Staatlichkeit und Frömmelei in ewiger Konkurrenz

Derzeit wird über das deutsche Kalifat diskutiert. Deshalb stelle ich einen Eintrag von Januar 2016 etwas aktualisiert noch einmal ein, der das fragile Verhältnis zwischen staatlicher Ordnung und Frömmigkeit beleuchtet. Der Islam ist nicht nur eine Religion, sondern ein Rechtssystem, welches die Existenz eines staatlichen Rechts neben der Religion vehement bestreitet und verbietet.

Auf dem zunächst sehr kleinen Territorium, das von Mohammed beherrscht wurde – zunächst war es die Stadt Medina und ihr Umfeld – stotterte der islamische Motor kaum hörbar, das überschaubare Gebiet wurde nach dem Koran und den Hadhiten regiert. Erste Warnzeichen einer Machtkrise waren die Ermordung des dritten und des vierten Kalifen. Trotzdem expandierte der Islam zunächst erfolgreich. Nicht zuletzt, weil sich die unterworfenen syrischen und mesopotamischen Völker im überregulierten und überbesteuerten Byzanz und im Sassanidenreich nicht wirklich wohlgefühlt hatten. Die islamischen Araber lockten mit den niedrigen Steuern des Korans und bekamen was sie wollten, nämlich die Herrschaft. Die Steuern wurden dann sukkzessive wieder erhöht.

Schon kurz nach dem Tod des vierten Kalifen wurde die prinzipienfeste Anwendung des Koran aufgeweicht. Die zu verwaltenden Völker und Güter hatten nach der Eroberung Syriens und Mesopotamiens einen Umfang angenommen, die sich mit den Suren des Koran und den gesammelten Aussprüchen Mohammeds nicht effektiv verwalten ließ. Zumal man in den unterworfenen Provinzen auch auf landestypische Traditionen und Verwaltungsbräuche stieß, die nicht samt und sonders ignoriert werden konnten. Auch bereitete es Freude etwas mehr Wohlstand zu genießen. Bereits der fünfte Kalif installierte neben der Religion staatliche Gesetze, um effektiver zu verwalten und mehr Steuern einzutreiben. Kurz darauf rebellierten die Frommen und man besann sich wieder auf den Koran als einzige Rechtsquelle.

Die Geschichte Arabiens kennt diese zwei gegenläufigen Tendenzen als ewigen Kreislauf: Installierung einer staatlichen Macht neben den religiösen Gepflogenheiten aus Pragmatismus. Sturz dieser Macht unter der grünen Fahne des Propheten aus Frömmigkeit. Die Errichtung nationalsozialistischer Regime in Syrien, im Irak, in Ägypten, Algerien, Tunesien und Libyen nach dem zweiten Weltkrieg war so eine Phase der Entstehung von Staatlichkeit, der arabische Frühling die Rückeroberung der Macht durch die Gläubigen. In der Türkei kam dieser Prozeß der Etablierung einer dominanten staatlichen Ordnung schon ab 1923 in Gang. Der türkische Kemalismus war der Versuch die Religion als untergeordnete Parallelwelt neben die staatliche Autorität zu stellen. In der Regierungszeit Erdogans wurde das teilweise rückgängig gemacht. Die blauäugigen Europäer und Amerikaner, die sich gegen den Kemalismus und die sozialistischen Regimes Arabiens gestellt hatten, haben Arabien und die Türkei nicht verstanden. Sie halfen mit der Begründung Demokratie zu etablieren, den Frommen bei der Zerstörung der Staatlichkeit.

Es ist die gleiche Problematik, wie nach der russischen Oktoberrevolution. Auf der einen Seite „Das Kapital“ und das „Kommunistische Manifest“ als sektiererische Offenbarungen, auf der anderen Seite die Einsicht in die Notwendigkeit. Die roten Kommissare, insbesondere Stalin, erkannten schnell, daß man zum Machterhalt das orthodoxe Staatsgespenst schnellstmöglich wieder zum Leben erwecken mußte. Nur ohne den Zaren, dafür mit einem noch brutaleren Geheimdienst. Einzig Kommissar Trotzki bockte und wollte als roter Talib nach Marxens Schriften rumherrschen. Trotzki war der Eiferer der Revolution, der zu den reinen religiösen Quellen zurück wollte. Als bolschewistischer Salafist. In Rußland setzten sich die orthodoxen Staatsgläubigen gegen die trotzkistischen Marx-Romantiker durch.

Noch einmal tausend Jahre zurück nach Arabien: Mit der ständigen Ausweitung des islamischen Machtbereichs um die erste Jahrtausendwende erodierte die arabische Macht. Die Araber ekelten sich vor staatlichen Strukturen, die über die Offenbarungen des Koran hinausgingen. Immer mehr Fremde übernahmen deshalb das Szepter und regierten mit staatlicher Gewalt über die Araber. Typisch die tscherkessischen Kriegssklaven (Mamluken), die Ägypten und Syrien jahrhundertelang dominierten und dann von Osmanen, Albanern und schließlich Engländern abgelöst wurden. Oder die Beherrschung des Zweistromlandes und der Heiligen Stätten bis zum Jemen durch das Osmanische Reich.

Die historischen Erfahrungen mit den arabischen Gottesstaaten lassen im Falle einer frommen Machtübernahme ein Tohuwabohu erhoffen, Somalia, Afghanistan und der Jemen sind schöne Beispiele. Ausnahme ist der rohstoffreiche Iran, der sich mit seinen Ressourcen als Ausnahme schon lange als Machtfaktor hält.

Ein Beispiel für den Kollaps eines im Ausland errichteten Kalifats ist Indien. Es wurde von England erobert und die Moslems wurden nach der Unabhängigkeit überwiegend ausgeschafft. Ägypten wurde nacheinander von Mamlucken, Franzosen, Albanern und Engländern erobert, bevor es eigene staatliche Strukturen aufbaute. Soros und Obama wollten diese zerstören, hatten die Moslembrüder schon an die Macht gebracht, bevor das Militär das Ruder in die Hand nahm.

In Europa wären Kalifate das kleinere Übel, weil sie keine stabile Macht hervorbringen können. Viel gefährlicher ist ein moderater Islam, der dauerhafte staatliche Strukturen hervorbringt. In diesem Fall würden die Nichtmoslems vertrieben werden, wie das im Libanon oder im Heiligen Land beobachtet werden konnte.

Grüße an den Inlandsgeheimdienst: „Dir, der Unberührbaren, ist es nicht benommen, daß die leicht Verführbaren traulich zu dir kommen.“ (Geh, Rath v. Goethe)

Foto: Prabel