir dieses unser gewalttätiges, umstürzlerisches brandstiftendes Manifest in die Welt. Mit ihm etablieren wir heute den Futurismus, weil wir dieses Land zu befreien wünschen von seinen stinkenden Kraken von Professoren, Archäologen, Fremdenführern und Antiquitätenhändlern. Zu lange ist Italien ein Verkäufer von Gebrauchtwaren gewesen….

Du hast Einwände? – Genug, Genug! Wir kennen diese… Wir haben verstanden!…Eure feine trügerische Intelligenz sagt uns, dass wir die Wiedergänger und Seelen unserer Vorfahren sind – Vielleicht!… Wenn es nur so wäre! – Aber wer sorgt sich? Wir wollen nicht verstehen!… Jammer über jeden, der uns diese infamen Parolen wieder sagt! Hebt eure Hände! Aufrecht zum Gipfel der Welt, immer wieder schleudern wir Trotz gegen die Sterne!“

Ein zweiter Impuls für die Entstehung des Faschismus war die Eroberung von Fiume. Der populäre italienische Dichter Gabriele D´Annunzio – ein begeisterter Techniknarr und Flieger – hatte bereits im September 1919 ganz im Stile seines Landsmanns Garibaldi ein Expeditionschorps aus Freischärlern, sogenannten arditi, gebildet und die Stadt Rijeka (it. Fiume) an der Adria besetzt. Das war definitiv die Generalprobe für die Etablierung der elitaristischen Regierungspraxis in Europa. England, Frankreich und die Vereinigten Staaten reagierten überhaupt nicht, Italien verwickelte die faschistische Stadtrepublik erst Ende 1920 in einen Krieg, der binnen weniger Wochen zum Zusammenbruch der usurpierten Macht und zum Abzug der arditi führte. Viel zu spät, denn die Samen der elitären Propaganda waren bereits aufgegangen, die Früchte wurden in Italien geerntet.

  Der Chef auf einer fiuminesischen Briefmarke

Fünfzehn Monate, bis zum Dezember 1920, regierte Gabriele D´Annunzio Fiume als unabhängigen Stadtstaat nach den Vorstellungen der Jugendbewegung. Er schuf einen von Mussolini und Hitler immer wieder kopierten Stil der politischen Liturgie. Kunstvolle Uniformen, spezielle Zeremonien, Sprechchöre, Reden vom Balkon des Rathauses vor Massenpublikum als Dialog mit dem Führer (in Havanna noch 50 Jahre später praktiziert) und spezielle Symbole und Feldzeichen hatten wenig später ihren festen Platz im faschistisch-nationalsozialistischen Kostüm- und Zeremonienfundus. Die schwarzen Hemden der arditi (Kämpfer), die Hymne „Giovinezza“ (Jugend), Massenkundgebungen (soweit das die Bevölkerungszahl Fiumes erlaubte)  und der zum römischen Gruß erhobene rechte Arm waren ebenfalls Neuerungen des Dichter-Staatschefs.

Der faschistische Stil verbreitete sich in anfällige gesellschaftliche Biotope wie hochansteckendes Kórona. Bereits im Frühjahr 1920 führten die italienischen Fasci Flaggen, schwarze Hemden, Uniformen und das Tragen von Dolchen ein.

Viele jugendbewegte Intellektuelle waren begeistert: Der linksradikale Kurt Hiller schrieb am 12.01.1926 in der Weltbühne ein bewunderndes Essay über den Kraftkerl Mussolini:

„Demokratie heißt: Herrschaft jeder empirischen Mehrheit; wer wollte bestreiten, daß die Mehrheit des italienischen Volkes seit langem treu hinter Mussolini steht? […] Mussolini, man sehe sich ihn an, ist kein Kaffer, kein Mucker, kein Sauertopf, wie die Prominenten der linksbürgerlichen und bürgerlich-sozialistischen Parteien Frankreichs und Deutschlands und anderer Länder des Kontinents es in der Mehrzahl der Fälle sind; er hat Kultur. […] Wenn ich mich genau prüfe, ist mir Mussolini, dessen Politik ich weder als Deutscher noch als Pazifist noch als Sozialist ihrem Inhalt nach billigen kann, als formaler Typus des Staatsmannes deshalb so sympathisch, weil er das Gegenteil eines Verdrängers ist. Ein weltfroh-eleganter Energiekerl, Sportskerl, Mordskerl, Renaissancekerl, intellektuell, doch mit gemäßigt-reaktionären Inhalten, ist mir lieber, ich leugne es nicht, als ein gemäßigt-linker Leichenbitter, der im Endeffekt auch nichts hervorbringt, was den Mächten der Beharrung irgend Abbruch tut.“

