Der Wechsel von Wokismus und Konsumismus

Seit Monaten habe ich Sonntags gezeigt, wie der Konsumismus der Massenkultur den mörderischen Idealismus verdrängt. Es wedeln ja nicht nur die Röckchen, sondern es werden Leitbilder mit dicken Schlitten und teuren Klamotten transportiert. 80 Quadratmeter und zusätzlich ein Ferienhaus für die Mama bei Catania, so will es Nina. Die andern haben es mit Boliden.

Gestern war mir der Philosoph Norbert Bolz in der WELT beigesprungen und hatte meine flüchtigen Eindrücke systematisch unterfüttert, leider hinter der Bezahlschranke. Hier ein paar Zitate aus seinem Elaborat:

„Die Krise der Normalität ist so alt wie die Moderne; doch heute hat sie eine perverse Form angenommen. Die Moderne wurde erst radikalisiert und nannte sich dann Postmoderne. In den letzten Jahrzehnten aber wurde sie pervertiert und nannte sich dann Wokeness. Sie hat eine ultrabrutale und eine hypersensible Seite. Die woken Taliban des Westens kämpfen gegen die abendländische Tradition. Sie zerstören Denkmäler, schreiben Geschichte um und feiern wahre Orgien der Umbenennung. Wokeness ist das Krankheitsbild der zerstörten Normalität.“

„Konsumismus und Aktivismus sind demnach Lebensformen, die sich wie in einer Art Pendelbewegung historisch abwechseln. Auf die politisierte Jugend des Nationalsozialismus folgte die Ernüchterung durch den Zweiten Weltkrieg, nach dem eine skeptische Generation sich wieder auf die privaten Interessen besann und das Wirtschaftswunder schuf. Auf die politisierte Jugend der Achtundsechziger folgte die Ernüchterung durch den Terror der RAF. Das Pendel schlug nun wieder zum Konsumismus aus –Stichwort: Postmoderne. Und heute haben wir es erneut mit einer politisierten Jugend zu tun, die sich selbst als „woke“ bezeichnet.

Uns bleibt die Hoffnung, dass nach der politischen Generation der Weltverbesserer wieder eine skeptische Generation kommt, die mit dem woken Spuk aufräumt. Das ist die Hoffnung auf eine Rückkehr aus den moralischen Exzessen und dem nihilistischen Selbstzweifel des Westens zur moralischen Normalität, die sich von selbst versteht.“

Diese politisierte Jugend ist jedoch nur in den Bildungsanstalten zu finden, und selbst da ist sie eine Minderheit. Wenn ich mich an mein Studium erinnere: Es ist nie vorgekommen, daß jemand von den Vernünftigen mit den Hirnverbrannten diskutiert hat, weil das Gespräch mit mächtigen staatsnahen Idioten keinen Zweck hat und man sich nur Ärger einhandelt. Meine Freundin war zweimal vor der Disziplinarkommission und hat sich auch da auf nichts eingelassen. Abtropfen lassen ist in Umgebungen mit dem zweiten Frischegrad das beste. Bolz in der Berliner Zeitung: „Mit Woken zu reden ist nicht nur Unsinn. Es ist gefährlich“.

Das Regime der dementen Vögel wird unter der eigenen Last zusammenbrechen, Leute wie Wilhelm II.. Hitler, Breschnjew und Merz waren und sind in ihre vermeintlich edlen Ideen zu verbohrt, um den Kompaß zu finden, mit denen man ein Staatsschiff steuert. Derzeit läßt sich Merz von den woken Sirenen vollheulen, ohne sich die Ohren zu verstopfen. Siehe Beitragsbild.

Bolz zeigt uns die Abfolge von Aktivismus (1904-1945), Bürgerlichkeit (1950-1965), Studentenbewegung und K-Gruppen (1968 – 1980), Postmoderne (1980-1995) und Wokismus (seither). Mit diesem Modell läßt sich auch das Auseinanderdriften von Ost und West erklären: Der Westen ist auf dem Wokismus-Trip, während der Osten (damit meine ich nicht nur die Zone) auf Konsumismus gepolt ist. Klar kommt es da zu gegenseitigen Beleidigungen, wobei die Banane das Symbol ist.

Norbert Bolz hat gerade ein Buch geschrieben: „Zurück zur Normalität“. Aus der Beschreibung:

Unsere bürgerliche Gesellschaft ist einem Zangenangriff auf die Normalität ausgesetzt – nämlich einmal durch die „Wokeness“ der Kulturrevolutionäre und zum andern durch den Alarmismus der politisch-medialen Elite. Die Wokeness stellt das Verhältnis von normal und pathologisch auf den Kopf. Der Alarmismus stellt das Verhältnis von normal und extrem auf den Kopf. Das, was früher als Neurose betrachtet wurde, soll jetzt als selbstbestimmter Lebensentwurf anerkannt werden. So ist ein kulturelles Klima absoluter Toleranz entstanden, die sich aber als absolute Intoleranz gegenüber den traditionellen Lebensformen äußert. Damit wird der Normalität der Krieg erklärt.
Genauso pervertiert ist das Verhältnis von Normalität und Ausnahmezustand in der Welt von Medien und Politik. Hier herrscht ein Alarmismus, der überall nur Katastrophen sieht. Das ist der gemeinsame Nenner von Sensationsjournalismus, Gefälligkeitswissenschaft und einer Politik der Angst, wie wir sie in der Corona-Zeit kennengelernt haben.
Es gibt heute aber Anzeichen dafür, dass nach der politischen Generation der Weltverbesserer wieder eine skeptische Generation kommt, die mit dem woken Spuk aufräumt. Das nährt die Hoffnung auf eine Rückkehr aus den moralischen Exzessen und dem nihilistischen Selbstzweifel des Westens zur moralischen Normalität, die sich von selbst versteht.
Im Augenblick sehen viele nur die Zeichen der Dekadenz, aber am Ende wird die Wokeness die Provokation gewesen sein, die zu einer Wiedergeburt der Bürgerlichkeit geführt hat.