Der Untergang von Parteien

Derzeit gehen die Christ- und Sozialdemokratien bei fast allen Wahlen baden. Der Grund liegt auf der Hand: Man hat sich von der Vertretung der Interessen der kleinen Leute nach Wohlstand verabschiedet und tanzt lieber um das grüne und das feministische Kalb. An der italienischen Geschichte um 1993 kann man den massenhaften Untergang von politischen Apparaten studieren. Aber gab es sowas auch in Deutschland?

Insbesondere die Weimarer Republik schrottete alle Parteien bis auf eine. Ganz offensichtlich betraf das zunächst die liberalen Parteien, die schon 1930 fertig hatten, weil Flasche leer war, wie es Trappatoni – ein Experte für Mannschaftswettbewerbe – auf den Punkt brachte. Nach dem Tod des freiheitlichen Patriarchen Eugen Richter 1907 hatte sich der deutsche Liberalismus von Adam Smith verabschiedet und sang die Lieder der Lebensreform: Zentralismus, Elitarismus, Ökologismus, Planwirtschaft, Rassismus, Eugenik, Neuer Mensch, Gesundheitsfexerei. Der neue Vorsitzende Friedrich Naumann interessierte sich für Nationales und Zünftiges. Sein national-sozialer Verein und seine Artikel über die Verbindung von deutscher Wertarbeit mit Jugendstil schwangen mit dem antibürgerlichen Zeitgeist des Spätkaiserreiches und der Weimarer Republik mit. Am Ende der Weimarer Republik verbandelte sich die Deutsche Demokratische Partei mit der Volksnationalen Reichsvereinigung (die wiederum aus dem Jungdeutschen Orden hervorgegangen war) zur Deutschen Staatspartei und ging mit dem zwar zeitgeistigen, aber verquasten Label unter.

Der Verrat der Liberalen an der Marktwirtschaft war kraß, der des Zentrum am Katholizismus nicht weniger. Zunächst gingen die katholischen Jugendgruppen eigene Wege und gerieten in das Fahrwasser der Jugendbewegung. Bereits 1913 erfolgte die Teilnahme der katholischen Jugendorganisation Quickborn am Freideutschen Jugendtag auf dem Hohen Meißner. Der Begriff „Gemeinschaft“, das Führerprinzip, die Abstinenz prägten den Verein. Alle Floskeln der Lebensreform findet man in den Dokumenten:  Wissenschaftsschule solle mehr Erziehungsschule werden, „Jugend hat ein Recht auf Jugend, Freiheit, Freude“, also Eigenständigkeit des Lebensabschnitts zwischen Kindheit und Erwachsensein. Ich dachte immer, daß folgendes Lied eine nationalsozialistische Urheberschaft habe, es stammt jedoch aus der christlichen Jugendbewegung. Der Autor Hans Baumann war im katholischen „Bund Neudeutschland“ tätig und das Lied ist von 1932:

1. Es zittern die morschen Knochen
Der Welt vor dem roten Krieg,
Wir haben den Schrecken gebrochen,
Für uns war’s ein großer Sieg.

Refrain:
Wir werden weiter marschieren
Wenn alles in Scherben fällt,
Denn heute da hört uns Deutschland
Und morgen die ganze Welt.

2. Und liegt vom Kampfe in Trümmern
Die ganze Welt zuhauf,
Das soll uns den Teufel kümmern,
Wir bauen sie wieder auf.
Refrain:

3. Und mögen die Alten auch schelten,
So laßt sie nur toben und schrei’n,
Und stemmen sich gegen uns Welten,
Wir werden doch Sieger sein.
Refrain:

4. Sie wollen das Lied nicht begreifen,
Sie denken an Knechtschaft und Krieg
Derweil unsre Äcker reifen,
Du Fahne der Freiheit, flieg!

Wir werden weiter marschieren,
Wenn alles in Scherben fällt;
Die Freiheit stand auf in Deutschland
Und morgen gehört ihr die Welt.