Unter Streß war der Faschismus nicht sehr widerstandsfähig. Schon im Abbessinienfeldzug zeigten sich Schwächen, die sich später immer wieder bestätigten. Die Italiani tragen gern schmucke Uniformen, sterben aber nicht so gern. Die Jugendbewegung in Italien huldigt heute anderen Zielen als 1920. Nur ein Exempel: Heute führt Giorgia Meloni die Fratelli, was für Marinetti in seinem Männlichkeitswahn undenkbar war. Mussolinis Konzept der Bünde wird heute eher von den Grillini gehuldigt, wenn überhaupt noch in der Schärfe.

Nach dem Kriege zog sich der Faschismus dorthin zurück. wo er hergekommen war: in den Futurismus. Und in die Movimento Sociale Italiano (MSI), sie wurde am 26. Dezember 1946 gegründet und erreichte 1948 ganze 2 % der Stimmen bei der Kammerwahl. Während der gesamten 1970er und 1980er Jahre organisierte die MSI Kampagnen, per esempio beim Referendum über die Ehescheidung, deren Forderungen denen der katholischen Kirche entsprachen. Ziel war es, eine „Koalition des Moralismus“ zu bilden, die sich in  Opposition zu den Linken befinden sollte. Außerdem wurde der moralische Verfall, die Veruntreuung und Korruption in Regierung und Verwaltung angeprangert, in Italien immer ein fruchtbares Feld.

Zur Parlamentswahl im März 1994 trat die MSI erstmals unter der Bezeichnung Alleanza Nazionale an. In Mittel- und Süditalien traf sie im Rahmen des Mitte-rechts-Bündnisses Polo del Buon Governo Absprachen mit Berlusconis Forza Italia, um die Chancen auf die nach Mehrheitswahlrecht vergebenen Direktmandate zu erhöhen. Der MSI konnte seinen Stimmenanteil auf 13,4 % und die Zahl seiner Abgeordneten auf 110 verdreifachen.

Nach dem Wahlsieg des von Berlusconi geführten Bündnisses wurde die MSI Teil der Mitte-rechts-Mehrheitsregierung, der auch die Lega Nord angehörte. Im Kabinett Berlusconi I stellte die Alleanza Nazionale einen stellvertretenden Ministerpräsidenten – Giuseppe Tatarella – sowie fünf Minister (Landwirtschaft, Verkehr, Post, Kultur und Umwelt). Im Sinne der Distanzierung von der faschistischen Vergangenheit waren diese keine Spitzenvertreter des bisherigen MSI. Kurz nach dem Zusammenbruch der Regierung Berlusconi im Januar 1995, erklärte Fini die Tradition der MSI für beendet.  Es erfolgte der Wandel zur nationalkonservativen Massenpartei Alleanza Nazionale als svolta di Fiuggi („Wende von Fiuggi“) bezeichnet. Im März 2009 fusionierte die AN mit Berlusconis Forza Italia zur Mitte-rechts-Sammelpartei Popolo della Libertà (Volk der Freiheit).

Aus Unzufriedenheit über Berlusconis Führungsstil verließen einige Abgeordnete – darunter Giorgia Meloni – Popolo della Libertà im Dezember 2012 und gründeten Fratelli d’Italia. Die Partei vertritt eine Politik des  Bestands der herkömmlichen Geschlechter, sieht Schwangerschaftsabbrüche und Leihmütter kritisch, ebenso wie die öffentliche Sexualität. Daneben gibt es moderne Auffassungen des Liberalismus, und zwar in der Wirtschaft. Die Fratelli gehörten jüngst nicht zu Draghis Übergangsregierung, sondern vertraten die Opposition.

Frau Meloni hat ein fleißiges Mundwerk und eine laute Stimme, was ihr auf dem Platz und im parlamentarischen Raum genutzt hat. Hier ein aktuelles Video vom Wahlkampf aus Messina.

Messina, das ist die quirlige Stadt, wo man nach der Ausschiffung verzweifelt die Autobahn sucht. Meloni könnte Regierungschefin werden, sollte sie Lega und Forza überholen.

 

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele: hier ist erst der Schlüssel zu allem.“ (Geh. Rath v. Goethe)