Wer hat an der Uhr gedreht?

Die EU hat im Rahmen der Harmonisierung der europäischen Statistiken durchgesetzt, daß Rauschgifthandel, Tabak- und Waffenschmuggel in die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) eingehen.

Wenn etwas harmonisiert wird, muß es ja schon Länder gegeben haben, wo das bereits praktiziert wurde. Richtet sich die EU-Kommission immer nach den skurrilsten Mitgliedern?

Je aufgeblasener das BIP, desto geringer die Schuldenquote. „Nachtigall, ick hör dir trapsen“, sagt man bei den Ureinwohnern der Bundeshauptstadt dazu.  Die WELT berichtet, daß die deutsche Staatsschuldenquote durch die Einbeziehung des Schwarzmarktes in das Bruttoinlandsprodukt für 2011 beispielsweise nur 77,7 Prozent statt 80,0 Prozent betragen hätte.

Wenn man die Staatsschulden nicht auf das BIP, sondern auf das Nettoinlandsprodukt (NIP) beziehen würde, nämlich das BIP um die Abschreibungen bereinigen würde, hätte man einen realeren Bezugspunkt, weil das NIP die Schuldentragfähigkeit besser abbildet, als das BIP. Die Abschreibungen betragen in Deutschland etwa 11 % des BIP, so daß das NIP 89 % des BIP beträgt. Die Staatsschuldenquote hätte im Jahr 2012 nicht 80 % des BIP, sondern 90 % des NIP betragen.

Die Nachricht von der Einbeziehung der Schattenwirtschaft in die Erhebung der Schuldenquote zeigt, welch fragwürdige moralische Vorstellungen unsere Eliten haben und wie wenig ökonomischen Sachverstand. Ein Gedankenexperiment mag das illustrieren: Wenn die Schattenwirtschaft 100 % der Wirtschaftsleistung betragen würde (oder betrüge), würden beispielsweise überhaupt keine Steuern gezahlt und alle Staatsausgaben wären automatisch Schulden, die nie zurückgezahlt werden würden. Der Schuldenstand gemessen am BIP würde relativ schnell in eine Exponentialfunktion übergehen, oder verständlich ausgedrückt: Die Schulden würden noch rascher explodieren, als sie es ohnehin tun. Die Eliten drehen mit der neuen Statistik die Schuldenuhr um ein Jahr zurück, die neue Berechnungsmethode bringt aber keine nachhaltige Drückung der Schuldenquote über einen längeren Zeitraum. Im Gegenteil.

Statistiken helfen nicht wirklich. Die untergegangene DDR wies in ihrer letzten Lebensdekade Jahr für Jahr ein Wirtschaftswachstum von 3,5 bis 5,5 % aus. Es hat nichts genutzt. Die Untertanen haben sich von getürkten Zahlenfriedhöfen nicht beeindrucken lassen. Sie wollten endlich menschenwürdig Wohnen und Reisen.  Auch der westdeutsche Michel wird irgendwann merken, daß es eine auffällige Differenz zwischen der Statistikpropaganda und seinem Nettolohn nach Abzug aller Abgaben, verdeckten Besteuerungen und Gebühren gibt.

Wenn man die EU-Statistiken analysiert, fällt auf, daß zunächst Faktoren wie Bildung, Gesundheit, Durchschnittstemperatur, Marktwerte von Fußballspielern, Theaterbesuche  und alle Faktoren, die das Bruttonationalglück betreffen mehr und mehr in den Vordergrund gerückt worden sind. Zumindest bis 2009. Seit Ausbruch der Finanzkrise interessiert sich die Gesellschaft wieder etwas mehr für die Faktoren, die den Wohlstand der Nationen heben, statt ihn zu verbrauchen. Wie zum Beispiel die Produktivität, den Export und das BIP.

Die Einbeziehung der Schattenwirtschaft in die Berechnung des BIP ist ein methodischer Rückschritt, aber insofern konsequent, als die EU durch Reglementierung und Überbesteuerung alles getan hat um die Subsistenzwirtschaft, die Schwarzarbeit und den Schmuggel in Europa zu stärken. Zur Erklärung: Subsistenzwirtschaft betreibt man, wenn man etwas erzeugt oder leistet, was man selber verbraucht.

In der nächsten Eskalationsstufe der Schuldenkrise könnte die EU auch Einbrüche und die Korruption noch in das BIP mit einrechnen…