Habeck zieht den Stecker – Speira Grevenbroich

Ab August 1916 wurde für die Rüstungsproduktion das Erftwerk gebaut. Damit begann die Geschichte der Aluminium-Industrie in Grevenbroich, die jetzt wieder mal endet. In das Projekt „Erftwerk“ wurde mitten im Krieg die damals unvorstellbar hohe Summe von 20 Millionen Reichsmark investiert. Ende 1917 nahm die erste Anlage unter der Regie der wenige Monate zuvor gegründeten „Vereinigte Aluminium-Werke“ (VAW) ihre Produktion auf. 1918 wurden bereits 3500 Tonnen Alu hergestellt.

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs schlossen die französischen Besatzer das Unternehmen. Erst Anfang der 20 Jahre konnte die Arbeit wieder aufgenommen werden. Die VIAG wurde am 7. März 1923 in Berlin als Dachgesellschaft für bisher direkt gehaltene, industrielle Beteiligungen des Deutschen Reiches gegründet. Das staatliche Engagement war eine Folge der Kriegswirtschaft des Ersten Weltkriegs und der folgenden Reparationswirtschaft. Die staatlichen VAW wurden von der VIAG verwaltet. Im Jahr 1922 kaufte die neu gegründete Rheinische Blattmetall ein Grundstück von der Erftwerk AG und errichtete dort ein Folienwalzwerk, das im Januar des darauffolgenden Jahres den Betrieb aufnahm. Das war der Anfang von Speira.

Nach dem Zweiten Weltkrieg – in dem für die Luftwaffe produziert wurde – stand das Erftwerk auf der Demontageliste der Alliierten. Zwischen 1946 und 1950 wurden viele Anlagen abgebaut. Mit dem Wirtschaftswunder setzte jedoch die Wiederbelebung ein. Die Nachfrage nach Aluminium stieg. Autos, Schienenfahrzeuge, Flugzeuge, Fenster, Verpackungen und Getränkedosen brauchten das leichte Metall.

Rohstoffe bezog die VAW unter anderem aus dem Lippewerk, Strom von RWE, Anoden vom Rheinwerk und Kathoden aus dem eigenen Elektrodenbetrieb. Der für die Alu-Gewinnung notwendigen Rohstoff Bauxit wurde aus Frankreich, Griechenland, Ungarn, Italien und Jugoslawien importiert. Um die Energieversorgung zu sichern, kaufte VAW 1959 ein Braunkohlefeld neben dem Grevenbroicher Werk. 1962 übernahm die Gesellschaft von RWE zwei eigene Kraftwerksblöcke. Im Jahr 1969 wurden im Erftwerk 37.000 Tonnen Aluminium hergestellt – der Rekord.

Mitte der 60er Jahre versetzten steigende Strompreise und eine nachlassende Nachfrage die VAW in eine schwere Krise. In der Folge wurden zwischen 1975 und 1980 die Öfen abgeschaltet – die Elektrolyse im Erftwerk war für immer beendet. Im Jahr 2000 wurde die VIAG mit dem ähnlich strukturierten VEBA-Konzern zur E.ON fusioniert.

Die VAW wurden 2002 von der E.ON an Norsk Hydro verscherbelt. Norsk Hydro ASA ist ein global tätiges Unternehmen, das sich auf die Aluminium-Produktion spezialisiert. Mit Vertriebs- und Handelsaktivitäten entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von der Bauxitgewinnung über die Erzeugung von Tonerde und Energie bis zur Herstellung von Primäraluminium und Aluminiumwalzprodukten sowie Recycling ist der Konzern in über 50 Ländern weltweit aktiv. Die meisten Mitarbeiter in Grevenbroich konnten von den Walzbetrieben nebenan oder dem Rheinwerk in Neuss übernommen werden. Hydro Aluminium Rolled Products in Grevenbroich hatte rund 2000 Mitarbeiter.

Von 2013 bis 2016 wurde seiten der EU über ein Handelsabkommen mit den USA verhandelt, welches in den deutschen Medien vor allem wegen den Chlorhühnchen bekämpft wurde, neben dieser Lappalie aber auch einige Ecken und Kanten hatte. Der deutsche Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sagte im ZDF-Sommerinterview, das am 28. August 2016 ausgestrahlt wurde: „Die Verhandlungen mit den USA sind de facto gescheitert…“

Nun war der Weg für Zölle offen. Nachdem das amerikanische Handelsministerium Anfang Oktober 2020 Aluminiumexporte aus 18 Ländern mit Zöllen belegt hatte, beklagte der Geschäftsführer von Hydro Volker Backs große Nachteile für den Betrieb. Norsk Hydro wollte die heiße Kartoffel in Grevenbroich loswerden.

