Erinnerungen an das Wohnungsamt

In einigen Großstädten soll eine Mietpreisbremse eingeführt werden. Das war in Deutschland immer der Anfang einer Interventionsspirale an deren Ende der Wohnraum bewirtschaftet werden mußte, um ein zu kleines Angebot zu kanalisieren.

Es gibt viele Gegenden in Deutschland wo der Hund begraben ist. Dort sinken oder stagnieren die Mieten. Andererseits gibt es angesagte Wohnlagen, in denen ein hoher Nachfragedruck die Mieten explodieren läßt. Normalerweise steigt dann die Bautätigkeit und die Mieten normalisieren sich nach Jahren.

Das kann die Politik auf zweierlei Weise verhindern: durch künstliche Verknappung der Bauflächen über Flächennutzungspläne und Bebauungspläne sowie durch die Mietpreisbremse.

Die Folge ist, daß sich zunächst punktuell, später flächendeckend permanente Wohnungsnot herausbildet. Die DDR hatte es soweit gebracht, daß die Leute den Wohnungen hinterherzogen und nicht den Arbeitsplätzen oder der Lebensqualität und daß selbst auf  abgelegensten Gütern im Bezirk Neubrandenburg entsetzlicher Wohnungsmangel herrschte.  Der entstandene Mangel wurde über ein flächendeckendes System von Wohnungsämtern verwaltet.

Es ist nicht einmal ein halbes Menschenalter her, als das praktiziert wurde. Ich wohnte damals in Weimar, einer thüringischen Kleinstadt, in der sich in vielen Hinterhöfen noch Abtritte befanden. 40 Häuser hatten sogar Tonnenklos. Da wurden zwei Meter hohe Holztonnen ins Haus gebracht und wenn sie voll waren, wurden sie aus dem Haus gerollt und gegen leere Tonnen getauscht. Diese Wohnungen waren nicht leicht an den Mann zubringen, denn sie rochen nach Kacke.

Im Wohnungsamt saß als Wohnraumlenker Herr Just. Er hatte im Krieg einen Arm verloren und konnte nichts vernünftiges arbeiten. Er war von seinem Job und von der Partei abhängig und hatte eine bewundernswerte Gleichmut im Zuhören, im Ertragen von Beschimpfungen, Beleidigungen und tätlichen Angriffen entwickelt. Mit derselben Gleichgültigkeit überreichte er den Kunden des Amtes die Besichtigungsscheine, die geballte Zumutungen waren. Die Sozialistische Einheitspartei wollte den wachsenden Volkszorn über die Wohnungsnot von sich weglenken und so gehörte der Stadtrat für Wohnungswirtschaft Herr Kehr nicht der SED sondern der nationaldemokratischen NDPD an, die wie alle anderen Parteien in der Nationalen Front organisiert war.

Dienstags ging ich um 10 Uhr immer ins Wohnungsamt. Daß ich erst am frühen Nachmittag in den Betrieb zurückkehrte hat keinen meiner Chefs je gestört. Am Sprechtag saß auf dem Flur des Amts der ganze Abschaum des Weimarer Universums. Die meisten Kunden des Amts kannten sich seit Jahren. Es dauerte Stunden bis man aufgerufen wurde. Dann kam man zum abgeklärten Herrn Just und sagte jede Woche seinen Vers auf. Etwa vier bis acht Wochen ging man ohne Ergebnis nach Hause. Ein paarmal im Jahr überreichte er mit geheimnisvollem Lächeln einen Besichtigungsschein.

Ich ging zur angegebenen Adresse und landete in einem Haus mit der Aufschrift „Niederlage von Stein- und Viehsalz“. Bereits im Flur wurde mir klar gegen wen das Salz verloren hatte: Gegen  heftigen Fäkalgestank. Auf dem Abtritt traf ich Herrn Kiel. Er war geschieden und hatte auch einen Besichtigungsschein für das ehemalige Salzlager. Er wollte die Wohnung nicht haben. Da waren wir schon zwei.

Seine geschiedene Frau hatte die eheliche Wohnung behalten. Es nahte der Fasching und ich nutzte das zur Kontktaufnahme. Sie war eine große dunkelhaarige Schönheit und nahm mich mit nach Hause, natürlich unter der Versicherung, daß sie sonst keine Kerle heimschleppt. Ihre Wohnung war top, Sie hatte sogar fließendes Wasser. Die Zimmer waren alle mit Kindern belegt, die in ihren Bettchen träumten. Sie hatte jedes Jahr ein Kind bekommen, was sich auf sechs Stück summiert hatte. In Erziehungsfrage war ich total ungeübt. Ich konnte noch nicht mal einen Hund Sitz machen lassen. Die Rolle als Patriarch einer Großfamilie versetze mich in Unruhe und ich verkrümelte mich unter fadenscheinigen Ausflüchten.

Ulli hatte ich in der sechsten Klasse kennen gelernt, als wir im Heizungskeller der Schule einen Schuhkarton mit Fotos von nackten Frauen gefunden hatten und uns da durcharbeiteten. Ulli und seine Frau hatten auch Probleme mit dem Wohnraum. Er hatte deswegen einen Ausreiseantrag gestellt. Sein Antrag lief und lief und lief, bis er mit seiner Frau zu den frommen Padres der Herz-Jesu-Kirche ging. Von da an nahm die Sache Fahrt auf. Die Diener Gottes hatten ihm geheißen den Job zu kündigen. Außerdem war er auf die skurrile Idee gekommen Schwulheit vorzutäuschen. Statt mit einer schönen Frau tanzte ich in einem Jugendklub mit Ulli, um die Abteilung Inneres der Kulturstadt zu provozieren. Es funktionierte: nach zwei Minuten kamen die Ordner und warfen uns raus. Nach weiteren zwei Wochen durfte er mit seiner Frau ausreisen und ich ging weiter dienstags aufs Wohnungsamt.

Irgendwann bekam ich wieder einen Besichtigungsschein. Es war ein Zimmer zu besichtigen, was wenigstens mal nicht nach Fäkalien roch, weil das Gemeinschaftsplumsklo am Ende eines Gangs lag. Auf dem Treppenhaus war ein Gemeinschaftsausguß mit fließendem Wasser. Immerhin. Ich nahm die Bude. Die Miete betrug 7,90 Mark im Monat. Davon wurden mir 5,60 Mark für das Säubern des Donnerbalkens erlassen. Wenn der Mieter der oberen Etage aufs Klo ging, regnete es in der unteren Etage Urin durch die Decke. Es war super eklig. Ich verdanke der Partei und dem Wohnungsamt, daß ich bis heute allergiefrei bin.

Nach einer Weile lernte ich eine schöne Frau kennen, die eine Wohnung mit einem  richtigen Bad hatte. Ich durfte bei ihr duschen. Nach dem zweiten Duschen kamen wir uns näher und mein Wohnungsproblem löste sich. Die junge Dame ist nun schon 35 Jahre meine Freundin. Der Teufel wollte es, daß ich ausgerechnet nach dem Einzug bei der Freundin Post vom Wohnungsamt bekam. Ich bekam zwei stattliche Zimmer mit einer unheizbaren Küche und einer Wassertoilette zugewiesen. Nun hatten wir gleich zwei Wohnungen. Wir konnten beide behalten: Denn es gab ja die Mietpreisbremse…