Erinnert ein bißchen an die horizontlose Politik von Dr. Merkel, aber das nur nebenbei. Nicht nur in der frommen Jugendbewegung, auch in der katholischen Zentrumspartei ging es drunter und drüber. Der dritte Finanzminster der Republik, Matthias Erzberger, der 1919/1920 das Amt innehatte, zentralisierte die bis dahin den Ländern unterstehende Finanzverwaltung und nahm den Städten und Gemeinden ihre Steuereinnahmen weitgehend weg. Damit wurde die Kommunalpolitik entdemokratisiert. Die Gemeinden hingen seitdem am Tropf der Länder, müssen wegen jeder Reparatur Förderanträge stellen und sind permanent unterfinanziert. War eine Steilvorlage für den Nationalsozialismus und den Stalinismus, die die kommunale Selbstverwaltung eh nicht leiden konnten.

Das Zentrum brachte irrlichternde Personen hervor wie Joseph Wirth, der mit den bolschewistischen Blutkommissaren rummachte und den Stalin-Hitlerpakt schon vorwegnahm. Oder Franz von Papen, der 1932 am Sturz seines Parteifreunds Reichskanzler Brünig beteiligt war. Zum Schluß unterwarf man sich dem Führerprinzip, als dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt wurde. So wie sich die CDU heute Merkel unterwirft, so kapitulierte das Zentrum 1933 vor Hitler. Vier Monate später war es verboten.

Die Sozialdemokratie schmarotzte ebenfalls an der Lebensreform. Oder die Lebensreform an der SPD. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg kämpfte August Bebel mit Eugenikern in der Partei. Es waren gerade Sozialdemokratinnen (weiblich), die sich dafür begeisterten. Oda Olberg verkündete 1907 in der sozialdemokratischen „Neuen Zeit“, dem theoretischen Organ der Partei:

„Nicht weil ich orthodoxer Parteisoldat bin, glaube ich, daß die Forderung der Rassehygiene in der sozialistischen Bewegung ihren wirksamsten Bahnbrecher hat, sondern ich bin Sozialist, weil ich das glaube.“

Kriminalität erklärte sie aus biologischer Minderwertigkeit, Kultur und zu geringe biologische Auslese würden zu einer Verschlechterung des Erbguts führen. Noch 1932 beklagte Olberg in frappierender Fehleinschätzung:

„Der so notwendige Appell an ein rassenhygienisches Bewusstsein der Massen verhallt heute zum Teil deshalb so ungehört, weil der Nationalsozialismus diese Forderung in sein reaktionäres Programm aufgenommen hat.“

In der Mischehendebatte, die am 7. Mai 1912 im deutschen Reichstag geführt wurde, zeigte sich, daß fast alle Parteien, auch die oppositionellen Sozialdemokraten, Ehen mit „Negern“ und Südseeinsulanern ablehnten. Der linke Sozialdemokrat Georg Ledebour entrüstete sich wegen der unerfreulichen Tatsache, dass gewisse Frauen aus den wohlhabenden Kreisen für exotische Völkerschaften eine perverse Neigung bekundeten. Er sprach ausdrücklich von Entartung in diesem Zusammenhang.

Die SPD hatte bis 1926 einen nationalbolschewistischen und die ganze Zeit durchgehend bis in die 30er Jahre einen eugenischen Narrensaum. Eugenik ist die Lehre von der Beseitigung lebensunwerten Lebens. Die kürzlich in Weimar vom Bundespräsidenten Steinmeier hochgelobte Feministin Antonie Pfülf gehörte zum harten Kern der linken Todesengel. Antreiber der Eugenikdebatte in Deutschland war die SPD-Parteisoldateska um Adele Schreiber-Krieger, Helene Stöcker, Anna Blos und Antonie Pfülf. Manche Forderungen dieses eugenischen Quartetts muten an, als hätte Hitler sie nur abschreiben brauchen. Der einzige Weg, um aus der Erbschaft des Krieges herauszukommen, sei, „zu einem Qualitätsvolk aufzusteigen“, hält ein Parteitagsprotokoll von 1919 eine Äußerung von Adele Schreiber-Krieger fest. Auf dem SPD-Parteitag 1921 erklärte die Bochumer Delegierte Wolf, daß die Eugenik ein elementares Mittel zur Erreichung des Sozialismus sei. Antonie Pfülf forderte auf demselben Parteitag die Zwangssterilisation von Idioten. Das Protokoll vermerkt „Bravo“. 1923 verschärfte sich der Diskurs. Im Blatt des sozialdemokratischen Lebensreform-Verbandes „Volksgesundheit“ forderte Johannes Wolf:

„Die Frage der Vernichtung lebensunwerten Lebens derjenigen … Menschen, die vollständig von der Arbeit anderer Menschen erhalten werden müssen, … kommt … nicht mehr zur Ruhe und mit Recht. Auf der einen Seite ernährt die Allgemeinheit Tausende von für immer unproduktiven oder sozial schädlichen Individuen und auf der anderen Seite gehen Tausende wertvoller Menschen zu Grunde. Hoffentlich hilft die Not der Zeit diese falsche Humanität zu überwinden.“

1933 machte man in der „Volksgesundheit“ Vorschläge zur Endlösung der Eugenik-Frage:

„Die Natur bewirkt … von sich aus eine Auslese, der aber vom Kulturmenschen dadurch entgegengewirkt wird, daß auch das lebensunwerte … Leben auf Kosten der Lebenstüchtigen geschützt und erhalten wird. … Es ist wirklich an der Zeit, daß sich … die Gedanken der Rassenhygiene bemerkbar machen. … Das Recht des Menschen auf sein Leben ist ein bedingtes. Soweit es die naturgesetzlichen Forderungen nicht erfüllt, muß er unter den Folgen seiner Fehler leiden. Die Natur kennt keine Sündenvergebung.“

Kurz danach wurde die SPD übrigens verboten. Für 12 Jahre aus die Maus. Grund war der Verrat am Prinzip der Solidarität. Die Sozialdemokratie war logisch und historisch aus den Gesellenvereinen hervorgegangen, die eine christliche und solidarische Grundlage hatten. Alle Zünfte und Berufsvereine hatten die Tradition Witwen, Weisen und Kranke aus ihrem Wirkungsbereich zu unterstützen. Das konnte man nicht so ungestraft aufgeben ohne den Markenkern des Sozialismus irreparabel zu beschädigen.

Parteien können lange vor sich hinsiechen. Und ganz plötzlich ist dann Schluß. Die Implosion des italienischen Parteiensystems 1993 und des deutschen im Jahr 1933 sind zwei illustre Beispiele.

Das italienische Parteienklüngel der 60er bis 80er Jahre entstand aus der Notwendigkeit die Stalinisten von der Macht fernzuhalten, die bis zu 34 % der Wähler auf ihrer Seite hatten. Dazu mußten Christdemokraten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Republikaner und Liberale ewig koalieren, wobei programmatische Unterschiede für den Wähler nicht mehr sichtbar waren. Auch entstand ein Klima der Korruption, weil keine parlamentarische und mediale Kontrolle mehr funktionierte. Man tröstete sich mit Geld über die verlorengegangene Glaubwürdigkeit hinweg.

In einem ähnlichen Dilemma befindet sich heute die deutsche Parteienlandschaft. Alles wird um die AfD herumgebaut, ohne Rücksicht auf die Interessen der Wähler. Die Mehrheit der Wähler will ihre Autos, ihre Mobilität und ihre Lebensweise retten, und die CDU regiert ohne Not mit den Grünen und Spezialdemokraten, vielleicht sogar noch mit der Einsperrpartei. Das kann auf mittlere Sicht nicht gutgehen. Bei einer größeren Krise – nur Gott weiß wann sie kommt und was sie auslösen wird – wird das System implodieren. Ein Blackout, ein Bankenkrach, ein größerer Anschlag, die Finanzierung des Sozialsystems – überall lauert das finale Ende der BananenBundesrepublik wie wir sie kennen.