Am 5. März 2021 gab Norsk Hydro ASA bekannt, daß es eine Vereinbarung über den Verkauf des Walzgeschäftes an KPS Capital Partners („KPS“) geschlossen hat. Die Übernahme war am 1. Juni abgeschlossen. KPS hat den Sitz in New York und saniert angeschlagene Unternehmen weltweit. Der SPD-Politiker Müntefering nannte diesen Typ der Unternehmung „Heuschrecken“. Der Name des neuen Unternehmens ist Speira.

Speira betreibt sieben Produktionsstätten und ein Forschungs- und Entwicklungszentrum in Deutschland und Norwegen, darunter das Joint Venture Alunorf, größtes Aluminiumwalzwerk der Welt, und Grevenbroich, das größte Veredelungswerk der Welt. Speira beschäftigt rund 5.000 Mitarbeiter, vor allem in Deutschland und Norwegen.

Heute wachte die IG Metall auf: Die stark gestiegenen Strompreise gefährden Arbeitsplätze in der Indusrie im Rhein-Kreis Neuss. Das sagt die IG Metall Bezirksleitung und hatte zu einem Aktionstag aufgerufen. Gefordert wird die Einführung eines Industriestrompreises für die energieintensive Industrie. Denn, die Energie-Kosten seien in Deutschland im europäischen und internationalen Vergleich mit am höchsten. Das fällt der Gewerkschaft erst jetzt auf.

Ebenfalls heute las man folgende Mitteilung von Speira: Grevenbroich, 9. März 2023: Am 8. März 2023 unterzeichnete Aurea SA eine endgültige Vereinbarung zum Erwerb eines eigenständigen Unternehmens, das aus den Anlagen von Real Alloy in Sainte-Menehould, Frankreich, und Swansea, Vereinigtes Königreich, besteht. Die bereits angekündigte Übernahme des europäischen Geschäfts von Real Alloy durch Speira, die vor der Veräußerung abgeschlossen werden soll, ist ein weiterer Beweis für die erheblichen Kapitalinvestitionen, die Speira zur Unterstützung seiner Transformation tätigt. Der Abschluss jeder der Transaktionen steht noch unter dem Vorbehalt der behördlichen Genehmigung.

Speira beschleunigt seine Transformation zu einem führenden Aluminiumwalz- und Recyclingunternehmen. Gestern hat Speira beschlossen, die Hütte im Rheinwerk vollständig herunterzufahren. Diese Entscheidung geht mit der Verpflichtung einher, etwa 30 Millionen Euro in die Recyclingkapazitäten am Standort zu investieren.

„Die Möglichkeit, Real Alloy Europa im Wesentlichen vollständig zu übernehmen, und die schwierigen Umstände auf dem Energiemarkt beschleunigen unsere Transformation in ein reines Aluminiumwalz- und Recyclingunternehmen“, sagt Einar Glomnes, CEO von Speira. „Wir freuen uns, dass wir in das Wachstum unserer Recyclingkapazitäten im Rheinwerk investieren können. In den letzten Jahren hat Speira bereits mehr als 60 Millionen Euro in das Recycling im Rheinwerk investiert. Unser Investitionsschwerpunkt wird in Zukunft auf Recyclingkapazitäten und -fähigkeiten an allen Speira-Standorten liegen.“

Das Herunterfahren der verbleibenden 70.000 Tonnen Flüssigproduktion in der Hütte wird voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2023 erfolgen, während der Standort zu einem starken Gießerei- und Recyclingzentrum im Herzen Europas weiterentwickelt wird.

Von der Entscheidung sind rund 300 Mitarbeiter des Rheinwerks betroffen. Speira ist bestrebt, in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern freiwillige Lösungen für die betroffenen Mitarbeiter zu finden. Speira wird alle vertraglich vereinbarten Lieferungen an seine Kunden erfüllen und die gedrosselte Flüssigproduktion durch externe Metalllieferungen ersetzen.

Ja, die Mitteilung ist Schönfärberei vom Feinsten. Strom aus Kernkraft ist eben in Frankreich deutlich billiger. Das wars.

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Das Leben gehört den Lebendigen an, und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.“ (Geh. Rath v. Goethe)